Vergessene Oper des Fin de Siècle

Von Frieder Reininghaus · 18.06.2013
Die Geschichte der ägyptischen Königin Cleopatra und ihres letzten Lebensabschnittspartner Marcus Antonius erzählt die 1914 uraufgeführte Oper "Cléopâtre". Das Stück präsentiert sich heute an der Küste des Mittelmeers in Sandalenfilmästhetik mit dekorativen Video-Elementen.
Nicht nur aus alten Märchen winkt es hervor mit weißer Hand, sondern auch aus Dokumenten der blutig realen Weltgeschichte. Zu den wenigen Figuren der Antike, die einem breiten Publikum bis heute in Erinnerung blieben, gehört die ägyptische Königin Cleopatra (69 – 30 v. Chr.) Ihr und ihrem letzten Lebenslangzeitabschnittspartner Marcus Antonius, der schon als junger Kavallerieoffizier in Griechenland und im Orient aufkreuzte, als zunächst dominante Figur im zweiten Triumvirat überwiegend im östlichen Mittelmeerraum agierte, widmete Jules Massenet (1842–1912) das letzte seiner mehr als 40 Bühnenwerke. Uraufgeführt wurde "Cléopâtre" 1914 in Monte Carlo. Jetzt wurde der Schwanengesang in Marseille aus der Versenkung geholt – mit Blick auf die afrikanische Gegenküste und den an die westliche Kulturhauptstadt Europas ergangenen Kulturauftrag, sich um diese zu kümmern.

Liebestod durch Viper

Dass Mark Anton, Parteigänger Cäsars, nicht in dessen Fußstapfen treten will und zu dessen Geliebter zunächst Distanz wahrt, doch dann Cleopatras Künsten und Reizen erliegt, exponiert das Libretto von Louis Payen (alias Albert Liénard) und Henri Cain in Übereinstimmung mit der antiken Historiographie. Es motiviert dann allerdings den Konflikt mit dem nachmaligen Kaiser Augustus aus der enttäuschten Liebe von dessen Schwester Octavia. Sosehr der Tonsatz – solide interpretiert unter Stabführung von Lawrence Foster – noch einmal französisch geprägten Exotismus aufblühen lässt, so bemerkenswert erscheint der zunehmend unpathetische Schluss: Der Feldherr erliegt den Verletzungen aus der Schlacht bei Actium in den Armen der Partnerin und diese lässt sich das ominöse Körbchen mit der Viper bringen.

Das alles präsentiert sich an der nördlichen Küste des Mittelmeers jetzt in abgeschwächter Sandalenfilmästhetik, für die der Regisseur Charles Roubaud im Verbund mit der Bühnenbildnerin Emmanuelle Favre, der für die Rüstungen und Kostüme zuständigen Katia Duflot und Marie-Jeanne Gauthé sorgt, die diskret-dekorative Video-Elemente beisteuert.

Béatrice Uria-Monzon wirkt in der Titelpartie solide, verfügt aber nur bedingt über brillante Höhen und schauspielerische Aura. Stimmlich erweist sich Kimy Mc Laren (Octavie) als ebenso gefährliche Rivalin wie in der politischen Intrige. Zwischen den beiden so ungleichen, aber ähnlich erfolgsorientiert agierenden Frauen profiliert sich der Bariton Jean-François Lapointe mit Wucht und der Erinnerung an weltpolitisches Gewicht. Zur Welt der Schönen und Reichen – es sind die intensivsten Szenen – schafft das Alltagsnachtleben der multikulturellen antiken Gesellschaft den illustren Kontrast. Vielleicht wird das Werk nun auch anderswo wieder auf die Bühne gebracht – etwas elastischer musiziert und mit einer Produktion, die die bereits zu deren Lebzeiten einsetzende Inszenierungsgeschichte der Kleopatra ironisch aufgreift.

"Cléopâtre" an der Opéra Marseille


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