Verfassungsreferendum in Italien

Kampf mit dem "Gespenst des Populismus"

Ein Demonstrant hält einen Schriftzug "NO" hoch.
Demonstranten fordern, am kommenden Sonntag in der Volksbefragung gegen die Verfassungsänderungen zu stimmen. © Massimo Percossi, picture alliance / dpa
Laura Garavini im Gespräch mit Nana Brink · 30.11.2016
Die deutsch-italienische Politikerin Laura Garavini warnt vor einem Scheitern des Verfassungsreferendums in Italien am kommenden Sonntag. Das hätte "bittere Konsequenzen" für das Land und würde auch zu einer Stärkung populistischer Bewegungen führen.
In einem Referendum entscheiden die Italiener am Sonntag über die von Regierungschef Matteo Renzi initiierte Verfassungsreform. Die deutsch-italienische Politikern Laura Garavini gehört zu den Unterstützern der Reform. Sie würde Italien moderner und effektiver machen, sagte sie im Deutschlandradio Kultur.
"Bislang gibt es in Italien zwei Mal das gleiche Parlament, mit exakt den gleichen Aufgaben, den gleichen Kompetenzen. Und Gesetze müssen jahrelang zwischen den beiden Parlamentskammern hin- und herpendeln. So, als ob es in Deutschland einen Bundestag I und einen Bundestag II gebe. Diesen Unsinn möchten wir jetzt abschaffen."
Porträtfoto der italienischen Abgeordneten der Demokratischen Partei, Laura Garavini, aufgenommen 2013
Laura Garavini ist Abgeordnete der Demokratischen Partei in Italien© dpa picture alliance / Fredrik von Erichsen

"Man will die Regierung Renzi stürzen"

In den derzeitigen Umfragen liegt das "Nein"-Lager vorne, es gibt viele Widerstände gegen Renzis Reformpläne. Dafür gebe es eine Erklärung, meint Garavini: Auch in Italien habe man mit dem "Gespenst des Populismus" zu kämpfen. Populistische Strömungen und Politiker versuchten, das Referendum für ihre politischen Zwecke zu nutzen.
"Sie wollen die Reformen nutzen, um die Regierung Renzi zu stürzen. Was leider auch, das muss man sagen, unsere innerparteiliche Opposition mitträgt. Man will Renzi nicht, man hofft, ihn über ein 'Nein' zum Referendum zu stürzen."

Ein "Nein" würde die europafreundlichen Kräfte schwächen

Ein Scheitern des Referendums hätte "bittere Konsequenzen" für Italien, warnt Garavini. Das wäre ein politisches Signal dafür, dass das Land nicht den Mut zu Veränderungen habe. Zugleich würden sich die populistischen Bewegungen im Land als Sieger fühlen.
"Es wäre eine Niederlage für die Reformkräfte und für die europafreundlichen Kräfte im Land. Italien ist zuletzt wieder etwas auf die Beine gekommen. Bei einem 'Nein' wären die Populisten in Italien gestärkt. Und die Wirtschaft würde geschwächt werden."
Laura Garavini wurde 2013 in den Fraktionsvorstand der Demokratischen Partei in der Abgeordnetenkammer gewählt. Dort ist sie für Europa und Auswärtiges zuständig. Seit 2008 gehört sie dem italienischen Parlament an.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Am 4. Dezember, also natürlich diesem Sonntag stimmen die Italiener über eine Reform ab, die die Zentralregierung stärken soll und das politische System stabilisieren. Aber sie stimmen auch über die Regierung von Matteo Renzi, der seine Zukunft mit diesem Referendum verknüpft hat. Bei einem Nein will er zurücktreten, dann sind Neuwahlen wahrscheinlich, aus denen die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung als Sieger hervorgehen könnte. Und all dies, blickt man derzeit auf die Börsen in Italien mit ihren Kursverlusten, könnte massive Turbulenzen auslösen, die auch den Rest von Europa erschüttern würden. Die deutsch-italienische Politikerin Laura Gavarini ist im Vorstand der Fraktion der demokratischen Partei im italienischen Parlament und ist dort zuständig für Europa und auswärtige Angelegenheiten. Ich grüße Sie, Frau Gavarini!
Laura Gavarini: Schönen guten Morgen!
Brink: Sie unterstützen Renzis Reformbemühungen. Was ist denn der Kern der Reform für Sie?
Gavarini: Es ist eine Reform, die Italien moderner und effektiver machen kann. Bislang gibt es in Italien zweimal das gleiche Parlament, mit exakt den gleichen Ausgaben, den gleichen Kompetenzen, und Gesetze müssen jahrelang zwischen den beiden Parlamentskammern hin- und herpendeln, so, also ob es in Deutschland Bundestag eins und Bundestag zwei gäbe. Also, es ist richtig unsinnig. Und diesen Unsinn möchten wir jetzt abschaffen. Das ist eine Reform, über die man in Italien seit 30 Jahren diskutiert, und ein Ja würde bedeuten, dass Italien beweist, dass wir uns endlich mal verändern wollen, dass wir Zukunft gestalten wollen.

Die Strategie Matteo Renzis

Brink: Warum kommt das ausgerechnet jetzt?
Gavarini: Wir haben eben 30 Jahre lang es nicht hingekriegt, jetzt haben wir es endlich mal in das Parlament geschafft mit der Regierung Renzi. Und es wäre eigentlich von der Opposition betriebe worden, weil die Verfassung sieht vor, dass das Volk über die Verfassungsänderung abstimmt. Um zu vermeiden, dass die Opposition einfach sich dafür entscheidet, hat Renzi gesagt, dann stelle ich diese Reform gleich von mir aus zur Volksabstimmung. Aber es wäre zu diesem Referendum so oder so gekommen, weil eben die italienische Verfassung vorsieht.
Brink: Also dass das Volk sozusagen darüber abstimmen muss?
Gavarini: Genau, so ist das.
Brink: Momentan sehen ja die Umfragen das Nein-Lager vorn, und ich frage mich, wenn Sie jetzt gerade erklärt haben, dass diese Reform so notwendig ist, um auch die Funktionsfähigkeit des Staates in allen Bereichen, in allen, wo es Reformbedarf gibt, wenn das so notwendig ist, warum ist dann das Nein-Lager vorn?
Gavarini: Es ist richtig, dass die Umfragen zurzeit gegen uns sprechen, aber aus Großbritannien und den USA wissen wir, was Umfragen in dieser Zeit wert sind – wenig. Deswegen werden wir bis zuletzt für eine Mehrheit für die Reform kämpfen. Wir kämpfen darum, und eben Italien mit dieser Reform einen wichtigen Schritt machen würde, wie ich vorher sagte, um ein moderneres, besseres Land zu werden.

Populisten wollen den Sturz Renzis

Brink: Aber wie erklären Sie sich das dann, dass es so viele Widerstände dagegen gibt?
Gavarini: Tja. Wir haben auch in Italien mit dem Gespenst des Populismus – also die populistische Opposition, Fünf-Sterne-Bewegung, die rechtspopulistische Lega Nord, Berlusconi machen Stimmung gegen diese Veränderungen. Sie wollen die Reformen nutzen, um die Regierung Renzi zu stürzen, was leider auch, das muss man auch sagen, auf unsere innerparteiliche Opposition mitträgt. Und man hofft, man will Renzi nicht, man hofft ihn über ein Nein zum Referendum zu stürzen.
Brink: Aber hat man nicht das Gefühl, dass, wenn diese Reform wirklich scheitert, dass dann auch die Zukunft Italiens bedroht ist, dass man also unfähig ist, eigentlich sich zu reformieren? Oder ist Vernunft einfach keine Kategorie in diesen Tagen?
Gavarini: Na ja, es ist leider so, die Opposition macht ihre instrumentellen Spielchen. In der Tat denke ich, die Konsequenzen für Italien wären bitter. Es wäre politisch einfach das Signal, dass Italien nicht den Mut für Veränderungen hat. Und die populistischen Bewegungen im Land würden sich als Sieger fühlen und würden politisch Auftrieb erhalten. Es wäre eine Niederlage für die Reformkräfte und für die europafreundlichen Kräfte im Land. Italien ist zuletzt wieder etwas auf die Beine gekommen. Bei einem Nein wären die Populisten in Italien gestärkt und auch die Wirtschaft würde geschwächt. Das wäre keine gute Nachricht für Italien und für Europa auch nicht.

Angst vor den wirtschaftlichen Folgen für italien

Brink: Wir haben das ja in der letzten Zeit schon gesehen, guckt man auf die Börsen. Es gibt ja massive Turbulenzen, und die Wirtschaft fürchtet Kursverluste. Es gibt schon Anleger, ausländische Anleger, die darauf wetten, dass es einen Börsenabsturz gibt, wenn das Referendum wirklich mit Nein ausgeht. Was hätte das für Konsequenzen in Italien?
Gavarini: Viele sagen, dass ein Nein wirtschaftlich negative Folgen für das Land hätte. Wir haben in den vergangenen Jahren endlich wieder Wirtschaftswachstum in Italien geschaffen, wenn auch auf geringem Niveau. Aber diese Entwicklung könnte kaputt gemacht werden durch ein Nein beim Referendum. Durch ein Nein zu Veränderungen, die eben auch die Wirtschaft stark will.

Die Europa-Diskussion in Italien

Brink: Und welche Konsequenzen hätte es für Europa. Ich meine, das muss man ja auch mal im Blick haben. Oder spielt das keine Rolle in der Diskussion in Italien?
Gavarini: Doch. Die Folgen wären für Italien, aber eben auch für Europa nicht schön. In Italien würde eine extrem europafreundliche Regierung gestürzt werden, trotz aller Kritik der letzten Zeit, und es würde dann wahrscheinlich eine Regierung von überparteilichen Technikern eingesetzt, die ein Wahlgesetz ausarbeiten wird, nach denen Neuwahlen stattfinden müssen. Also, das Ergebnis wäre, Italien würde instabiler werden, und das ist nicht gut, nicht für Italien und leider für Europa auch nicht.
Brink: Weil Italien eine ganz andere Kategorie ist als einfach Griechenland, auch die Wirtschaft von Italien. Vielen Dank für das Gespräch, Laura Gavarini, Fraktionsvorstand der Demokratischen Partei im Italienischen Parlament. Danke für das Gespräch! Und am Sonntag entscheidet Italien in einem Referendum, ob sich die Verfassung und das ganze politische System in Italien verändern soll, und momentan sehen die Umfragen es nicht gut. Es sieht so aus, als ob das Referendum mit einem Nein enden wird, aber wir wissen am Sonntag dann mehr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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