Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer

"Was Facebook tut, unterliegt keiner demokratischen Kontrolle"

Der Berliner Richter Ulf Buermeyer
Der Berliner Richter Ulf Buermeyer © Friedrich Naumann Stiftung
Ulf Buermeyer im Gespräch mit Christian Rabhansl · 17.09.2016
Der Verfassungsrechtler und Berliner Richter Ulf Buermeyer kritisiert, dass Facebook sich deutschen Strafverfolgungsbehörden entziehe. Er hält auch den Entwurf zur Reform des BND-Gesetzes für "eklatant verfassungswidrig".
Deutschlandradio Kultur: Für die meisten von uns dürften Mord und Totschlag allenfalls ein abendliches Krimivergnügen sein. Für meinen heutigen Gast sind solche Gewalttaten aber weder ein Krimi und vermutlich auch kein Vergnügen, sondern Alltag. Ulf Buermeyer ist Richter am Berliner Landgericht.
Trotzdem reden wir heute weder über Mord, noch Totschlag, eher über Rufmord oder Hass und Hetze im Internet. Denn Ulf Buermeyer ist vor allem auch Fachmann, wenn es um Meinungsfreiheit und staatliche Überwachung im Internet geht. – Guten Tag, Herr Buermeyer.
Ulf Buermeyer: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Wir wollen also darüber sprechen, wo denn der schmale Grat verläuft zwischen freier Meinung und verbotener Hetze, Hate Speech, und wie ein Rechtsstaat seine Regeln durchsetzen kann in einer globalisierten Welt, in der sich Firmen wie Facebook & Co. nur sehr bedingt an nationale Gesetzes gebunden fühlen.
Fangen wir mit einer Definitionsfrage an. Denn Beleidigungen sind juristisch klar definiert, Volksverhetzung auch, aber Hate Speech, darüber wird in den letzten Monaten so viel diskutiert, da weiß ich nicht richtig. Was ist eigentlich Hate Speech?
Ulf Buermeyer: Hate Speech ist in der Tat kein juristischer Begriff, sondern es ist quasi ein Sammelbegriff, der jetzt in der politischen Diskussion vielfach gebraucht wird. Darunter versteht letztlich jeder etwas anderes. Ich denke mal, Volksverhetzung fällt sicher darunter. Aber ob einfach generell kritische Äußerungen, zum Beispiel über geflüchtete Menschen oder über andere Minderheiten schon unter Hate Speech fallen, da hat vermutlich jeder eine etwas andere Vorstellung.
Also, der Begriff ist nicht klar definiert. Das macht auch teilweise die Diskussion etwas schwierig, weil das natürlich zu Missverständnissen führt, wenn der eine sagt, Hate Speech muss schärfer verfolgt werden, und der andere sich fragt, ob das dann nicht die Schwelle zum Beispiel zu einer Beschränkung der Meinungsfreiheit schon überschreitet.
Deutschlandradio Kultur: Warum reden dann Politiker ausgerechnet von Hate Speech, wenn der Begriff offensichtlich gar nicht taugt, um Regeln aufzustellen?
Ulf Buermeyer: Da will ich jetzt gar nicht spekulieren. Wahrscheinlich ist es so, dass dieser Begriff einfach als Modewort in den letzten Wochen bekannt geworden ist. Und Politikerinnen und Politiker stehen ja auch immer so ein bisschen unter Druck, sich verständlich zu machen. Und jeder glaubt zumindest zu wissen, was Hate Speech ist. Das könnte eine Erklärung sein.
Deutschlandradio Kultur: Das Innenministerium hat sich mal per Tweet gegen Meinungen ausgesprochen, die Hate Speech seien, und zwar, "egal ob strafbar oder nicht". – Zucken Sie als Jurist da sehr zusammen, wenn man sich ausgerechnet vom Innenministerium gegen Meinungen ausspricht, egal, ob strafbar oder nicht?
Ulf Buermeyer: Ja, da bin ich auch zusammengezuckt, als ich die Diskussion auf Twitter gesehen habe. Die ist ja relativ breit geteilt worden. Im Kern allerdings, denke ich, hat das Innenministerium da durchaus einen Punkt, denn es gibt ja nicht nur unzulässige Äußerungen, wenn sie strafbar sind, sondern zum Beispiel auch Äußerungen, die in Persönlichkeitsrechte eingreifen, gegen die man sich dann zivilrechtlich wehren kann. Also, unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit gibt es einen durchaus breiten Bereich von Äußerungen, die gleichwohl nicht wiederholt werden dürfen – zum Beispiel, wenn jemand vor Gericht eine Unterlassungsverfügung erwirkt.
Deutschlandradio Kultur: Nun arbeiten Sie als Richter in der echten physischen Welt. Dann gibt es noch die virtuelle Welt, von der manch ein Politiker gelegentlich behauptet, das sei ein rechtsfreier Raum. – Erklären Sie mir das. Gibt es einen Unterschied, ob ich jemanden in der Kneipe beleidige oder auf Facebook?
Ulf Buermeyer: Rechtlich zunächst mal im Ansatzpunkt nicht. Ich glaube, wir haben vor allem ein ganz erhebliches Rechtsdurchsetzungsproblem. Das wiederum hat damit zu tun, dass viele Internetsachverhalte, jedenfalls auf den ersten Blick, internationale Sachverhalte sind. Um bei dem Beispiel Facebook zu bleiben: Wenn jemand dort einen beleidigenden Kommentar einstellt – das muss ja nicht gleich Volksverhetzung sein, auch Beleidigungen sind grundsätzlich strafbar–, dann ist es für die Ermittlungsbehörden häufig sehr schwer zu ermitteln, wer eigentlich dahinter steht. Und dann ist man häufig auf Kooperation des Anbieters, in diesem Fall eben Facebook, angewiesen. Und jedenfalls der Zentralsitz dieser Firma ist in den Vereinigten Staaten. Da zum Beispiel Beschlüsse von Ermittlungsrichtern durchzusetzen, fällt ausgesprochen schwer, weil man da prinzipiell den Rechtshilfeweg beschreiten müsste.
Das heißt also, das Internet ist durchaus kein rechtsfreier Raum, aber es fällt sehr, sehr schwer für Polizei und Justiz, das Recht auch durchzusetzen in diesem virtuellen Raum.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie den Eindruck, wenn dann Politiker trotzdem von einem rechtsfreien Raum sprechen, die benutzen das als rhetorisches Mittel? Oder haben da viele schlicht keine Ahnung, wovon sie reden?
Ulf Buermeyer: Ich glaube, dass viele sich mit dem Internet nicht so im Detail beschäftigen. Das ist häufig auch dem Umstand geschuldet, dass wir praktisch alle das Internet täglich nutzen. Und die wirklichen Probleme der Strafverfolgungsbehörden sind da eben häufig deutlich komplizierter. Zum Beispiel hängt es auch davon ab, mit wem man sich bei der Polizei unterhält.
Es gibt einige Polizeibeamte, die zum Beispiel die Kooperation von Facebook für in Ordnung halten. Es gibt andere, die von einer Katastrophe sprechen, jedenfalls wenn man sie nicht namentlich damit zitiert. Und dafür gibt es gute Gründe. Vielleicht kommen wir dazu ja noch.
Deutschlandradio Kultur: Na, kommen wir doch gleich dazu!
Ulf Buermeyer: Es ist einfach so, dass es heute sehr, sehr schwer ist, Facebook tatsächlich zur Kooperation zu zwingen. Man ist auch als Ermittlungsbehörde weitgehend auf eine freiwillige Kooperation angewiesen.
Dann gibt es einige, zum Beispiel Polizeibeamte, die für besonders schwere Straftaten zuständig sind, Mord und Totschlag beispielsweise, wo die Kooperation üblicherweise relativ gut ist. Man kann sie zwar nicht erzwingen, aber meist klappt das ganz gut. Deswegen sind diese Ermittler relativ glücklich mit dieser Zusammenarbeit, sagen aber zugleich: Um Gottes Willen, keine Kritik an Facebook, denn wenn die sich mal irgendwann gleichsam auf den Schlips getreten fühlen, wer weiß, ob sie dann noch weiter mitspielen. – Es ist also letztlich eine Art Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich die deutschen Ermittlungsbehörden befinden, gerade weil es kein rechtlich geregelter Raum ist, sondern ein Raum der freiwilligen Kooperation eines ausländischen Unternehmens. Jedenfalls bisher noch. Deswegen gibt es ja bereits auch einige Forderungen im politischen Raum. Die halte ich für ausgesprochen weise, dass man von dieser freiwilligen Kooperation, was ja letztlich wirklich eine Art ungeregelter Raum jedenfalls ist, wegkommen muss und stattdessen wieder klare Spielregeln braucht, die dann auch gegenüber zum Beispiel Facebook durchgesetzt werden können, damit sich Polizeibeamte nicht mehr gleichsam in einer Art Abhängigkeitsverhältnis fühlen.
Deutschlandradio Kultur: Da meinen Sie jetzt aber nicht die Debatte um Hate Speech oder um Hasskommentare, über die wir vorher sprachen, sondern beispielsweise, dass Ermittlungsbehörden Daten haben wollen. Wer hat denn da etwas geschrieben?
Ulf Buermeyer: Ja, zum Beispiel. Darum geht es. Wer hat denn da etwas geschrieben? Das wäre ein Bespiel für eine Abfrage, wo Facebook eben typischerweise weit weniger kooperativ ist. Ich wollte nur skizzieren, warum bestimmte Polizeibeamte glücklich sind mit der Kooperation, andere weniger. Das hängt einfach vom Deliktsbereich ab und letztlich damit auch von den Wertvorstellungen bei Facebook, welche Straftaten Grundlage für eine Kooperation sein können und welche weniger.
Deutschlandradio Kultur: Schon vor einem Jahr hat Bundesjustizminister Heiko Maas versucht, Facebook stärker in die Pflicht zu nehmen gegen Hass und Hetze online vorzugehen und hat gemeinsam mit denen eine Art Task Force gegründet. Da werden aber eigentlich nur die Hausregeln von Facebook umgesetzt. Also: Verboten sind direkte Angriffe auf Personen aufgrund von Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlecht bzw. geschlechtlicher Identität und aufgrund schwerer Behinderung oder Krankheit. – Das reicht doch eigentlich völlig aus, oder?
Ulf Buermeyer: Das wäre jedenfalls ein Teil dessen, was wir in Deutschland als jedenfalls potenziell strafbar ansehen. Also, einiges davon jedenfalls könnte ja Volksverhetzung sein. Aber es gibt natürlich in Deutschland auch andere Straftaten, die möglicherweise nicht in diesen Katalog fallen. Und das ist ja auch nicht der gesamte Bestand an Hausregeln von Facebook, sondern sie haben ja auch ein großes Problem mit nackter Haut zum Beispiel. Wenn man also zum Beispiel ein Foto von einem Baby auf Facebook einstellt, dann geht man ein hohes Risiko ein, dass das einfach gelöscht wird, weil es irgendwelchen amerikanischen Moralvorstellungen möglicherweise nicht entspricht.
Das muss man einfach sehr deutlich sagen, dass es da einen Bereich gibt, eine Schnittmenge gibt zwischen der deutschen Rechtsordnung und den Hausregeln von Facebook. Aber teilweise sind die Hausregeln weiter, teilweise sind sie enger. Und insofern kann man schon davon sprechen, dass Facebook da so eine Art privates Recht etabliert hat.
Deutschlandradio Kultur: Was geht da als Jurist in Ihnen vor, wenn Sie sehen, dass ein Privatkonzern die Urteilshoheit darüber übernimmt, was denn geht und was nicht?
Ulf Buermeyer: Das ist, denke ich, durchaus eine problematische Situation, die mich aber weniger als Juristen zum Nachdenken bringt, sondern als Staatsbürger. Denn letztlich geht es ja um die Frage, welchen Einfluss man in einer Demokratie denn tatsächlich noch auf die Ausübung von Macht hat. Normalerweise hat man über die Wahlen zum Beispiel zum Bundestag die Möglichkeit, Gesetze mit zu beeinflussen. Und diese Gesetze regeln dann im Großen und Ganzen unser Zusammenleben, jedenfalls so eine Art Minimalkonsens.
Was Facebook tut, unterliegt überhaupt keiner demokratischen Kontrolle. Das heißt also, meine Bedenken kommen da eher aus einer, wie soll ich sagen, politischen Sicht der Dinge, als aus einer spezifisch juristischen Sicht. Und ich glaube, dass dieser Fall auch sehr schön zeigt, dass alleine das Argument, es handele sich um einen privaten Raum, weil es eine private Firma ist, ab einer bestimmten gesellschaftlichen Bedeutung eines Unternehmens nicht mehr zieht. Da gibt es auch andere Beispiele dafür, dass Unternehmen, die formal privat sind, bestimmten Bindungen unterliegen, bestimmten rechtlichen Bindungen, zum Beispiel nicht mehr sich völlig frei auswählen können, mit wem sie Verträge abschließen. Und ich denke, wir müssen bei Unternehmen, die so wie Facebook relevant sind für die demokratische Kultur und für den Diskurs in einer Demokratie, bei solchen Unternehmen müssen wir schon darüber nachdenken, ob wir uns da ausschließlich auf letztlich willkürliche Hausregeln und deren ebenso willkürliche Durchsetzung verlassen können oder ob wir hier nicht irgendeine Form von demokratischer Kontrolle brauchen.
Deutschlandradio Kultur: Die Bundesregierung scheint ja aber in einem neuen Schritt Facebook eher noch mehr Macht geben zu wollen. Nachdem die Hausregeln jetzt schon dafür sorgen, was gelöscht wird und was nicht gelöscht wird, will Bundesinnenminister Thomas de Maizière jetzt noch vereinbaren, dass Uploadefilter installiert werden. Das heißt, Inhalte, Videos beispielsweise, die bereits einmal gelöscht wurden, sollen direkt, wenn jemand versucht sie neu einzustellen, erkannt werden und sich gar nicht hochladen lassen – also noch mehr Macht für dieses Privatunternehmen.
Ist das vielleicht aus Sicht der Bundesregierung sogar ganz bequem, weil sich die Regierung für gesetzliche Regelungen im Einzelnen rechtfertigen müsste und Facebook eben nicht?
Ulf Buermeyer: In der Tat entzieht ein solches Gentlemen‘s Agreement zwischen dem Innenministerium und Facebook die dort getroffenen Regelungen jeder demokratischen Kontrolle. Man kann da nur noch ganz mittelbar über die Kontrolle der Regierung im Ganzen Einfluss auf diese Regel nehmen. Da würde ich Ihre Einschätzung teilen, dass das ausgesprochen praktisch sein kann. Aber im Kern, glaube ich, muss es ja immer darum gehen: Welche Regeln sind es denn eigentlich, die durchgesetzt werden? Wenn man dann die Durchsetzung dieser Regeln nur effizienter gestaltet, zum Beispiel mit Hilfe automatischer Filter, die eine einmal getroffene Sperrentscheidung in Zukunft weiter durchsetzen, dann habe ich damit kein Problem. Sondern die eigentliche Frage ist: Welche Regeln gelten und wer kontrolliert diese Regeln?
Da wiederum habe ich den Eindruck, dass viele Politiker ein bisschen vor der Aufgabe zurückschrecken, sich die Frage zu stellen, welche Regeln auf Facebook eigentlich gelten sollen. Immerhin gibt es ja Hausregeln. Und manches von diesen Hausregeln würde sich vielleicht auch decken mit unseren Wertentscheidungen in Deutschland. Dann hofft man zunächst mal, dass es weitgehend unfallfrei funktioniert, anstatt sich eben die Frage zu stellen, wie man Einfluss nehmen kann. Das wäre ja auch eine Frage, die nicht ganz einfach zu entscheiden ist. Das muss man zugestehen. Denn Facebook ist ein internationales Unternehmen. Das heißt, man müsste im Grunde für jeden Sachverhalt auf Facebook zunächst mal entscheiden, welches nationale Recht gilt.
Wenn zum Beispiel zwei Menschen aus Tansania sich auf Facebook unterhalten, dann würden wir ja aus deutscher Sicht grundsätzlich nicht auf den Gedanken kommen, dass da deutsches Recht gelten soll. Also, wenn man sich da von diesen reinen Hausregeln verabschiedet und wieder zu einer Durchsetzung staatlichen Rechts kommen möchte, dann muss man die Frage beantworten: Welches Recht denn eigentlich? Amerikanisches, deutsches oder welches auch immer? Und das ist eine komplexe Frage.
Die ist nicht völlig neu. Internationale Sachverhalte gab es immer schon, aber mein Eindruck ist ein bisschen, dass die Politik einfach hofft, dass man mit Facebook und seiner eigenen Rechtsdurchsetzung irgendwie über die Runden kommt.
Deutschlandradio Kultur: Auf welche Lösung würden Sie hoffen?
Ulf Buermeyer: Ich denke, dass man dieses Demokratiedefizit auf Facebook auf Dauer nicht hinnehmen kann. Denn dazu ist die Bedeutung für den Diskurs in der Gesellschaft, für unser politisches System letzten Endes auch zu groß geworden. Und die Hausregeln scheinen mir da doch nicht auszureichen. Insofern muss man sich vermutlich dieser Aufgabe stellen, ob nicht das deutsche Recht tatsächlich für bestimmte Sachverhalte auf Facebook gelten kann.
Wenn sich zum Beispiel zwei Deutsche, die auch in Deutschland leben, auf Facebook austauschen, habe ich grundsätzlich keine Bedenken, auch von der Geltung deutschen Rechts auszugehen. Und dann ist die Frage, wie man das effektiv durchsetzen kann.
Da, glaube ich, wird Facebook auf Dauer – ich nenne jetzt immer Facebook, das ist aber nur ein Beispiel für Internetunternehmen, es gibt ja eine ganze Reihe sehr relevanter Internetunternehmen – da wird sich Facebook, glaube ich, nicht auf Dauer darauf zurückziehen können zu sagen: Wir sind ein Unternehmen aus Kalifornien oder, soweit es um europäische Niederlassungen geht, aus Irland.
Denn es gibt ja eine ganze Reihe von Menschen, die in Deutschland für Facebook arbeiten. Wenn man zum Beispiel Werbung buchen will auf Facebook, gibt es selbstverständlich Ansprechpartner in Deutschland. Soweit ich weiß, gibt es auch ein Berliner Büro, wo man mit Facebook-Mitarbeitern quasi geschäftlich zusammentreffen kann. Für mich persönlich ist völlig unverständlich, wieso da nicht auch eine Kontaktstelle für deutsche Strafverfolgungsbehörden eingerichtet wird, quasi eine Faxnummer in Deutschland, wo dann ein Mitarbeiter in Deutschland sitzt, der Zugriff hat auf die Datenbanken in Irland oder in Kalifornien.
Möglicherweise kann man Facebook dazu nicht rechtlich zwingen, aber das wäre ein Deal, auf den der Bundesjustizminister hinwirken müsste. Denn das würde wirklich dazu führen, dass man auch zum Beispiel auf Facebook effektiv ermitteln kann.
Für mich ist nicht einleuchtend, wieso Facebook in Deutschland nach deutschem Recht Werbung verkauft, aber sich den Strafverfolgungsbehörden weitgehend entzieht und, wie gesagt, nur nach Gutdünken kooperiert.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über große Internetkonzerne wie Facebook gesprochen, die weltweit maßgeblich dafür verantwortlich sind, was wir eigentlich zu sehen bekommen, wie wir unsere Meinung bilden. Sehen wir uns die andere Seite an, nämlich die, die sich dafür interessieren, was wir denn da alles posten und schreiben. Und damit meine ich jetzt nicht die werbetreibende Wirtschaft, die hinter Facebook steht, sondern damit meine ich unsere eigenen Sicherheitsbehörden, den BND zum Beispiel.
Der BND hatte jüngst, wie auch die Bundesregierung und etliche Bundesbehörden, einen Tag der Offenen Tür. Sind Sie da hingegangen?
Ulf Buermeyer: Nein, ich war an dem Wochenende nicht in Berlin. Deswegen habe ich das leider verpasst.
Deutschlandradio Kultur: Hätten Sie die Hoffnung gehabt, dort wirklich einen Einblick zu bekommen?
Ulf Buermeyer: Nein. Ich finde es natürlich gut, dass die Bundesregierung einen Tag der Offenen Tür durchführt, einfach weil es ein Schritt hin ist zu mehr Bürgernähe. Wir tun das auch. Im Landgericht Berlin gibt es auch einmal im Jahr einen Tag der Offenen Tür, sogar mit quasi gespielten Strafverhandlungen. Also, wir bemühen uns auch um eine gewisse Bürgernähe, ich finde es gut, dass wir das tun. Insofern begrüße ich das auch bei der Bundesregierung, aber ich glaube nicht, dass man da insbesondere über die Arbeit von Nachrichtendiensten irgendwas Neues erfahren kann.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben in den letzten drei Jahren trotzdem eine Menge Neues erfahren über die Nachrichtendienste. Das hat angefangen mit den Enthüllungen von Edward Snowden über die amerikanischen Geheimdienste. Das brachte eine Menge Untersuchungen auch in Deutschland ins Rollen. Und dabei haben wir auch viel über die deutschen Dienste erfahren.
Gerade neulich erst kam ein Bericht der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff von Anfang des Jahres ans Licht, über eine Horchstelle des BND in Bad Aibling. 18 Rechtsverstöße hat sie da festgestellt, zwölf offizielle Beanstandungen ausgesprochen. Das sind mehr als sie sonst in einem ganzen Jahr ausspricht. – Hat Sie das in dieser Schärfe dann doch, selbst nach diesen drei Jahren, noch überrascht?
Ulf Buermeyer: Nein, es hat mich nicht überrascht. Überrascht hat mich eigentlich eher, dass die Bundesdatenschutzbeauftragte so deutlich Stellung bezogen hat. Dass die Arbeit des BND in Bad Aibling rechtlich nicht immer auf ganz sicherem Boden steht, das ist für Beobachter schon seit längerem klar. Das ist immer wieder angeklungen – im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Beispiel. Aber dass die Bundesdatenschutzbeauftragte gleichsam den Mut hatte, das so deutlich zu sagen, was im Grunde alle wussten, das finde ich bemerkenswert. Und das nötigt mir auch großen Respekt ab. Denn bislang ist sie ja doch sehr blass geblieben in ihrer Rolle. Und das wiederum trägt sicherlich zur Profilbildung bei, auch wenn es sich ja um einen Bericht handelt, der nur Dank eines Leaks bei Netzpolitik.org überhaupt an die Öffentlichkeit gekommen ist.
Deutschlandradio Kultur: Zeigt dieser Bericht, wie gut die Kontrolle funktioniert? Oder zeigt er vor allem, wie viel im Argen liegt?
Ulf Buermeyer: Ich denke, der Bericht macht vor allem deutlich, dass die parlamentarische Kontrolle – jedenfalls des BND, soweit er in Bad Aibling tätig ist – quasi überhaupt nicht funktioniert hat. Anders ist ja nicht zu erklären, dass eine Bundesbehörde, die grundsätzlich an das Recht gebunden ist, in so eklatanter Weise gegen das Recht verstößt. Das lässt sich ja eigentlich nur so erklären, dass es keine Instanz gibt, die dafür sorgt, dass sie das Recht einhält. Sonst hätte Andrea Voßhoff nicht so viele Beanstandungen vorzunehmen gehabt.
Deutschlandradio Kultur: Der BND wird ja nun reformiert. Das BND-Gesetz wird reformiert. – Wird damit alles besser?
Ulf Buermeyer: Nein. Das muss man sehr deutlich sagen. Der Reformentwurf der Bundesregierung ist nicht dazu geeignet, die Arbeit des BND irgendwie besser zu kontrollieren oder zu begrenzen, im Gegenteil. Das, was der Dienst bislang – jedenfalls nach der rechtlichen Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten – weitgehend im Illegalen getan hat, soll jetzt nur auf eine rechtliche Grundlage gestellt werden. Das sind schon extrem weitreichende Regelungen, weil – im Kern jedenfalls – das Mitschneiden des gesamten Internetverkehrs erlaubt werden soll, sofern das Bundeskanzleramt das jeweils für ein bestimmtes 'Netz' – wie es jetzt heißt, was ja ein viel weiterer Begriff als 'Leitung' ist – erlaubt hat.
Das muss man sehr deutlich sagen. Das ist letztlich die Aufgabe des Telekommunikationsgeheimnisses, jedenfalls gegenüber dem BND. Das ist ein Paradigmenwechsel.
Deutschlandradio Kultur: Es steht aber doch ziemlich klar drin: Die Daten von Deutschen dürfen nicht genutzt werden.
Ulf Buermeyer: Richtig. Das soll so nicht sein. Allerdings setzt der BND zu diesem Zweck automatische Filtersysteme ein. Und es ist allgemein bekannt, und das räumt er auch ein, dass diese Filtersysteme natürlich nie präzise sein können. Die gehen zum Beispiel danach, ob eine Telefonnummer eine deutsche Telefonnummer ist. Sobald aber zum Beispiel ein Deutscher eine ausländische Telefonnummer benutzt, und ich selber habe beispielsweise auch unter anderem eine amerikanische, weil ich mal eine Weile in USA gelebt habe und die Nummer immer noch habe, dann würde ich da nicht ausgefiltert, weil ich dann eben aussähe wie ein Amerikaner. So einfach lassen sich diese Computersysteme "austricksen". Beziehungsweise so nachlässig wird da mit grundrechtlichen Bindungen umgegangen.
Letztlich weiß jeder, dass diese Filtersysteme nicht zuverlässig funktionieren, aber man setzt sie gleichwohl ein. Und das wird sich auch mit diesem neuen Gesetzentwurf nicht ändern.
Deutschlandradio Kultur: Ist die Sicherheit der gesamten Bevölkerung nicht schwerwiegender als ein paar Fehltreffer?
Ulf Buermeyer: Das finde ich ein sehr überzeugendes Argument, wenn man davon ausgeht, dass tatsächlich die Sicherheit der Bevölkerung substantiell verändert werden kann. Das ist, denke ich, die Frage der Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen. Die Eingriffe, die dort vorgenommen werden sollen, sind verfassungsrechtlich gedeutet extrem schwer. Es bräuchte also extrem wichtige Gemeinschaftsgüter. Und nur zu behaupten, dass man mit solchen Maßnahmen tatsächlich der Terrorgefahr begegnen kann, kann da – aus meiner Sicht jedenfalls – nicht ausreichen, sondern da müsste man evidenzbasiert entscheiden, ob es denn tatsächlich erforderlich ist, dass gerade der BND gerade diese Maßnahmen trifft.
Man muss dabei sehen, dass es sich hier ja eben nicht um gezielte Überwachungsmaßnahmen gegenüber Terrorverdächtigen handelt. Dazu gibt es andere Behörden, die dafür zuständig sind, die gegenüber bekannten Gefährdern eingreifen können, insbesondere das Bundeskriminalamt hat hier sehr weitreichende Möglichkeiten, aber auch die Verfassungsschutzbehörden. Sondern der BND durchsucht das Internet eben völlig ungezielt nach bestimmten Schlüsselbegriffen und gerade nicht mit Fokussierung auf bestimmte Personen.
Ob diese Schleppnetzfahndung, wie manche Leute sie bildhaft nennen, überhaupt irgendwelche Erfolge zeitigt, das ist zumindest nicht klar. In den Vereinigten Staaten gab es da mal eine Evaluation zu parallelen Programmen der NSA. Deren Ergebnis war extrem ernüchternd. Es wird immer geredet von über fünfzig verhinderten Terrorangriffen. Und bei einer genaueren Prüfung ließ sich kein einziger dieser Fälle erhärten. Man weiß also schlicht nicht, ob diese ganzen Fahndungsprogramme – man kann sie auch Spionageprogramme nennen – ob die irgendwas bringen. Was dagegen sicher ist, sind die Eingriffe in unser aller Privatsphäre.
Deutschlandradio Kultur: Sicher ist aber auch, dass wir in Deutschland bislang keinen wirklich großen Terroranschlag hatten.
Ulf Buermeyer: Das ist absolut richtig. Aber woher das tatsächlich kam, weiß man nicht. Wenn man sich die Anschläge zum Beispiel in Frankreich und in Belgien anguckt, dann stellt man fest, dass die dortigen Attentäter alle bekannt waren, alle unter Überwachung standen und sogar unter gezielter Überwachung, und selbst das nichts gebracht hat.
Dieses Beispiel würde uns also lehren, dass wir bei den Sicherheitsbehörden nicht noch mehr Daten brauchen, sondern vor allem noch mehr Menschen. In Berlin ist es natürlich besonders schlimm bei der Landespolizei, was den Personalmangel angeht, aber auch auf Bundesebene. Also, wenn dort Initiativen ergriffen werden, um den Personalbestand aufzustocken, gerade bei den klassischen Sicherheitsbehörden, beim Bundeskriminalamt zum Bespiel oder bei der Bundespolizei, dann halte ich das für eine sehr zielführende Maßnahme, weil natürlich neue Aufgaben auf diese Behörden zugekommen sind. Aber ob wir wirklich die ungerichtete Internetfahndung in dieser Weise brauchen, ist eine zumindest offene Frage.
Deutschlandradio Kultur: Und die steckt in dieser Reform des BND-Gesetzes mit drin. Und Sie sind ja mit Ihrer Kritik nicht allein. Sogar die Vereinten Nationen haben sich eingeschaltet und die geplanten Änderungen kritisiert. Drei UN-Sonderberichterstatter haben in einer Stellungnahme formuliert: Diese geplante Reform verstoße "gegen internationale Menschenrechtsstandards", weil – nur als ein Beispiel – sogar die Kommunikation zwischen Anwälten und ihren Mandanten überwacht werden darf…
Ulf Buermeyer: …ja, oder auch die Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Quellen, was natürlich in der Demokratie auch ein großes Problem ist. Das muss man sich überlegen. Wenn der gesamte Internetverkehr vom BND mitgeschnitten wird, dann geht jeder, der sich zum Beispiel an die Presse wendet, um einen Missstand mitzuteilen, ein enormes Risiko ein, dass der BND einfach diesen Datenverkehr mitschneidet.
Deutschlandradio Kultur: Beide Beispiele sind nun keine Lappalie. Es ist schwer vorstellbar, dass das in der Bundesregierung bei der Erarbeitung dieser Gesetzesänderung niemandem aufgefallen ist. – Wie erklären Sie sich diese andauernden Rechtsbrüche und die nachträgliche Legalisierung von Rechtsbrüchen?
Ulf Buermeyer: Das ist extrem schwer zu entscheiden, woran das tatsächlich liegt. Denn dazu müsste man ja den handelnden Personen in den Kopf schauen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass gerade im Bundesministerium des Inneren – einfach deswegen, weil es für die Sicherheit zuständig ist und für die Bedrohungslage – sehr schnell der Eindruck entsteht von extrem großen Bedrohungen. Und dass dabei dann die Gefahren für die Bürgerrechte vielleicht ein wenig aus dem Blick geraten. Das kann ich menschlich ganz gut verstehen, aber ich denke, das sollte politisch jedenfalls nicht die alleinige Leitschnur sein.
Natürlich muss ein Staat auch für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger sorgen, aber er darf dabei – aus meiner Sicht jedenfalls – nicht die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen aus dem Blick verlieren. Er sollte sich also bei jeder Maßnahme stets genau fragen: Welche Eingriffe werden hier vorgenommen und was bringen die wirklich? Allein Sicherheitsrhetorik bringt uns nicht weiter, sondern Maßnahmen, die sichtbare und messbare Sicherheitsgewinne bringen und dabei nur kalkulierte Grundrechtseingriffe mit sich bringen.
Deutschlandradio Kultur: Glauben Sie, dieses geplante BND-Gesetz ist verfassungskonform?
Ulf Buermeyer: Nein.
Deutschlandradio Kultur: Werden Sie klagen?
Ulf Buermeyer: Ich persönlich habe mir das noch nicht überlegt, aber ich weiß von einer ganzen Reihe von Initiativen. Es wird mit Sicherheit in Karlsruhe auf den Prüfstand gestellt werden.
Deutschlandradio Kultur: Und da sind Sie zuversichtlich, dass das in kürzester Zeit schon wieder gestoppt ist?
Ulf Buermeyer: Ich kann nur so viel sagen: Ich halte das für eklatant verfassungswidrig, was sich dort findet, letztlich schon aus formalen Gründen, weil es sich um Eingriffe handelt in das Telekommunikationsgeheimnis. Ein Gesetz, das solche Eingriffe vornimmt, muss ausdrücklich darauf hinweisen, dass ein bestimmtes Grundrecht eingeschränkt wird. Es fehlt in diesem Gesetzentwurf schon an dieser Formalie. Und das würde es dem Bundesverfassungsgericht sehr leicht machen, wenn es das wollte, diese Reform letztlich schon aufgrund einer Formalie sehr schnell wieder für nichtig zu erklären.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben vorhin schon über die Kontrolle der Geheimdienste gesprochen. Teil dieses Reformpakets ist es auch, dass die Kontrollmöglichkeiten eher eingeschränkt werden, dass beispielsweise die Bundesdatenschutzbeauftragte sich mit ihren Ergebnissen nicht mehr direkt ans Parlament oder auch nur ans Kontrollgremium wenden dürfte. Also, dieser Bericht über Bad Aibling, über diesen vorhin sprachen, den dürfte sie womöglich nicht mehr dem zuständigen Gremium geben. – Ist das verfassungskonform?
Ulf Buermeyer: Das ist eine schwierige Frage. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings immer wieder auf die große Bedeutung der datenschutzrechtlichen Kontrolle gerade im Bereich heimlicher Informationseingriffe verwiesen. Und diese Kontrolle zum Beispiel durch die Bundesdatenschutzbeauftragte derart zu erschweren, ist aus meiner Sicht jedenfalls politisch völlig unerklärlich. Da sind die Motive offensichtlich, aber es ist politisch völlig unerklärlich, wie man das ernsthaft vorschlagen kann. Und rechtlich halte ich es zumindest für extrem problematisch, weil eine schlechte Datenschutzkontrolle verfassungsrechtlich betrachtet das Gewicht von Eingriffen nochmals erhöht.
Deutschlandradio Kultur: Vor einigen Wochen schon hat die Bundeskanzlerin angekündigt eine neue Spezialbehörde gründen zu wollen. ZITiS soll die heißen, mit 400 Spezialisten, Cyberermittler, aber auch mit Spezialisten, die Gesichtserkennung vorantreiben sollen, und die Verschlüsselung knacken sollen.
Das ist jetzt auch so ein Punkt, wo ich hoffe, Sie können vielleicht in Köpfe reinschauen. Der Bundesinnenminister, zuständig für die IT-Sicherheit in Deutschland, sagt immer, wir sollen alle möglichst viel verschlüsseln. Und als Bundesinnenminister, zuständig für die Sicherheit, sagt er, und dann kommen wir und knacken euch die Verschlüsselung wieder. – Ist das für Sie nachvollziehbar?
Ulf Buermeyer: Ich muss gestehen, dass da auch in meiner Brust durchaus zwei Herzen schlagen. Denn in meiner Alltagsarbeit bin ich ja auch darauf angewiesen, dass Ermittler in der Lage sind, Beweise gegen Beschuldigte tatsächlich zu sammeln oder möglicherweise auch entlastende Beweise sammeln können. Auf der anderen Seite aber sichert Verschlüsselung die Vertraulichkeit der Kommunikation, jedenfalls wenn man sie richtig einsetzt. Und angesichts der völlig ungerichteten breiten Internetüberwachung durch Geheimdienste ist Verschlüsselung derzeit im Grunde die einzige Möglichkeit, überhaupt noch vertraulich kommunizieren zu können.
Wobei man immer im Blick behalten muss, dass die Verschlüsselung sich bei den meisten Verfahren nur auf die Inhalte bezieht. Das heißt also, die sogenannten Meta-Daten, wer kommuniziert mit wem, lassen sich dadurch nicht verbergen. Ein Geheimdienst kann also immer noch Beziehungsgeflechte herstellen aufgrund von Kommunikation, aber er kann immerhin nicht mehr reinschauen in die Nachrichten.
Insofern ist das in der Tat eine sehr schwierige Balance, die da zu schlagen ist. Eins kann man mit Sicherheit sagen: Verschlüsselungsverfahren mit Hintertür oder Verschlüsselungsverbote funktionieren nicht. Das führt nämlich nur dazu, dass dann nur noch die Bösen Verschlüsselung einsetzen. Ganz ehrlich: Wer sich in die Luft sprengen will oder wer langjährige Haftstrafen in Kauf nimmt, der wird die im Zweifel vergleichsweise geringen Strafen für Verschlüsselung sicherlich gerne in Kauf nehmen. Also, das bringt nichts. Das würde nur dazu führen, dass in der Breite der Bevölkerung Kommunikation nicht mehr gesichert werden könnte.
Das weiß, glaube ich, auch die Bundesregierung. Insofern weiß ich letztlich gar nicht, was ZITiS denn eigentlich bewirken soll. Wenn man sichere Verschlüsselung einsetzt, kann ZITiS letztendlich nicht viel erreichen. Andererseits die technischen Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden in einer Dienststelle zu sammeln, birgt auch das Potenzial für Effizienzgewinne. Das würde ich dann begrüßen.
Deutschlandradio Kultur: Das schon. Aber trotzdem: Macht eine Sicherheitsbehörde durch das Knacken von Verschlüsselung unser aller Leben in Wirklichkeit unsicherer?
Ulf Buermeyer: Das hängt davon ab, wie das Knacken im Einzelnen vor sich geht. Wirklich gut eingesetzte Verschlüsselungsverfahren lassen sich ohne weiteres auch gar nicht knacken. Das heißt also, es könnte gut sein, dass da auch eine Menge Geld verschenkt wird. Aber natürlich haben Verschlüsselungsverfahren auch immer wieder Fehler. Und da wird es dann besonders gefährlich, wenn eine solche Behörde systematisch darauf setzt, Fehler geheim zu halten. Denn Fehler in Software können natürlich nur geschlossen werden, wenn sie bekannt werden. Wenn also der Hersteller oder im Bereich von Opensource die Community weiß, dass es da eine Sicherheitslücke gibt, und sie dann eben beheben kann.
Wenn eine Behörde wie zum Beispiel ZITiS auf dem Schwarzmarkt Sicherheitslücken einkauft, was ja durchaus gelegentlich vorkommt, und die dann gezielt geheim hält, um damit zum Beispiel Ermittlungen zu fördern, dann würde das dazu führen, dass bekannte Sicherheitslücken nicht geschlossen werden können. Und das würde in der Tat unser aller Sicherheit beeinträchtigen, um einige wenige Beschuldigte gezielt überwachen zu können.
Deutschlandradio Kultur: Ulf Buermeyer, wir haben jetzt eine halbe Stunde lang über Hate Speech gesprochen, darüber, wie der Staat versucht dagegen vorzugehen und wie der Staat gleichzeitig Plattformen wie Facebook nutzt, um uns zu überwachen und jetzt am Ende unsere Verschlüsselung zu knacken.
Diese ganzen Debatten hat Edward Snowden vor drei Jahren ins Rollen gebracht. Und er hat vor wenigen Tagen Europa nochmal sehr gelobt. Er hat gesagt: Europa sei der größte Champion für Menschenrechte. Europa sei die Hoffnung der Welt. – Nach allem, über was wir jetzt eine halbe Stunde lang gesprochen, geben Sie ihm da Recht?
Ulf Buermeyer: Ich würde ihm da Recht geben. Ich glaube, dass wir in Europa trotz aller Probleme, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind, immer noch die relativ gut funktionierenden Demokratien auf dieser Welt haben. Wir haben eine relativ gute Lage der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Insofern, denke ich, haben wir durchaus eine Chance, auch in diesen Diskursen zu zeigen, dass die Demokratie eine ausgesprochen leistungsfähige Staatsform ist. Man muss nur, denke ich, den gegenwärtigen Herausforderungen des Extremismus effektiv begegnen, weil die ja letzten Endes Hand an die Demokratie als solche legen wollen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Buermeyer, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
Ulf Buermeyer: Vielen Dank.

Ulf Buermeyer, geboren 1976 in Osnabrück, ist Richter am Landgericht Berlin und promovierte an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/Main mit einer Arbeit über "Informationelle Selbstbestimmung im Strafvollzug". An der Columbia Law School in New York City absolvierte er einen Master of Laws (LL.M.). Ulf Buermeyer ist Fellow des Center for Internet and Human Rights an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Er twittert unter @vieuxrenard