Wolfram Eilenberger über "Zeit der Zauberer"

Die letzten Giganten

Die Philosophen Martin Heidegger (l), Ludwig Wittgenstein und Walter Benjamin
Die Philosophen Martin Heidegger (l), Ludwig Wittgenstein und Walter Benjamin © imago/United Archives International/picture alliance/dpa/Wittgenstein Archive Cambridg/Heinzelmann
Moderation: René Aguigah · 15.03.2018
Die 1920er-Jahre waren die letzte große Zeit der deutschsprachigen Philosophie, meint Wolfram Eilenberger. Geprägt wurde sie vor allem durch vier "Zauberer", in deren Spur wir heute noch denken.
Walter Benjamin, Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein und Ernst Cassirer – um diese vier Philosophen kreist das neue Buch des Philosophen und Publizisten Wolfram Eilenberger, "Zeit der Zauberer".
Diese seien nicht nur "Giganten der Philosophie des 20. Jahrhunderts", sondern auch "Gigantomanen" gewesen, denen es um nicht weniger gegangen sei, als die gesamte Philosophie zu revolutionieren, so Eilenberger auf der Leipziger Buchmesse im Gespräch mit unserem leitenden Redakteur René Aguigah. "Ich würde tatsächlich sagen, es sind die letzten vier Denker des 20. Jahrhunderts, die sich diesem Anspruch gestellt haben und die ihn auch eingelöst haben."
Ludwig Wittgenstein etwa, dessen Tractatus Logico-Philosophicus nicht nur die Hinwendung zur Sprach- und analytischen Philosophie begründete. Sondern mit diesem Werk habe Wittgenstein auch beansprucht, alle philosophischen Fragen "im Wesentlichen" gelöst zu haben.
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Leipziger Buchmesse: Der Philosoph Wolfram Eilenberger spricht mit René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur) über sein neues Buch "Zeit der Zauberer".© Deutschlandradio / Stefan Fischer
Oder Martin Heidegger, ohne den weder die Hermeneutik noch der Existenzialismus denkbar wären: Dieser sei seiner Zeit mit einer "Zerfallsdiagnose" begegnet, "dass das ganze abendländische Denken, so wie wir es vorfinden, zu destruieren ist", sagt Eilenberger. "Das ist ein ganz radikaler Zug, der dann in 'Sein und Zeit' seinen ersten Ausdruck in einem großen Werk findet."

Den Menschen ins Freie führen

Walter Benjamin wiederum habe ein feines Gespür für die Auswirkungen der Explosionen des Denkens und der Medienwelt gehabt, die sich in den 1920er-Jahren vollzogen, als es mit Ozeandampfern, Flugzeugen und Zeppelinen einen ersten Globalisierungsschub gegeben habe und gleichzeitig eine mediale Revolution stattgefunden habe: In dem Gefühl, dass seine Kultur "tief verstört" sei, habe Benjamin einen Ursprungsort in seinem Denken gesucht, an dem dieser Einbruch sich vollzogen habe. "Er will durch eine genaue Beschreibung der Warenwelt zeigen, was mit ihm selbst und den Menschen, die ihn umgeben, nicht richtig ist und sie eigentlich – wie schon bei Plato – ins Freie führen, ihnen eine klarere Sicht auf ihre Welt gewähren."


Am wenigsten prominent unter den vier "Zauberern" ist der Philosoph und Kulturtheoretiker Ernst Cassirer. Dabei sei Cassirer der Denker, "der uns heute in unserer Welt am meisten zu sagen hätte und den man wiederentdecken müsste", sagt Eilenberger. "Ich würde sagen, dass Ernst Cassirer die letzte Person des 20. Jahrhunderts ist, die die Gesamtheit des Wissens im Blick hatte und sie auch produktiv besprechen konnte."
Ernst Cassirer
Undatierte Aufnahme des Philosophen Ernst Cassirer © imago/United Archives International

Großer Einfluss auf das heutige Denken

Die Auswahl der vier Zauberer sei durchaus eine Setzung, räumt Eilenberger ein. "Es hat immer etwas Beliebiges, sich im Raum zu orientieren. Man kann das auf verschiedene Weise tun." Dennoch:
"Wenn man versucht, den Raum des heutigen Denkens zu organisieren, dann kommt man mit den vieren schon erstaunlich weit. Und es ist erstaunlich, dass sie in zehn Jahren in genauer Beobachtung voneinander, auch was die jeweils anderen getan haben, etwas getan haben, was wir heute nicht mehr können, nämlich die Philosophie von Grund auf auf ein neues Fundament zu stellen."
(uko)

Wolfram Eilenberger: "Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie 1919 – 1929"
Verlag Klett-Cotta 2018
431 Seiten, 25 Euro

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