Eigenheim-Gärten

Ein deutscher Albtraum

04:14 Minuten
Ein klar strukturierter Steingarten mit wuchtigem Baum und Kirschlorbeerhecke grenzt in einer Reihenhaussiedlung an einen gepflegte grünen Garten mit hoher Hecke, mehreren Bäumen und Essplatz. Der Steingarten ist unterteilt in einen Bereich mit Kiesel und eine Terrasse mit hellem Granit.
Der deutsche Eigenheimgarten zeigt dem Autor Hans von Trotha auch, wie unwichtig den Besitzern ihr ökologischer Fußabdruck ist. © dpa / Felix Kästle
Ein Standpunkt von Hans von Trotha · 30.06.2021
Audio herunterladen
Den Schriftsteller Hans von Trotha gruselt es angesichts der Baumarktästhetik der Gärten vor und hinter deutschen Eigenheimen. Gut, dass es daneben auch immer mehr urban gardening gibt: ökologisch bewusst und mit Sinn für Gemeinschaft.
Kürzlich haben die Grünen den Deutschen einen Schreck eingejagt: Womöglich sei es nicht mehr angemessen, dass alle, die es sich leisten können, ihr eigenes Haus bauen. Aber was unterscheidet eigentlich das kleine, enge Haus am Stadtrand von einer großzügigen, gut gelegenen Wohnung? Ganz einfach: nach vorn hin das Prestige und nach hinten raus der Garten.

Wilder Flieder contra Beton-Optik im Garten

Zeige mir deinen Garten und ich sage dir, wer du bist. Das propagierte, eleganter formuliert, schon der erste Architekturtheoretiker, der über Gärten schrieb: Leon Battista Alberti. 1443 stellte er die Forderung auf, ein Garten möge den Charakter seines Besitzers spiegeln – eine Forderung, der in unseren Tagen Zigtausende in deutschen Eigenheimsiedlungen in mitunter verstörendem Maß nachkommen.
Jedes Jahr im Frühling wird das deutlich, wenn Flieder und Forsythie ausschlagen, wo man sie noch lässt, und schmerzlich vermisst werden, wo sie der letzten Außenbereichsfliesenrabattaktion, der neuesten Kiesoffensive oder einem anderen Trend privatistischer Freiraumplanung im Weg waren. Wenn bei dem einen – Typ effizienter Abteilungsleiter – die letzten grünen Stängel zwischen den Steinplatten weggetilgt sind, seine Nachbarin immerhin anzeigt, dass sie im Grunde romantisch fühlt, indem sie versuchsweise eine Rose den Carport hochranken lässt, und das pompöse Paar daneben wieder Versailles spielt: parallel geführte Thuja-Hecken mit Springbrunnen, laut Katalogtext" romantischer Barock verknüpft mit moderner Eleganz in Beton-Optik".

Kleingärten könnten Öko-Inseln sein

Zum Wesen der Deutschen gehört der Selbstwiderspruch. Während alle plötzlich WhatsApp löschen und viele die Corona-App gar nicht erst runterladen, wegen der Datenweitergabe, lassen sie für winzige Rabatte jeden alles speichern, der eine sogenannte Kundenkarte anbietet, und entfalten vor allen, die daran vorbeikommen oder mal mit der Drohne drüber fliegen, im Garten ein Psychogramm ihrer selbst, mit dessen Eindeutigkeit es kein Fingerabdruck aufnimmt. Nebenbei stellen sie mit Dauerbewässerung, Heizpilz und dem beherzten Einsatz von Chemie (Stichwort: Garten ist Krieg) zur Schau, wie gleichgültig ihnen ihr ökologischer Fingerabdruck ist.
Wichtiger als den Deutschen das Einfamilienhaus zu nehmen, wäre, ihnen die Vorherrschaft über die diese umgebenden Gärten zu entziehen – und das nicht nur aus ästhetischen Erwägungen. Diese Parzellen gehören zu den letzten städtischen Freiräumen, in denen sich menschheitsüberlebensnotwendige winzige Tiere und Pflanzen ansiedeln könnten, wenn man sie ließe. Es sind kleine, in der Summe aber gesellschaftsrelevante Flächen, die der Allgemeinheit in eben dem Maß Schaden zufügen, in dem sie ihr nützen könnten.

Neue Gartentradition im 21. Jahrhundert

Das 20. Jahrhundert hat im Garten alle machen lassen, was sie wollten. Gärten liefen unter "ferner" und blieben unter dem Radar. Nicht nur zu Albertis Zeiten, auch in anderen Jahrhunderten war das anders. Da war man sich bewusst, dass Gärten Botschaften vermitteln, die Umgebung prägen und zu verstehen geben, wie man es mit der Natur hält.
Das 21. Jahrhundert hat mit einer neuen Kulturtechnik in der Gartentradition begonnen, die dieses Bewusstsein wieder schärft, dem sogenannten urban gardening: lokale Projekte, die den öffentlichen Raum für kollektive private Bedürfnisse in Sachen Klima, Ernährung, Lebensqualität kapern und umwidmen. Daneben wirken die weiterhin gegeneinander in Stellung gebrachten Eigenheimparzellen wie archäologische Relikte einer untergegangenen Kultur.

Statt der Parzellierung wäre ein großer Garten sinnvoll

Die Sensibilität für die Reste an Umwelt, die uns noch umgeben, ist gewachsen. Wenn auch noch nicht bei allen. Aber das kann ja noch kommen. Der französische Gartengestalter Gilles Clément schrieb vor ein paar Jahren: "Im Laufe seines Lebens findet das Lebewesen, gleichgültig, ob Pflanze, Tier oder Mensch, eine Chance, sich zu ändern (auf eigenen Wunsch oder auf äußeren Druck): Es verwandelt sich. Diese eingeschriebene Möglichkeit zur Transformation", so Gilles Clément, "vererbt sich an die folgenden Generationen. Für den Menschen, das `bewusste Tier´, ergibt sich aus dieser Möglichkeit ein Vorhaben, ein geistiges Gebiet der Hoffnung. Ein Garten."
Und zwar einer, ein großer – nicht ganz viele in kleinen Parzellen.

Hans von Trotha - 1965 geboren - ist ein deutscher Historiker, Schriftsteller und Journalist. Nach ersten publizistischen Arbeiten für den Rundfunk und verschiedene Printmedien übernahm er für zehn Jahre die Leitung des Nicolai-Verlags. Trotha gilt als Spezialist für die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts. Derzeit arbeitet er selbständig als Publizist für diverse Medien und als Berater im Kulturbereich. Publikationen (Auswahl): "Der Englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte" und "Das Lexikon der überschätzten Dinge".

© Carsten Kempf
Mehr zum Thema