Vereinssport

Schlechte Aussichten für den Handball

Dissinger springt im weißen Trikot mit dem Ball in der Hand. Vor und hinter ihm versuchen zwei Spanier im roten Trikot, ihn dabei zu stören.
Der deutsche Handball-Nationalspieler Christian Dissinger und zwei spanische Gegenspieler am 16.1.2016 bei der Europameisterschaft in Polen. Deutschland verlor das Spiel in Breslau 29:32. © DPA / EPA / MACIEJ KULCZYNSKI
Von Heinz Schindler · 17.01.2016
Während der Europameisterschaft in Polen wird Handball wieder aufmerksam verfolgt. Den Vereinen gehen aber die Mitglieder aus. Woher sollen die Handball-Europameister von morgen kommen?
Emily Gödde und Alina von Muzius haben sich nach einem Jahr dran gewöhnt – an die quietschgrünen Trikots ihrer HSG Rietberg-Mastholte und auch daran, dass sie mit ehemaligen Gegnerinnen nun gemeinsam Handball in der C-Jugend spielen.
"Ich spiele ja schon seit acht Jahren und das erste Training, da war ich ziemlich nervös und ich hatte auch Angst, wie wir uns halt verstehen würden."
"Also man war ein bisschen aufgeregt. Und bei uns war das, wir waren sehr lange vorher in einer Mannschaft, wo wir alle zusammen gespielt haben. Und dann war das erst ein bisschen komisch so neue Mitspielerinnen und das alles."
Aller Anfang ist schwer, auch in den immer häufiger auftretenden Handball- Spielgemeinschaften. Daniela Becker, Abteilungsleiterin der HSG Rietberg-Mastholte, sieht darin eine Bündelung der Qualität.
"Wir wollen einfach durch diese Spielgemeinschaft einer Entwicklung vorbeugen. Dass wir auch sagen, es ist optimal, wenn wir pro Altersklasse eine leistungsbezogene Mannschaft haben und eine Hobbymannschaft."
In einem Jahr 100 potenzielle Spieler verloren
Der Handballkreis Gütersloh kann diesen Trend bestätigen. Ein Hilferuf ist die Bilanz des Vorsitzenden Friedrich Prill:
"Wir haben mal insgesamt gehabt 49 handballspielende Vereine oder Abteilungen in Gesamtvereinen. Mittlerweile haben wir noch 25 handballspielende Vereine, davon sind fünf HSGs. Ja, wir haben also einen richtigen Knick in den letzten beiden Jahren gehabt. Ich habe mir mal die E-Jugend angeguckt, wenn ich dann sehe, dass in der Serie 13/14 noch 500 aktive männliche und weibliche E-Jugend-Spieler da waren, und ich heute nur noch 400 habe. Das heißt, da habe ich in einem Jahr 100 aktive potenzielle Spieler verloren, die ich auch nachher nicht wieder kriege."
Thomas Phlak ist am Ball geblieben. Der 25-Jährige spielt bei der HSG Krefeld und erinnert sich an seine Jugend im Handballdorf Aldekerk an der niederländischen Grenze.
"Man hatte gar nicht darüber nachgedacht, ob man 'ne andere Sportart macht. Da ist man halt aus der Schule raus, in die Halle, spielt Handball. Am Wochenende ist man den ganzen Tag in der Halle, spielt Handball. Man hat halt auch wirklich Vorbilder im Verein, man sieht dann die Erfolge oder die erste Herrenmannschaft. Da sitzt man als kleiner Junge und schaut sich die an und schaut zu denen hoch und dann will man sowas natürlich auch schaffen und geht dann halt auch dafür zum Training."
Heute muss man erst einmal nachmittags aus der Schule raus kommen! Denn das G8-Abitur – also die Hochschulreife nach zwölf Schuljahren - führt zu längeren Schultagen und trifft die Vereine gleich in zweierlei Hinsicht, personell und in der Infrastruktur, gibt Jörg Kriekhaus zu Bedenken. Er koordiniert die Jugend bei "Handball Bad Salzuflen", einer Fusion aus drei Vereinen.
"Wenn ich heute ein Training ansetzen möchte um 17 Uhr, 17:30 Uhr oder früher, dann kriege ich von den Kindern gesagt, das können wir nicht darstellen, weil wir erst aus der Schule nach Hause kommen. Da müssen wir insgesamt weiter nach hinten schieben. Und das bedeutet für uns, dass wir Schwierigkeiten mit geeigneten Trainingszeiten und Hallenzeiten bekommen."
100 Kilometer muss man für manche Spiele zurücklegen
Die Gefahr besteht, dass Jugendliche dem Verein verloren gehen oder sich gleich ganz vom Handball abwenden.
"Wir haben einen Rückgang erfahren auf jeden Fall und wir sehen das gerade jetzt im Bereich der B-Jugend, A-Jugend, wo Kinder oder Jugendliche, die bisher immer zur Stange gehalten haben, auf einmal sagen: Ich schaffe es nicht mehr, ich komm nicht mehr."
Mehr Spielgemeinschaften werden diese Entwicklungen aufzufangen versuchen, das heißt aber auch: weitere Fahrten für die Spieler und deren Eltern. Für ein C-Jugendspiel wird man dann schon einmal 100 Kilometer zurücklegen dürfen. Nicht nur auf der Straße muss Bewegung in den Jugendhandball kommen, fordert denn auch Drittligaspieler Thomas Phlak, der beim Landessportbund NRW arbeitet.
"Es wird immer schwerer, an die Kinder ranzukommen, weil es halt so viel mehr Ablenkung gibt als früher. Ich denke aber, dass Sport ganz wichtig ist auch als Ausgleich zu so einem langen Schultag. Und die Vereine sollten da vielleicht das noch mehr intensivieren."
Schul- und Kindergartenprojekte laufen vielerorts, in Bad Salzuflen hat die Ballschule für ab Dreijährige sogar Wartelisten. Die Vereine können bestenfalls jedoch die Attraktivität des Handballs vermitteln, die Rahmenbedingungen schaffen andere.
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