Verein "Intersexuelle Menschen" lobt den gestrigen "Tatort"

Lucie Veith im Gespräch mit Katrin Heise · 19.09.2011
Beim Verein "Intersexuelle Menschen" ist der "Tatort" vom Sonntag auf deutlichen Zuspruch gestoßen. Der Film, in dem unter anderem eine intersexuelle junge Tennisspielerin porträtiert wurde, habe das Thema Intersexualität sehr gut erklärt und dargestellt, sagte die Vereinsvorsitzende Lucie Veith.
Katrin Heise: Wenn Thiel und Boerne beim "Tatort" in Münster ermitteln, dann gibt es immer was zu lachen. Zoten, die man anderen Ermittlern niemals verzeihen würde, amüsieren hier. Im 20. Fall für das Frotzel-Duo ging es um die große Frage nach dem kleinen Unterschied, oder einfach darum, dass man das Geschlecht des Menschen nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren findet, so auch der Titel gestern Abend.

Eine Frau wurde umgebracht. Wie sich später herausstellte, war sie wohl im falschen Körper geboren und wollte wahrscheinlich eigentlich ein Mann sein. Eine andere Frau, erfolgreiche Tennisspielerin auf dem Karrieresprung ist auch keine Frau, sie ist beides. Sie ist intersexuell, wusste es bloß bis vor kurzem noch nicht. Lucie Veith vom Verband intersexueller Menschen hat den "Tatort" gesehen. Guten Morgen, Lucie Veith!

Lucie Veith: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Wie hat er Ihnen gefallen?

Veith: Ja, das war ein kurzweiliger Krimi, spannend, das Thema Intersexualität ist sehr gut dargestellt worden, und scharfsinnig, wie Boerne ja immer im Film ist, wurde auch dieses Thema gut erklärt.

Heise: Gut erklärt, aber natürlich auch mit vielen Zoten und Witzen bedacht, wie es immer so ist zwischen Thiel und Boerne. Hatten Sie das Gefühl, das war manchmal auf Kosten der Intersexuellen?

Veith: Nein. Das war nicht auf Kosten des Intersexuellen. Denn das, was wir vielleicht als Zote bezeichnen, ist genau das, was Geschlecht ausmacht, dass Geschlecht zwischen den Ohren passiert. Und zwar muss man da ein bisschen tiefer nachdenken oder tiefer einsteigen: Identität ist etwas, was im Kopf passiert. Also, die Selbstverortung, als was bezeichne ich mich selbst? Das findet immer zwischen den Ohren statt und nicht im Schlüpfer.

Heise: Es war der 20. Krimi dieses Duos - ein kleines Jubiläum, da sollte es was besonders brisantes sein, hätte man auch befürchten könne. Sex, Sexualität zieht ja auch immer. Wurde das Thema in Ihren Augen also nicht, um Quote zu machen, missbraucht?

Veith: Nein, das glaube ich nicht. Ich habe das ein bisschen bedauert, dass die Trennschärfe zwischen Transsexualität und Intersexualität so knapp gehalten war und so wenig deutlich wurde. Auf der anderen Seite glaube ich nicht, dass das Quote macht, weil dort ist ja ein Tabubereich angesprochen worden. Und Tabubereiche sind Bereiche in der Gesellschaft, die wenig bekannt sind.

Heise: Ja. Das heißt, Sie haben das Gefühl, intersexuellen Menschen ist mit dieser Art des öffentlichen Interesses, also auch gerade in einem Krimi, geholfen?

Veith: Oder zumindest nicht geschadet worden!

Heise: Das wäre sehr wenig. Wenden sich Betroffene oder Eltern nach solchen Filmen an Sie, an den Verband intersexuelle Menschen, weil sie merken, ich bin gar nicht allein?

Veith: Für Menschen, die in diesem Tabu leben, kann so ein Film der Aufbruch zu sich selbst sein. Raus aus der dunklen Höhle, in das Leben hinein, in die Gesellschaft zurück. Da, wo wir eigentlich auch geboren werden. Denn intersexuelle Menschen sind ja ganz normale Menschen, wie jeder andere Mensch auch ein Geschlecht hat, nämlich sein eigenes. Jeder kommt mit seinem eigenen Geschlecht auf die Welt, und jeder Mensch verortet sich, also, hat eine eigene geschlechtliche Identität.

Da ist einmal der Körper ein Teil dieser Identitätsbildung, die dazu führt. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch die psychische Geschichte. Und da ist das eigentlich ganz gut gewesen. Ich glaube, dass diese Filmemacher einen ganz tollen Ansatz hatten. Und zwar haben die sagen wollen, dass auf der einen Seite diese transsexuelle Person, die Täterin oder das Opfer, die ja offenbar als burschikose Frau oder burschikoses Mädchen beschrieben wurde, die sich so sehr sehnte, in dieser männlichen Gesellschaft zu leben und sich mit künstlichen Hormonen zur Virilisierung gebracht hat, also zu Vermännlichungen an ihrem Körper, um diese andere Rolle leben zu können. Das hat sie ja nicht gemacht, um Menschen zu täuschen, sondern einfach, um sich dort verorten zu können. Auf der anderen Seite, die intersexuelle Person, die so sehr dieses Tabu um sich herum aufrecht hielt, was ja sehr bezeichnend war, dass die Person selbst überhaupt nicht Bescheid wusste.

Heise: Ja.

Veith: Die ganze Familie wusste Bescheid, alle wussten Bescheid, alle hatten sie viel damit zu tun, dieses Tabu aufrecht zu erhalten, welche Angst spielte dort eine Rolle?

Heise: Lucie Veith vom Verband intersexueller Menschen über den "Tatort" gestern Abend. Der griff nämlich das Thema Intersexualität, also nicht Mann, nicht Frau sein, auf. Sie haben gerade etwas ganz wichtiges gesagt, Frau Veith, nämlich das Umfeld, der Vorwurf an die Eltern in diesem Krimi war ja irgendwie, sie haben der Tochter die Wahrheit verschwiegen, alle haben ihr die Wahrheit verschwiegen, aber eigentlich aus dem Grund heraus, ihr das Leben nicht schwer machen zu wollen. Sie hat dann eben als Frau gelebt. Verstehen Sie die Eltern?

Veith: Ich verstehe sie insofern, als dass man ihnen ja dann auch etwas gesagt haben muss, oder sie selbst eine Empfindung gehabt haben müssen, dass das nicht akzeptabel sei. Ich frage mich natürlich als intersexueller Mensch: Was ist denn an mir nicht akzeptabel? Warum habe ich nicht das Recht, zu leben in meinem Geburtsgeschlecht? Was ist so falsch daran?

Heise: Aber dieses Tabu, in dem die ganze Familie lebte, das ist Ihrer Meinung nach in dem Krimi sehr gut aufgearbeitet worden?

Veith: Ja. Es war eigentlich auch erschreckend, wie sehr diese Angst der intersexuellen Person, also dieses jungen Mädchens dort, gezeigt wurde, als Sportlerin als intersexuell entdeckt zu werden. Da kann man ja diesen Wahnsinn der Diskriminierung auch ganz deutlich erkennen.

Wie dieser Gerichtsmediziner Boerne ja sehr schön erklärt hat, ist diese Person zwar XY-chromosomal, hat aber eine Androgen-Resistenz, also die Androgene können gar nicht wirken auf die körperliche Seite dieser Person. Das heißt, sie hat durch diese Androgen-Resistenz überhaupt keinen körperlichen Vorteil. Da muss man sagen, diese XY-Frau - und das wäre eine typische XY-Frau - wird diskriminiert, und ihr wird das Recht genommen, ihren Platz in der Gesellschaft und im Sport tatsächlich, ja, an der Teilhabe am Leben wird sie dort behindert.

Heise: Der "Tatort" sprach ja von zirka 100.000 Menschen, die eben intersexuell sind. Grundlage dieses gestrigen Falles war ja - zum Teil jedenfalls - eine wahre Geschichte einer Tennisspielerin, die in Zeitungen - oder so hieß es jedenfalls - Menschen verletzenden Gerüchten ausgesetzt war, indem man eben über ihre Intimsphäre gesprochen hat. Wünschen Sie sich eigentlich, Lucie Veith, bekannte Leute, Promis, Sportler, würden häufiger offen dazu stehen, wenn sie intersexuell sind?

Veith: Ja, ich würde mir das natürlich wünschen, aber ich kann sie gut verstehen. Ich kann gut diese Menschen verstehen, wenn sie sich nicht öffentlich zeigen, solange sie noch so diskriminiert werden und so wenig Schutz in der Bundesrepublik Deutschland bekommen, wie es im Moment der Fall ist. Denn man darf nicht vergessen, das hat große Konsequenzen für diese Menschen.

Wenn eine Profisportlerin damit ihre Lebensexistenz verliert, weil sie in diesem Staat überhaupt keinen Schutz erfährt, und ein grundrechtlicher Schutz auf Intimität und ihrer persönlichen Entfaltung - wenn das nicht gegeben ist, und sie nur weiter Sport betreiben kann, wenn sie ihre körperliche Unversehrtheit aufgibt, indem sie sich ihre Gonaden entfernen lässt, also ihre Keimdrüsen, ihre hormonproduzierenden Organe, dann muss ich sagen, dass ich diese Menschen gut verstehen kann, wenn sie es nicht tun.

Heise: In Australien - wenn wir mal woanders, ganz woanders hinschauen, weil Sie gerade die Gesetzgebung auch in der Bundesrepublik angesprochen haben -, in Australien ist ja gerade erlaubt worden, dass man im Pass ein drittes Geschlecht wählen kann: Neben männlich und weiblich kann man da jetzt auch ein X für intersexuell angeben. Wann sind wir in Deutschland soweit oder wäre das ein Ziel, das Sie anstreben?

Veith: Also, wir sind als Verband sehr daran interessiert, einen anderen Geschlechtseintrag durchzusetzen. Ich gehe allerdings auch weiter: Ich sage, das kann nicht nur auf intersexuelle Menschen beschränkt bleiben, sondern wenn jemand sagt, ich möchte mich so nicht verorten oder fremdverortet sehen, das geht niemanden etwas an, dann finde ich das schon in Ordnung. Denn niemandem darf ein Geschlecht aufgezwungen werden, das er nicht selbst so erlebt.

Jede geschlechtliche Zuweisung bedeutet ja auch immer, dass damit Geschlechtsstereotypen, die wir eigentlich abbauen sollten - und wir schreiben große Programme darüber in der Politik, ganze Spezialistenhorden beschäftigen sich damit tatsächlich, diese geschlechtsspezifischen Dinge abzuschaffen, weil man sagt, das führt zu Diskriminierung, und Diskriminierung wollen wir in dieser Gesellschaft, in dieser Vielfalts-Gesellschaft abbauen. Vielleicht sind auch viele Menschen dabei, die dann einfach sagen, ich will mich da auch nicht an einem Geschlecht festmachen lassen. Wem nützt das eigentlich? Wofür brauchen wir das überhaupt?

Heise: Ein Thema auf jedem Fall, welches der "Tatort" aufgegriffen hat - Intersexualität -, wo noch viel zu leisten ist, viel Öffentlichkeitsarbeit. Das hat der "Tatort" gestern Abend sicherlich auf jeden Fall versucht. Lucie Veith vom Verband intersexuelle Menschen. Vielen Dank für dieses Gespräch!

Veith: Vielen Dank!

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