Verbraucher in Deutschland zahlt "drei Mal fürs Fleisch"

Fleischtheke
Fleischtheke © Jan-Martin Altgeld
Reinhild Benning im Gespräch mit Ulrike Timm · 10.01.2013
In einer weltweiten Untersuchung zeigen Umweltschützer, wie und für wen die deutsche Fleischindustrie arbeitet. "Wir produzieren für einige wenige Reiche, die unendlich viel Fleisch, bis zur ungesunden Menge Fleisch essen, während es anderswo fehlt", kritisiert die Agrarexpertin Reinhild Benning.
Ulrike Timm: 945 Hühner, 46 Puten, 46 Schweine, 37 Enten, zwölf Gänse, vier Schafe und vier Rinder verputzt ein Durchschnittseuropäer in seinem Leben. Das ist zu viel, für die Gesundheit, aber auch für die Ökologie der Welt. Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel haben der BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung gesammelt und als "Fleischatlas" herausgegeben. Der besticht durch wirklich anschauliche Grafiken. Alle Viecher, die ein Mensch im Leben so isst, sind zum Beispiel nicht nur aufgezählt, sondern als Grafik zu sehen. Und man erfährt sehr viel Aufschlussreiches über die Zusammenhänge vom Schnitzel auf dem Teller und dem Regenwald im Amazonas, über die Fleischtöpfe, die vor allem in den westlichen Ländern dampfen und Afrika in weiten Teilen verarmen lassen und, und, und.

Über alles können wir jetzt nicht sprechen, aber über einiges doch, mit Reinhild Benning, der Referentin für Agrarpolitik beim BUND. Schönen guten Tag, Frau Benning.

Reinhild Benning: Guten Tag, Frau Timm.

Timm: Sie sind die Fachfrau. Gab’s eigentlich etwas, was sogar Sie noch schockiert hat, als Sie für den "Fleischatlas" recherchierten?

Benning: Oh ja, da gab es einiges. So hat mich erschüttert, dass wir bereits bei 17 Prozent mehr Produktion sind, als wir in Deutschland essen können. Und ich frage mich, was soll das, wem nutzt das, dass diese Überproduktion da ist? Und bei der weiteren Recherche haben wir dann festgestellt, ja, es sind eine Handvoll Fleischkonzerne hier in Deutschland, die sich hier vollsaugen mit Subventionen, die darüber hinaus hervorragende gesetzliche Bedingungen in Deutschland vorfinden, nämlich ungefähr die niedrigsten Tier- und Umweltstandards im europäischen Vergleich.

Timm: Und der Rest, kommt der auf den Müll oder ins Kühlhaus?

Benning: Der Rest wird exportiert. Das heißt, das, was hier nicht konsumiert wird, wird größtenteils exportiert. Davon geht ein Teil sogar in afrikanische Länder, wo die Märkte von Kleinbauern erschüttert werden, durcheinandergebracht werden, weil das Fleisch von hier so billig ist.

Timm: Wir wollen das nach und nach ein bisschen aufdröseln, denn die ganze Welt spannt sich ja um diese Fleischproduktion – schreckliches Wort, Produktion. In Industrieländern stagniert der Konsum im Moment auf sehr, sehr hohem Niveau, in Schwellen- und Entwicklungsländern steigt er dagegen stark an. Was bedeutet denn das für die Produktion von Nahrungsmitteln durch Tiere generell und global im Zusammenhang?

Benning: Das bedeutet, wir haben ein leichtes Wachstum in der Mittelschicht in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern. Menschen kommen zu Geld, und wer ein etwas höheres Einkommen erzielen kann, kauft auch mehr Fleisch. Das hat die Fleischindustrie in der ganzen Welt entdeckt und sie sucht die Möglichkeiten, möglichst billig Fleisch herzustellen, um das dann überall zu verkaufen, wo die Nachfrage steigt. Das machen auch die Firmen in Deutschland und Europa. Die Fleischkonzerne hier kaufen dort auf dem Weltmarkt etwa das Futter ein, das ist meist gentechnisch veränderte Soja, die wird eingekauft, wo sie am billigsten ist. Das ist wiederum Südamerika.

Dann wird es in die Tiere getan, die werden möglichst schnell fettgemästet, und inzwischen geht jedes fünfte Schwein aus Deutschland wieder in den Export. Dorthin, wo am besten bezahlt wird. Das sind zum Teil die russischen Märkte, das ist zum Teil China, und zum Teil eben wieder die Mittelschichten von Schwellen- und Entwicklungsländern und die Oberschichten dort. Wir produzieren also für einige wenige Reiche, die unendlich viel Fleisch, bis zur ungesunden Menge Fleisch essen, während es anderswo fehlt.

Timm: Die Zahlen, die wir im Laufe eines Lebens aufessen, habe ich vorhin genannt. Nun können wir den Menschen in den Schwellenländern schlecht Vorwürfe machen, dass die auch ihr tägliches Schnitzel wollen.

Benning: Da haben Sie absolut recht, es geht überhaupt nicht darum, Schwellenländern oder Entwicklungsländern hier Vorschriften zu machen, sondern es geht darum, vor der eigenen Haustür zu kehren. Das Problem bei der Fleischerzeugung, die in Industrieländern vielfach stattfindet wie etwa in Deutschland, ist, dass wir die externen Kosten etwa für Umweltschäden oder für Gesundheitsschäden nicht einpreisen. Daher ist das Fleisch hier so billig.
Und unter dem Strich zahlt auch der Verbraucher in Deutschland drei Mal fürs Fleisch: einmal an der Ladentheke, zum Zweiten über die Subventionen und zum Dritten über die hohen Umweltschäden, die wiederum von der Gesellschaft getragen werden müssen und nicht von den Fleischkonzernen. Dazu gehört zum Beispiel nitratbelastetes Wasser.

Timm: Reinhild Benning vom BUND spricht mit uns über den Fleischkonsum und den "Fleischatlas", der auf wirklich anschauliche Weise Wissen über Tiere als Nahrung in der globalen Welt vermittelt. Frau Benning, man erfährt ja ganz unterschiedliche Geschichten bei Ihnen, die stehen auch zum Teil direkt nacheinander im "Fleischatlas": Zum einen das Huhn, das Huhn als Sparkasse, ein Bericht über afrikanische Frauen, die mit ein paar gehaltenen Hühnern ihren Lebensunterhalt bestreiten und sich manchmal damit auch emanzipieren; und dann, eine Seite weiter, dass der Handel mit europäischen Hühnerresten die afrikanische Agrarwirtschaft kaputtmacht. Wie passt das zusammen?

Benning: Die Dramatik besteht im Grunde darin, dass wir in den Industrieländern feine Teile, bestimmte Teile vom Tier essen. Es könnte hier noch viel mehr Schweinefilet geben, noch viel mehr … jedes Rind könnte fünf Filets haben, die wären hier wunderbar verkaufbar, während nicht so hochwertige Teile wie etwa der Rücken vom Huhn nicht so begehrt sind und als Reste anfallen. Für Fleischkonzerne in Europa bedeutet das: Sie wägen ab, ist es billiger, in Europa diese Fleischreste zu entsorgen, oder ist es billiger, sie unter Produktionskosten in andere Länder zu exportieren? Und da sind die afrikanischen Länder mit ihrem Proteindefizit häufig die Zielländer, dort wird zu Dumpingpreisen europäisches tiefgefrorenes Restefleisch verramscht, auch auf lokalen Märkten.

Diese Märkte sind lebensnotwendig für Familien und insbesondere für die Einkommen der Frauen, die häufig die Hühner halten in den bäuerlichen Familien in vielen afrikanischen Ländern. Diese Märkte sind also lebensnotwendig für sie, damit sie ihre Kleintiere dort verkaufen können. Wenn jetzt das europäische Dumping-, also künstlich verbilligte Fleisch zu wenigen Cent dort angeboten wird, werden die Bäuerinnen von den lokalen Märkten verdrängt, ihre Familien verarmen. Das ist der Teufelskreislauf, den wir mit der Billigproduktion hier in Kauf nehmen.

Timm: Und was exportieren wir? Die Hühnerrücken oder auch noch das Tiermehl daraus?

Benning: In der Regel sind es tiefgefrorene Tierteile, die hier nicht als hochwertig gelten. Das heißt, nicht zu Mehl verarbeitet, sondern tiefgefrorenes Fleisch.

Timm: Nun gibt es einen schönen Spruch von Winston Churchill, einen weiteren, der sagte, das sei doch absurd, Hähnchen zu mästen, wenn man nur das Brustfilet isst. Sein Vorschlag, man solle die Tierteile doch einfach separat züchten, stammt von 1931, von einem sehr speziellen Politiker. Aber mal ohne Flachs: Wie weit ist man denn eigentlich mit synthetischem Fleisch, und wäre das wirklich eine Alternative?

Benning: Aus unserer Sicht ist das keine Alternative, und das nicht nur, weil wir noch ganz am Anfang mit der Forschung stehen, also, noch gibt es das Schnitzel aus dem Labor nicht. Es ist deshalb keine Alternative, weil man Lebensmittel ganz natürlich klima- und umweltverträglich und auch unter Tierschutzaspekten ganz hervorragend gewährleisten kann, wenn man die Tiere auf die Wiese lässt. Und das liegt daran, also: In Wiesen und Weiden wird sehr viel CO2 gespeichert, das heißt, wenn wir diese tierfreundliche Form der Fleischerzeugung auf der Wiese nutzen, dann ist das gar kein Verbrechen gegen die Umwelt, sondern steht im Einklang damit. Wir brauchen also das Schnitzel aus dem Labor gar nicht.

Und zum Zweiten ist noch lange nicht erwiesen, ob wir umweltmäßig hier im Vorteil sind, denn der Energieaufwand ist bei den paar Versuchen, die es dazu gibt, noch gar nicht genau bilanziert. Und ein Drittes ist, wir wünschen uns, dass das Essen in den Händen von vielen Bauern und Bäuerinnen weltweit bleibt, dass es eine demokratische Angelegenheit bleibt, während Essen aus dem Labor in der Regel in der Hand von wenigen Konzernen ist.

Timm: Frau Benning, wie viele von den vier Rindern, die der Durchschnittseuropäer verputzt, schaffen Sie?

Benning: Ich glaube, bei mir reicht es nicht besonders weit. Ich komme da kaum auf ein ganzes Tier im Jahr.

Timm: Reinhild Benning, die Referentin für Agrarpolitik beim BUND über den Fleischkonsum weltweit, der im "Fleischatlas", den der BUND mit der Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben hat, aufgezeigt hat. Vielen Dank für den Besuch im Studio.

Benning: Vielen Dank Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema