Verband: Grundschüler besser fördern

09.08.2012
Der Verband Bildung und Erziehung hat sich gegen das von der FDP geforderte Bildungssparen gewandt. Verbandschef Udo Beckmann sagte, die FDP wolle eine weitere Privatisierung des Bildungsbereichs erreichen. Stattdessen müsse der Staat für bessere Bildungschancen sorgen.
Jan-Christoph Kitzler: Manchmal ist ein Koalitionsvertrag das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist. Auf Seite 60 des aktuellen Koalitionsvertrages von Schwarz-Gelb steht zum Beispiel – Zitat –: "Deshalb werden wir jedem neugeborenen Kind beispielsweise ein Zukunftskonto mit einem Startgutachten von 150 Euro einrichten und Einzahlungen bis zur Volljährigkeit mit einer Prämie unterstützen."

Man muss wohl kein großer Prophet sein, um festzustellen, dass aus diesem Projekt in der Legislaturperiode, die im nächsten Jahr abläuft, wohl nichts mehr werden wird. Aber die FDP macht sich weiter stark für das sogenannte Bildungssparen. Gestern gab es dazu eine Veranstaltung in Berlin, da sprach auch Philipp Rösler, der Bundeswirtschaftsminister. Zugrunde liegt dem Ganzen die große Frage, wie Bildung in Deutschland von der Krippe bis zur Universität finanziert werden muss, ob das vor allem eine staatliche Aufgabe ist oder ob man die Bürger stärker in die Pflicht nehmen sollte.

Das will ich jetzt mit Udo Beckmann besprechen. Er gehört zum Vorstand des Verbandes Bildung und Erziehung, einer der beiden großen Lehrerorganisationen in Deutschland. Schönen guten Morgen!

Udo Beckmann: Guten Morgen!

Kitzler: Wie stehen Sie denn zum Bildungssparen, wie es die FDP vorschlägt?

Beckmann: Na gut, die FDP hat ja wieder im Hinterkopf eine weitere Privatisierung des Bildungsbereichs, und ich glaube, wir müssen vor allen Dingen dafür sorgen, dass der Staat in die Pflicht genommen wird, Bildung so zu finanzieren und so auszustatten, dass wir wirklich gleiche Bildungschancen überall in Deutschland haben, ganz gleich, an welchem Ort wir uns befinden, und wir müssen feststellen, dass wir nicht nur im internationalen Vergleich bei der Bildungsfinanzierung hinterherhinken, sondern auch deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern haben. Die ganze Crux hat ja damit begonnen, dass wir durch die Föderalismusreform ein Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz festgeschrieben haben, das heißt, der Bund darf sich nicht direkt an Investitionen für die Bildung beteiligen, sondern muss immer wieder irgendwelche Umwege gehen, um Gelder an die Länder heranzubringen. Und wenn wir dieses Kooperationsverbot nicht fallen lassen und in den Griff bekommen, und dass es eine gemeinsame Verantwortung wieder gibt, von Bund, Ländern und Kommunen für die Bildung, werden wir nicht zu gleichen Bildungschancen in Deutschland kommen.

Kitzler: Auf der anderen Seite ist das Bildungssparen ja nicht als Notlösung gedacht, sondern ist ein konkretes politisches Vorhaben. Wir reden ja immer mehr über private Vorsorge, zum Beispiel in der Rente und bei der Pflege. Ist nicht der Bildungsbereich nicht besonders gut geeignet zur privaten Vorsorge, weil das ja eine Investition mit Zukunft ist, die sich dann in der Regel auch auszahlt, zum Beispiel mit einem gut bezahlten Job?

Beckmann: Vom Grundsatz her ist es natürlich richtig, in die Bildung zu investieren, aber ich sage noch mal ganz klar: Ich halte nichts davon, dass in diesem Bereich private Vorsorge getroffen werden muss, sondern ich halte viel davon, dass der Staat dies als eine grundsätzliche Aufgabe versteht, die er zuvörderst zu lösen hat. Er ist dafür verantwortlich, dass bundesweit gleiche Bildungschancen entstehen, und das ist seine Aufgabe, und die löst er bisher nicht, weil wir sowohl im internationalen als auch im Vergleich unter den Ländern – ich sage es noch mal ganz deutlich – keine gleichen Bildungschancen haben. Und wir müssen ja auch feststellen, dass wir in Deutschland immer noch nicht verstanden haben, dass wir früh investieren müssen. Das heißt, wir müssen in die frühkindliche Bildung investieren, wir müssen in die Grundschule investieren, das heißt, in die Primarstufe, da, wo die Basis gelegt wird. Wir geben aber in Deutschland immer noch für Grundschüler am wenigsten aus. Im Schnitt werden für einen Grundschüler 4.400 Euro ausgegeben, für je einen Schüler am Gymnasium 5.800 Euro. Hier sieht man schon die Diskrepanz – in vielen OECD-Ländern, die auch zu den Spitzenreitern gehören, ist es genau umgekehrt: Hier wird massiv in die frühkindliche Bildung und massiv in die Grundschulausbildung investiert. Und das ist eigentlich der richtige Weg, den wir endlich in Deutschland gehen müssen.

Kitzler: Da das Geld knapper wird, da der Staat sich zur Schuldenbremse verpflichtet hat, verstehe ich Sie richtig, dass wir umschichten müssen, also Geld zum Beispiel von den Universitäten, die sehr teuer sind, abziehen müssen und in die frühkindliche Förderung stecken?

Beckmann: Nein, wir müssen erst einmal grundsätzlich auf den Prüfstand stellen, wie effektiv wir auch die Gelder einsetzen. Ich mache das mal an einem Beispiel: Wir haben zum Beispiel das Bildungspaket der Bundesarbeitsministerin für bedürftige Kinder. Da nicht direkt Gelder investiert werden müssen, werden Gutscheine ausgegeben, mit denen Kinder, die Probleme in der Schule haben, die vielleicht nicht versetzt werden, sich private Nachhilfe holen können. Was ist das für ein Bildungsverständnis, was dahintersteckt? Wir produzieren dadurch oder wir verstärken dadurch den privaten Nachhilfemarkt, anstatt diese Gelder gebündelt zu nehmen, um sie in Strukturen für eine bessere Bildung und Ausbildung zu stecken.

Wir diskutieren zurzeit darüber, wie viel Kita-Plätze noch bundesweit fehlen, um dem Anspruch, den die Bundesregierung sich selbst gegeben hat, Bund und Länder sich selbst gegeben haben, für die frühkindliche Förderung, gerecht zu werden. Die Ministerin Schröder selbst spricht von 160.000 fehlenden Plätzen, Experten sagen, es fehlen 260.000 Plätze. Uns fehlen 14.000 bis 20.000 Plätze für Erzieherinnen, das heißt, nicht ausgebildete Erzieherinnen. Und jetzt wird versucht, dann über Schnellmaßnahmen nach zu qualifizieren, damit wir hier genügend Personal haben. Auch hier ist ein falsches Verständnis. Wir brauchen hoch ausgebildete und hochqualifizierte Erzieherinnen in den Kindertagesstätten, wenn wir Bildung von Anfang an ernst nehmen.

Kitzler: Trotzdem, reden wir noch mal kurz über die Universitäten. Studien belegen ja, dass in den Universitäten vor allem Studenten sind, die aus Akademikerfamilien, also in der Regel aus Familien von Besserverdienenden kommen, und Hochschulabsolventen haben natürlich auch die Chance, später einen besser bezahlten Job zu haben. Heißt das nicht, man kann denen zumuten, privates Geld in die Hand zu nehmen, um diesen Status zu erreichen?

Beckmann: Also diejenigen, die studieren, nehmen natürlich auch privates Geld in die Hand. Es ist ja nicht so, als wenn das Studium so finanziert würde, dass nicht private Investitionen erforderlich sind. Wir stellen ja fest, dass auch Studenten immer mehr nebenbei jobben müssen, damit sie überhaupt ihr Studium hinbekommen und finanzieren können, also so ist das nicht. Ich glaube aber, dass der Staat auch an den Hochschulen dafür sorgen muss, dass jeder, der die Möglichkeit hat und die Voraussetzungen mitbringt, auch die Chance hat, an den Hochschulen uneingeschränkt zu studieren.

Wir müssen gucken, in welchen Bereichen Gelder ausgegeben werden – ich habe vorhin ein Beispiel genannt –, die eigentlich besser in Strukturen und Verbesserung der Bildung von frühkindlicher Bildung bis zur Hochschule investiert werden. Dann kommen wir in dieser Geschichte auch ein ganzes Stück weiter. Damit will ich nicht sagen, dass nicht auch überprüft werden muss, ob der Bereich – ich nenne jetzt zum Beispiel noch mal das Gymnasium, ob die Investitionen im Gymnasium wirklich so viel höher sein müssen als für den Bereich Grundschule. Warum ist das in anderen Ländern möglich und warum ist das in Deutschland nicht möglich, dass hier eine Umkehrung stattfindet?

Außerdem müssen wir feststellen, dass wir insgesamt für Bildungseinrichtungen im Vergleich zu anderen OECD-Staaten immer noch zu wenig ausgeben. Wir haben 2008, hat die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Ministerpräsidenten den Bildungsgipfel ausgerufen. Damals war festgelegt worden, bis 2015 sollten zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung und Forschung ausgegeben werden. Man hört nichts mehr von der Bildungsrepublik, diese Bildungsrepublik ist verkommen zu einem PR-Gag und zu einer Worthülse.

Kitzler: Und deshalb wird die Debatte um die Finanzierung des Bildungswesens in Deutschland noch weiter andauern. Bis hierhin vielen Dank, Udo Beckmann, Mitglied im Bundesvorstand des Verbandes Bildung und Erziehung. Schönen Tag wünsche Ich Ihnen!

Beckmann: Danke, auf Wiederhören!


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