Venezuela

Existenzangst zerstört Kulturszene

Trasnocho Cultural in Caracas
Fotoausstellung im Januar von Joaquin Cortes im Trasnocho Cultural. Auch das bedeutendste Kulturzentrum von Caracas musste seine Aktivitäten stark reduzieren. © imago stock&people
Von Peter Schumann · 09.08.2016
Venezuela hat sich vom ölreichsten Land Lateinamerikas in das Armenhaus des Kontinents verwandelt. Weil es an Grundnahrungsmitteln und einfachen Medikamente fehlt, droht eine humanitäre Katastrophe. Und auch die Kultur siecht dahin.
An einem Anlass wird nach wie vor nicht gespart: an öffentlichen Auftritten von Präsident Maduro und ihren Übertragungen in sämtliche Radio- und Fernsehsender "aufgrund des Rechtes wahrheitsgemäßer Information". Doch selbst dem Präsidenten mangelt es zuweilen am Strom, um seinem Volk neue Notfallmaßnahmen, einen neuen Ausnahmezustand oder neue Dekrete zu verkünden.
Im Frühjahr hatte sich die Situation noch verschärft. Maduro zwang alle Großverbraucher, abends zwischen 19 und 21 Uhr Strom zu sparen. Das bedeutete, dass auch die meist privaten Kulturveranstalter ihre Aktivitäten auf das Nötigste reduzieren mussten wie das Trasnocho Cultural, das bedeutendste Kulturzentrum von Caracas. Es wird normalerweise täglich von tausenden Besuchern frequentiert – und von Solveig Hoogesteijn geleitet.
"Um 19 Uhr können Läden schließen, aber doch keine Kulturveranstaltungen. Die Leute hören normalerweise um 17 Uhr auf zu arbeiten, also kann ich zu der Zeit noch kein Programm machen. Ab 21 Uhr geht es auch nicht mehr, weil dann die Leute wegen der hohen Straßenkriminalität nicht mehr aus dem Haus gehen. Zwischen 19 und 21 Uhr ist die wichtigste Zeit für unsere Aktivitäten."

Vielerorts wurde der Spielbetrieb völlig eingestellt

Das Trasnocho Cultural musste wochenlang seinen Theater- und Kinospielplan erheblich ausdünnen. Vielerorts wurde der Spielbetrieb völlig eingestellt. Inzwischen hat sich diese Lage etwas entspannt, nicht jedoch die Situation der internationalen Kulturbeziehungen. Sie leiden schon lange unter dem verheerenden Mangel an Devisen und sind in der letzten Zeit weitgehend zum Erliegen gekommen – wie der Soziologe Manuel Silva-Ferrer berichtet.
"Hier wird nur noch auf Sparflamme gearbeitet. Großunternehmen wie die Majors aus Hollywood halten die Stellung, weil sie auf Veränderungen hoffen. Alle ausländischen Verlage haben das Land verlassen, denn bei einer Inflation von bald 700 Prozent lässt sich nur noch Verlust machen. Auch internationale Fernsehgesellschaften, die hier viel produzierten, haben sich völlig zurückgezogen. Und so sieht es auch in anderen Bereichen aus. Das Land isoliert sich kulturell immer stärker."
Die Not der Venezolaner, ihr täglicher Existenzkampf, überlagert bei vielen das Interesse an Kultur. Auch ist das Angebot in den vom Staat dirigierten Kulturinstitutionen immer unattraktiver geworden.
Die venezolanischen Museen gehörten früher zu den bedeutendsten in Lateinamerika. Sie sind heute so gut wie tot. Die Nationalgalerie ist am Wochenende menschenleer. Von den 16 oder 18 Sälen des berühmten Museums der Schönen Künste sind nur noch zwei geöffnet, und diese befinden sich in sehr schlechtem Zustand.

Am schwersten trifft es die private Kulturszene

Am prekärsten ist die Lage der privaten Kulturszene. Sie entstand vor gut einem Jahrzehnt, als alle Oppositionellen aus den staatlichen Institutionen entfernt wurden. Die regierungskritischen Kulturschaffenden gründeten kurzerhand private Theater, Galerien und Kulturzentren wie das Trasnocho Cultural. Doch jetzt bleiben viele Besucher weg, denn die Venezolaner ziehen sich immer mehr ins Private zurück. Manuel Silva-Ferrer.
Die Abwanderung aus dem öffentlichen in den privaten Bereich war zuerst politisch bedingt und ist sehr charakteristisch für autoritäre Regime. Dieser Trend hat zugenommen. Abends und selbst am Wochenende ziehen es die Leute, sich lieber zu Hause mit Freunden zu treffen – wegen der Kriminalität und weil es sich viele nicht mehr leisten können, ins Kino oder ins Theater zu gehen.
Die Kulturschaffenden lassen sich jedoch nicht unterkriegen, sondern glauben – wie der berühmte venezolanische Sänger Yordano – an die Zukunft ihres Landes, vor allem an die Jugend und "an den gemeinsamen Kampf mit ihr, damit Venezuela nicht verloren geht".
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