Vatikan

"Christen sind die am meisten verfolgten Menschen der Welt"

Kardinäle stehen auf dem Petersplatz in Rom
Kardinäle auf dem Petersplatz in Rom © picture alliance / dpa / Vladimir Astapkovich
Kardinal Kurt Koch im Gespräch mit Philipp Gessler · 09.11.2014
Ist die Evangelische Kirche Deutschlands eine Kirche? Gibt der neue Papst Impulse für die Ökumene? Und was geschieht mit dem Verhältnis zu den Juden, wenn Papst Pius XII. heilig gesprochen wird? Fragen an Kardinal Kurt Koch.
Philipp Gessler: Nicht oft ist Kardinal Kurt Koch, der sogenannte Ökumene-Minister des Vatikan, in Berlin. Anfang dieser Woche trieb es ihn an die Spree, um einen Vortrag in der Guardini-Stiftung zu halten. Ich habe Kardinal Koch interviewen können. Meine erste Frage an ihn war, wie er eigentlich die evangelische Kirche bezeichne: Eben als "evangelische Kirche" – oder lediglich als eine "kirchliche Gemeinschaft", was die Protestanten ja nach der Definition des Vatikan-Papiers "Dominus Iesus" eigentlich nur sind. Die Antwort von Kardinal Koch ist sehr vorsichtig – und für evangelische Christen wenig ermutigend. Hören Sie genau zu.
Kurt Koch: Es gibt im Weltprotestantismus so viele Realitäten, dass man das nicht eindeutig definieren kann. Es gibt auch viele Gemeinschaften, die sich nicht als Kirchen bezeichnen. Deshalb ist dieser Begriff gewählt worden im Zweiten Vatikanischen Konzil, "Kirchen und kirchliche Gemeinschaften", um das ganze Spektrum einzufangen. Wir haben das heute ja noch viel extremer mit dem großen Anwachsen evangelikaler, pentakostalischer Gemeinschaften, die sich nicht als Kirchen bezeichnen.
Gessler: Und jetzt zum Beispiel die EKD in Deutschland – würden Sie die als Kirche bezeichnen?
Koch: Ja, da muss ich zunächst schauen, wie sie sich selbst versteht. Sie versteht sich nicht als Kirche, sie versteht sich als ein Zusammenschluss von verschiedenen Gemeinschaften. Ich muss zur Kenntnis nehmen, wie die EKD sich selber versteht. Sie präsentiert sich als Kirche, handelt auch als Kirche, aber gemäß ihrer Statuten versteht sie sich nicht als Kirche. Das muss ich zunächst zur Kenntnis nehmen.
"'Dominus Iesus' hat der evangelischen Kirche nie das Kirche-Sein abgesprochen"
Gessler: Gleichzeitig gab es – ich spiele natürlich an auf "Dominus Iesus" im Jahre 2000 – die Erklärung des Vatikan. Gab es nach dieser Erklärung "Dominus Iesus" doch viele empörte Gesichter bei der EKD, weil eben tatsächlich "Dominus Iesus" im Grunde den evangelischen Kirchen das Kirche-Sein absprach.
Koch: Nein. "Dominus Iesus" hat der evangelischen Kirche nie das Kirche-Sein abgesprochen. Ich glaube, das ist ein großes Missverständnis. Es heißt dort, sie seien nicht Kirchen im eigentlichen Sinne. Nun ist eigentlich im Deutschen ein schwieriges Wort, weil: Wenn zum Beispiel die Kinder vor dem Fernseher sitzen und die Mutter sagt, eigentlich musst du Hausaufgaben machen, heißt das eigentlich, du kannst weiter Fernsehen schauen. Es sagt also genau das Gegenteil. Im lateinischen Text heißt es non sensu proprio, das heißt, nicht in dem Sinne, wie die katholische Kirche sich versteht. Und Kardinal Kasper, mein Vorgänger, hat es ja sofort interpretiert: Sie sind Kirchen in einem anderen Sinn, eines anderen Typs. Papst Benedikt hat es in seinem großen Interviewbuch mit Peter Seewald genauso ausgesprochen, sie sind in einem analogen Sinn, in einem anderen Sinn Kirche. Und das finde ich sehr positiv, diese Aussage, weil ich finde, wir müssen tiefer miteinander ins Gespräch kommen, was wir unter Kirche verstehen. Und das liegt dann nicht an uns, den anderen Typ von Kirche zu beschreiben, sondern ist eine Einladung an die evangelische Kirche, uns genau zu sagen, wie sie Kirche versteht.
Gessler: Kardinal Lehmann war ja nicht so ganz der Ansicht. Er hat nach "Dominus Iesus" tatsächlich von einem "Betriebsunfall" gesprochen.
Koch: In der Sprache, wie das ausgedrückt worden ist, war das nicht glücklich. Aber man muss nach der Intention fragen, was dahinter steht. Und dahinter steht keineswegs das, dass man ihnen das Kirche-Sein abgesprochen hat.
Gessler: Trotzdem waren viele tatsächlich nach dieser Erklärung – es mag sein, sie haben sie missverstanden – enttäuscht und auch empört. Hat das nicht die Ökumene tatsächlich zumindest für ein paar Jahre belastet?
Koch: Natürlich. Aber es kommt dann ja auch dazu, was dann die EKD gemacht hat mit ihrer Erklärung der Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, wo immerhin mein Vorgänger, Kardinal Kasper gesagt hat, das ist so hart und so infrage stellend, dass "Dominus Iesus" geradezu Balsam ist.
Gessler: Ich möchte noch auf einen anderen Punkt kommen. Neulich hatten Sie einen Konflikt mit dem früheren Chefhistoriker des Vatikan, Kardinal Brandmüller, der gesagt hat, es gebe keine zwingende Verbindlichkeit von "Nostra Aetate", der Konzilserklärung zu den Juden. Diese Erklärung hat ja den Anti-Judaismus, der Jahrhunderte alt war in der katholischen Kirche, beendet. Wenn Kardinal Brandmüller so etwas sagt, "Nostra Aetate" ist nicht zwingend verbindlich, bewegt er sich dann eigentlich noch auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Koch: Das, was Sie jetzt sagen, habe ich in den Zeitungen gelesen. In den Gesprächen mit Kardinal Brandmüller hat das ganz anders getönt. Da haben wir keinen Dissens. Die grundlegende Frage ist natürlich, welchen Stellenwert haben im Zweiten Vatikanischen Konzil die Dekrete, welchen Stellenwert haben die Konstitutionen? Das ist eine grundlegende hermeneutische Frage, die man nicht so kurz beantworten kann. Aber man kann hier keinen Streit heraushören.
Gessler: Würden Sie nicht doch sagen, dass "Nostra Aeate" zwingend ist, verbindlich, eben weil es eine Konzilserklärung ist?
"Alles, was im Zweiten Vatikanischen Konzils steht, ist verbindlich"
Koch: Natürlich ist das ganze Zweite Vatikanische Konzil verbindlich. Dass es Erklärungen gibt, dass es Dekrete gibt und dass es Konstitutionen gibt, macht ja das Konzil selbst einen Unterschied, und da darf man auch danach fragen, was ist der Unterschied zwischen den verschiedenen Graden von Erklärungen. Aber das lässt überhaupt keinen Zweifel aufkommen, dass gewisse Texte des Konzils verbindlich und andere unverbindlich sind. Das ist alles, des Zweiten Vatikanischen Konzils, verbindlich.
Gessler: Ich möchte noch auf eine zweite Problematik kommen bezüglich des Verhältnisses zum Judentum. Sie sind ja in der entsprechenden Kommission des Vatikan. Was passiert eigentlich – wir haben das ja jetzt in den letzten Wochen erlebt, dass zwei Päpste heilig gesprochen wurden und jetzt jüngst auch ein dritter Papst selig – was passiert eigentlich, wenn Papst Pius XII. heilig gesprochen wird? Das Verfahren läuft ja noch. Wie wird sich das Verhältnis zum Judentum dann ändern?
Koch: Das ist nicht so einfach zu beantworten, weil es gibt viele Juden, die sehr große Probleme haben, wenn Papst Pius XII. selig gesprochen würde. Es gibt aber auch sehr viele Juden, die sich dafür einsetzen, dass Papst Pius XII. als Gerechter unter den Völkern eingereiht wird. Es gibt sehr verschiedene Wahrnehmungen. Und ich muss auch feststellen, wenn man das historisch anschaut, dass das Bild von Papst Pius XII. bei den Juden sehr positiv gewesen ist bis zur Publikation von Hochhuth. Das hat sehr viel geändert.
"Papst Pius XII. hat geschwiegen, um handeln zu können"
Gessler: Nun gibt es ja nicht nur die Publikation von Hochhuth. Es gibt auch wissenschaftliche historische Forschungen, bei denen tatsächlich Papst Pius nicht besonders gut abschneidet bezüglich seines Verhältnisses oder seiner Aussagen zum Holocaust.
Koch: Welche Aussagen zum Holocaust meinen Sie jetzt?
Gessler: Die Aussagen, die fehlen. Dass er das eben alles nur angedeutet hat, was da in Europa passierte und dass Millionen Menschen eben umgebracht werden.
Koch: Ich glaube, da muss man wirklich sehen, warum er geschwiegen hat. Ich würde sagen, er hat geschwiegen, um handeln zu können – im Unterschied zu Politikern, die geschwiegen haben, um nicht handeln zu können. Ich meine, es gibt auch jüdische Publikationen, die nachweisen, wie viele Juden durch Papst Pius XII. gerettet worden sind. Diese Seite muss man genauso sehen. Dass er sich stark gemacht hat, dass viele Juden nicht ausgeliefert werden, geschützt werden. So viel ich weiß, war für ihn ein Riesenschock die Erklärung des belgischen Episkopats, die erst recht zur Judenverfolgung geführt hat, und der sich dann die Frage gestellt hat, was wird erst recht geschehen, wenn der Papst redet. Und wenn der Papst recht gehabt hätte, Pius XII., dass die Judenverfolgung dann noch mehr eskalieren würde, wenn der Papst dagegen redet, würde man ihm heute sagen, er hätte es wissen müssen, und er hat sie an das Messer geliefert. Ich glaube, man muss hier ganz genau diese Gewissensentscheidung und die Gewissensnot, in der Pius XII. gestanden hat, muss man mit berücksichtigen.
"Papst Franziskus' humorvollen Aussagen sollte man nicht als unfehlbare Aussagen taxieren"
Gessler: Gibt es eigentlich durch den neuen Papst Franziskus neue Impulse für die Ökumene? Es gibt ja erstaunliche Aussagen von Papst Franziskus, leicht ironisch bezüglich der Glaubenskongregation oder Kardinal Müller. Hat das sozusagen, diese neue Offenheit oder fast Lockerheit, hat das auch das ökumenische Gespräch etwas erleichtert?
Koch: Also, Papst Franziskus ist ein sehr humorvoller Mensch, und deshalb sollte man seine humorvollen Aussagen nicht gleich als unfehlbare Aussagen dann taxieren. Er wird uns neue Türen öffnen in ein Feld hinein, das bisher schwierig war. Er hat vor allem gute Kontakte zum ganzen pentakostalischen, evangelikalen Bereich, der eigentlich eher verschlossen gewesen ist. Und da kann er natürlich sehr viel Positives wirken, weil da sind viele Vorurteile gegen die katholische Kirche, vor allem gegen das Papsttum. Und wenn Sie ihn dann so persönlich erleben, fallen viele Vorurteile dahin und öffnen uns Tore, ich denke, vor allem in diesem Bereich. Und er hat natürlich ein Herz für die Ökumene, aber das muss ich ehrlicherweise von jedem Papst nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagen.
Gessler: Man könnte sich ja vorstellen, dass tatsächlich die christlichen Kirchen, was die Ökumene angeht, etwas näher zusammenrücken, weil eine aggressive Form des Islam im Augenblick der Welt so viel Sorgen macht. Ist das tatsächlich so zu beobachten, dass die christlichen Kirchen etwas näher zusammenrücken?
"Christen sind die am meisten verfolgten Menschen in der Welt"
Koch: Sie sollten auf jeden Fall, nicht nur wegen des Islams, sondern die Christen sind die am meisten verfolgten Menschen in der Welt. 80 Prozent aller Menschen, die aus Glaubensgründen verfolgt werden, sind Christen. Wir haben heute mehr Christenverfolgung als in den ersten Jahrhunderten – das müsste uns zusammenführen. Aber ich meine, wir haben einen viel anderen Auftrag, wir haben den Auftrag des Herrn Jesus Christus, der für die Einheit der Jünger gebetet hat. Dieser positive Ansatz sollte eigentlich viel wichtiger sein, damit die Christen zusammenfinden, als der Anlass von außen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema