Vater, Mutter, Gott und Krieg

05.05.2012
Die Psychotherapie inspiriert nicht nur die Theologie, sie hat bisweilen auch die Folgen allzu strenger religiöser Erziehung aufzuarbeiten. Der Psychotherapeut Tilmann Moser hat nun einen Band veröffentlicht, indem das Schicksal seines Analysanden Hartmut P. beschrieben wird.
Das Bild von Max Beckmann auf dem Buchcover lässt eher an Kafkas Vater, den kraftvollen Schlachter, denken, als an den Vater von Hartmut P. Der nämlich war ein psychisch sehr weicher Mann, dazu körperlich versehrt durch einen Unfall als junger Erwachsener. Ein schwacher Vater, eine dominante Mutter, die ihre Macht durch protestantische Frömmigkeit unterfüttert – das ist die Konstellation, in der Hartmut P. aufwächst.

Folgenreich ist für den Sohn vor allem die Entwertung des Vaters durch die Mutter. Mit wem soll sich ein Junge unter solchen Umständen identifizieren, zumal dann, wenn die Mutter ihn ins Vertrauen zieht, aber darüber Stillschweigen dem Vater gegenüber erbittet?

"Das Angebot eines Schweigepaktes weckt traurigen Stolz: Du wirst auf eine so mitleidige, ärgerliche, achselzuckende Weise ausgegliedert aus den Vorgängen der Familie, dass ich sofort zu schwanken beginne. Das heißt, Dich entweder als einen von der Mutter als hoffnungslos aufgefassten Menschen zu sehen, (…) oder mich auf Deine schwächliche Seite zu schlagen."

So ist nicht nur die Selbstfindung erschwert, sondern der Sohn trägt schwer auch daran, den Vater zu verraten. Hartmut P. beschreibt diese Zerreißprobe, der heutzutage besonders viele Trennungskinder ausgesetzt sein dürften, sehr genau. Die Schwäche des Vaters, der immer wieder Trost in seiner Herkunftsfamilie sucht, statt sich zu Hause stark zu machen, rechtfertigt die Herablassung seiner Frau. Ein Teufelskreis.

"Für Verbündete hast Du keine Verwendung mehr, weil Du nicht kämpfen willst. Und so entsteht eine entsetzliche Zwickmühle: Du klagst noch und spürst auch einzelne Winkelzüge zu Deiner Entmachtung und Entwertung, Dein Elend bleibt Dir spürbar, Deine ganze Existenz wird zur Anklage, aber gerade dies macht auch wütend: Du bist der wandelnde Vorwurf, dem aber nicht zu helfen ist."

Unangreifbar wird die Mutter durch ihren Pakt mit ihrem Gott. Die protestantische Familie lebt in der Diaspora. Ihr Glaube wird von der Mutter stolz als der überlegene behauptet. Zu den fünf eigenen Kindern kommt ein Waisenkind, das adoptiert wird, um ihm das Katholischwerden zu ersparen. Auch sonst hilft die Mutter im Ort, wo sie nur kann. Es ist Nachkriegszeit, und ihr Einsatz für Flüchtlinge verhilft ihr zu Ansehen. Die "richtige" Religion bestimmt das Alltagsleben der Mutter und damit der ganzen Familie. Sie rechtfertigt auch die Lustfeindlichkeit der Mutter, an die Hartmut P. schreibt:

"Deine Angst vor dem Leben war überhöht durch verurteilendes Entwerten. (…) Denn obwohl Deine Maßstäbe christlich-protestantisch waren: Du hast das Leben und die vital Lebenden in einer viel elementareren Form verachtet, als es eine verhärmte Auslegung der zehn Gebote gefordert hätte."

Die Briefe sprechen von tief reichendem familiären Unglück, aus dem es lange kein Entrinnen gab, auch kein Davonlaufen. Der Sohn hatte sich redlich um innere Freiheit bemüht – durch eine Therapie, durch den Abbruch der Beziehungen zu seinen Eltern, schließlich durch eine 5-jährige Analyse bei Tilmann Moser.

Hartmut P. hatte sich Tilmann Moser als Psychoanalytiker ausgesucht, weil dessen Buch "Gottesvergiftung" ihm ein besonderes Verständnis für die religiöse Komponente seiner Verstörungen versprach. Und vermutlich hat dieses Buch Hartmut P. auch dazu angeregt, Briefe an seine Eltern zu schreiben. In diesen Briefen stehen allerdings die gestörten und verstörenden Identifizierungen des Sohnes im Vordergrund. Genau das macht die Lektüre aber auch packend. Es wird deutlich, wie wichtig es für eine gesunde psychische Entwicklung ist, als Junge ein positives, ein kräftigendes Vaterbild verinnerlichen zu können. Für Frauen gilt das im Hinblick auf ihre Mütter genauso.

Hartmut P.s Briefe an seinen Vater und seine Mutter sind nicht nur intensiv, sondern auch differenziert – das macht sie kostbar. Der Sohn verschanzt sich nicht hinter nachgetragenen Vorwürfen an die Eltern, sondern er beschreibt – schonungslos gegenüber sich selbst –, wie er als unglücklicher Sohn auch das Unglück der Eltern verstärkte. Diese Dialektik ist lehrreich und bewegend.

Besprochen von Barbara Dobrick


Tilmann Moser, Hartmut P. - Vater, Mutter, Gott und Krieg
Hass, Verachtung und Verrat in einer psychoanalytischen Behandlung

Psychosozial-Verlag, Gießen 2011
122 Seiten, 16,90 Euro


Tilmann Moser auf dradio.de:

Mut zum Bekenntnis - Tilman Moser: "Gott auf der Couch", Gütersloher Verlagshaus, München 2011, 223 Seiten
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