USA - Von Vietnam nach Chicago

Von Ulf Dammann · 07.04.2008
Für die USA war 1968 ein in vielerlei Hinsicht traumatisches Jahr: Zwei bedeutende Männer, Martin Luther King und Robert F. Kennedy, wurden innerhalb weniger Wochen erschossen, die Ermordung Kings löste in den schwarzen Ghettos gewaltige Aufstände aus, in Vietnam sahen sich die USA mit einer großangelegten Offensive nordvietnamesischer Truppen und des Vietcong konfrontiert.
Die Proteste gegen den Vietnamkrieg hatten sich schon in den Jahren zuvor immer weiter ausgeweitet. 1967 hatten im berühmten "summer of love" junge Menschen friedlich und drogenselig "make love not war" gefordert. Die Hippie-Kultur sollte vom Haight-Ashbury District in San Francisco aus rund um die Welt gehen. Militanter als die Hippies traten die Frauenbewegung, die Black-Power-Bewegung, die Bewegung der Indianer auf. Sie alle trugen dazu bei, dass 1968 auch die USA veränderten.

Als das schicksalhafte Jahr 1968 in den USA beginnt, hat sich die Stimmung im Lande verändert. Die Zustimmung zum Vietnamkrieg bröckelt, und an den Universitäten und auf der Straße hat nicht nur die Anti-Kriegsbewegung ihre unüberhörbare Stimme gefunden. Die gesamte US-Gesellschaft ist zu Beginn des Jahres in höchstem Maße politisiert.

Sogar in den Streitkräften ist der Widerstand gegen den Krieg inzwischen unübersehbar. Gleichzeitig erreicht der Krieg, der lange Zeit vor allem ein TV-Ereignis gewesen ist, auch die letzten Winkel der amerikanischen Provinz. Immer mehr junge Männer werden direkt nach der High School eingezogen. Immer öfter kommen sie in Särgen, geschmückt vom Star Spangled Banner, zurück. Der lange Zeit unerschütterliche amerikanische Patriotismus gerät ins Wanken.

Doch zu Beginn des Wahljahres 1968 fehlt noch immer die nationale politische Stimme, die den Protest der Kriegsgegner von der Straße auf die große politische Ebene heben könnte. Bobby Kennedy weigert sich, als Friedenskandidat in den Ring zu steigen. Wie alle anderen hält auch er Präsident Johnsons Wiederwahl im November für unvermeidlich.

Allerdings hat am 30. November 1967 Senator Eugene McCarthy als Bannerträger der Kriegsgegner seine Präsidentschaftskandidatur erklärt; niemand in Washington nimmt ihn ernst. Maximal zehn Prozent prophezeien ihm die Demoskopen bei der ersten Vorwahl in New Hampshire. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse:

30. Januar 1968: In Vietnam beginnen die vereinten Streitkräfte Nordvietnams und des Vietkong die Tet-Offensive und fügen den US-Streitkräften zunächst schwere Niederlagen zu.

12. März 1968: Senator McCarthy bekommt nach einem Wahlkampf ohne Geld, aber getragen von studentischen Freiwilligen, bei den Vorwahlen in New Hampshire insgesamt mehr Stimmen als Präsident Johnson.

Für McCarthy und seine Studenten wurde ein Traum wahr - und das Lied aus dem Musical "Der Mann von La Mancha" ihre Hymne. Plötzlich war Präsident Johnson schlagbar.

16. März 1968: Ermutigt von McCarthys Erfolg in New Hampshire erklärt Senator Robert Kennedy seine Präsidentschaftskandidatur.

Kennedy: "I’m announcing today my candidacy for the presidency of the United States."

31. März 1968: Johnson gibt auf.

Johnson: "I shall not seek and will I not accept the nomination of my party for another term as your president."

Vizepräsident Hubert Humphrey tritt als Kandidat an seine Stelle.

5. Juni 1968. Bobby Kennedy siegt in Kalifornien. Minuten nach seiner Siegesrede wird er erschossen.

Auf dem Parteitag der Demokraten im August unterliegt Eugene McCarthy gegen Vizepräsident Humphrey, der auch vom größten Teil der Kennedy-Delegierten gewählt wird. Währenddessen herrscht auf den Straßen Chicagos Bürgerkrieg. Mit brutaler Gewalt fällt die Polizei über die demonstrierenden Kriegsgegner und Anhänger McCarthys her. Auf der großen politischen Ebene sind die Vietnamkriegsgegner geschlagen. Doch außerparlamentarisch hält der Widerstand in den kommenden Jahren verstärkt weiter an.

Beitrag zum Nachhören (MP3-Audio)
Vietcong, 1965
Vietcong, 1965© AP Archiv