USA unter Barack Obama

Neudefinition des "amerikanischen Traums"

US-Präsident Barack Obama spricht auf der Gedenkfeier in Dallas.
Welche Versprechen konnte US-Präsident Barack Obama während seiner Amtszeit einhalten? Hier spricht er auf der Gedenkfeier für die ermordeten Polizisten in Dallas. © AFP / Mandel Ngan
Amanda Terkel im Gespräch mit Nana Brink · 14.07.2016
Barack Obama sei seinem Versprechen, der Präsident aller Amerikaner zu sein, treu geblieben, sagt die amerikanische Journalistin Amanda Terkel. Gleichwohl sei die US-Gesellschaft heute in vielen Bereichen gespaltener als früher.
Amanda Terkel, Redaktionsleiterin für Politik der "Huffington Post", sagte im Deutschlandradio Kultur über die Amtszeit Barack Obamas:

"Er hat sich mit Themen befasst wie Wirtschaft oder Gesundheitsfürsorge, die einen Großteil der Bevölkerung betreffen. Natürlich konnte er das nicht für immer aufrecht erhalten, weil das Thema 'Rasse' während seiner Präsidentschaft wieder sehr groß geworden ist."
Die amerikanische Gesellschaft sei heute aber gespaltener als früher, meinte Terkel: Nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene, sondern auch in vielen anderen Bereichen. Diese Spaltung lasse sich auch in den Taten von Dallas und Orlando erkennen:
"Schwarze Amerikaner oder Latinos sehen aber, dass da noch mehr dahinter steckt. Und ich denke, sie haben recht. Der Armutsanteil unter ihnen ist höher, in vielen Schule kommt es de facto wieder zu einer Rassentrennung. Es gibt weniger gemischte Wohngebiete als früher, was Rassenzugehörigkeit und Einkommen betrifft."

"Die Leute suchen nach Jobs, die sie emotional erfüllen"

Ist der "amerikanische Traum" mittlerweile zu Ende? Das sei nicht der Fall, sagte Terkel und verwies auf aktuelle Umfragen. Sie zeigten, dass die meisten Menschen – auch viele junge Leute - immer noch daran glaubten, diesen Traum zu verwirklichen:
"Es verändert sich aber die Definition dieses Traums. Wir träumen ihn nicht mehr so, wie unsere Eltern ihn geträumt haben: Finde einen Job und behalte ihn Dein Leben lang. Wenn du dann aufhörst, bekommt du eine Rente, und alles wird gut. Ich denke nicht, dass Leute das noch glauben. Heute suchen die Leute nach Jobs, die sie emotional erfüllen, die sie mögen."
Das Interview im Original:

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Wir sind gar nicht so gespalten, wie andere uns sehen, das hat Präsident Obama am Dienstag auf der Trauerfeier für die Polizeibeamten in Dallas gesagt. Er hat all seine Redekunst aufgebracht, um an die Nation zu appellieren, sie zu trösten und das zu sagen, was er schon immer geglaubt hat, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika, die sind vereinigt. Aber da scheint er wahrscheinlich nicht zur Mehrheit zu gehören, denn selten haben die USA ein solches Bild von Uneinigkeit, von Hass und Gewalt zwischen den Ethnien abgegeben wie in den letzten Wochen. Oder haben wir von hier aus vielleicht nur ein verzerrtes Bild auf die Realität in den USA? Das will ich jetzt mit Amanda Terkel besprechen, sie ist leitende Politikredakteurin bei der Onlinezeitung "Huffington Post". Welcome to our show!
Amanda Terkel: Thanks for having me!
Brink: Eines der Versprechen Obamas war "Change". In seiner ersten Rede sagte er: Ich will Präsident für alle Amerikaner sein, doch das Land erscheint acht Jahre später gespaltener denn je. Wie sehen Sie das?
Terkel: Ich denke, genau das ist der Fall. Als Barack Obama für das Amt des Präsidenten kandidierte, schrieb er Geschichte. Er wurde ja der erste afroamerikanische Präsident. Aber man hat ihn kaum je über das Thema Rasse sprechen hören und nur wenig über Themen, die vorrangig für Afroamerikaner von Interesse wären. Und wenn er dann doch mal zu diesen Inhalten sprach, dann war das sehr machtvoll, da wir noch nie zuvor einen Präsidenten hatten, der diese Themen so hätte angehen können.
Aber Obama ist seinem Versprechen, der Präsident aller Amerikaner zu sein, wirklich treu geblieben. Er hat sich mit Themen befasst wie Wirtschaft oder Gesundheitsfürsorge, die einen Großteil der Bevölkerung betreffen. Natürlich konnte er das nicht für immer aufrechterhalten, weil das Thema Rasse während seiner Präsidentschaft wieder sehr groß geworden ist. Und wie Sie sagten: Die Gesellschaft ist gespaltener als früher, nicht nur in verschiedene Rassen, sondern auch wirtschaftlich und auf vielen anderen Ebenen. Und das liegt nicht an Obama. Aber weil wir mit ihm den ersten schwarzen Präsidenten haben, drängte sich das Thema Rasse stärker nach vorn.

In Dallas und Orlando zeigt sich die Spaltung der US-Gesellschaft

Brink: Wenn wir jetzt Dallas und auch Orlando im Hinterkopf behalten, was sind denn die Gründe, die zu dieser Spaltung führen?
Terkel: Im Fall von Dallas und Orlando sehen wir genau, wie gespalten die Gesellschaft ist: Mehr denn je. Schwarze Amerikaner oder Latinos sehen aber, dass da noch mehr dahintersteckt, und ich denke, sie haben recht. Der Armutsanteil unter ihnen ist höher, in vielen Schulen kommt es wieder zu einer de-facto-Rassentrennung, es gibt weniger gemischte Wohngebiete als früher, was Rassenzugehörigkeit und Einkommen betrifft. Dazu hat Obama sich geäußert, indem er sagte, dass wir früher all diese Wohngegenden mit unterschiedlichen Einkommen hatten, in denen diese verschiedenen Leute aufeinander treffen und sich kennenlernen konnten.
Heute entspricht das weniger der Realität. Jetzt bleiben die Reichen unter sich, und die Armen leben ebenfalls untereinander, was die Leute im unteren Einkommensbereich isoliert. Andererseits sieht man in den wohlhabenderen Vierteln dieses Problem nicht mehr. Und die Leute von dort haben von daher auch nicht den politischen Willen, in den armen Gegenden etwas zu verbessern. Sie denken nur, mein Viertel sieht doch super aus. Man sieht also, warum immer mehr Leute frustriert sind mit der Behandlung, die sie erfahren, sei es bei wirtschaftlichen Themen oder bei strafrechtlichen. Und sie äußern sich inzwischen lautstärker als vorher, und das erleben wir auch bei den Demonstrationen überall im Land.

Kluft zwischen Arm und Reich in Amerika

Brink: Was ist denn entscheidender für diesen Riss, den Sie beschrieben haben in der Gesellschaft? Die Ungleichheit zwischen der schwarzen, weißen, hispanischen oder asiatischen Bevölkerung, oder die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich?
Terkel: Ich glaube nicht, dass man das wirklich in eine Reihenfolge setzen kann. Diese Bereiche sind untrennbar miteinander verflochten. Das hat man auch gesehen, als Senator Bernie Sanders für die Präsidentschaft kandidierte. Er redete so viel über die Einkommensungleichheit und wirtschaftliche Themen. Manche waren schon frustriert, dass er nicht ebenso viel über Ungleichheit der Geschlechter oder der Rassen gesprochen hat.
Denn der Grund, dass Afroamerikaner in ihren Karrieren oft nicht so hoch kommen, ist nicht nur ein ökonomischer. Es gibt auch eine Rassenkomponente. Ebenso wenig kann man die Ungleichheit der Rassen thematisieren, ohne auf die Ungleichheit der Einkommen einzugehen. Ich denke, das hängt alles sehr eng zusammen.
Man muss sich sowohl die Einkommensungleichheit ansehen, Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, Benachteiligung von Frauen, die in den USA immer noch weniger verdienen als Männer. All diese Themen sind wichtig, und die Leute sehen, wie das alles miteinander zusammenhängt. Das äußert sich jetzt auch in den Protesten.

"Schulen sind immer stärker nach Rassen getrennt"

Brink: Denken Sie also, das hängt alles untrennbar miteinander zusammen?
Terkel: Auf jeden Fall. Wohnviertel sind nach Rasse und Klasse getrennt, auch Schulen. Es gab diese großangelegten Bemühungen, die Schulen mehr zu mischen, nachdem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, dass nach Rassen getrennte Schulen gegen das Gesetz sind. Aber aktuelle Studien zeigen, dass die Schulen inzwischen immer stärker nach Rassen, aber auch nach Einkommen getrennt sind.
Als Obama darüber sprach, sagte er, der Grund, warum man unterschiedliche Leute um sich benötigt, ist, dass man etwas braucht, das man anstreben kann. Da geht vielleicht die Tochter eines Senators mit dem Sohn eines Bankers aus, aber sie besuchen immer die gleichen Einrichtungen. Sie gehen in die gleiche Kirche, sind Mitglieder im gleichen Club, gehen in die gleichen Parks, und all diese Dinge verbinden sie miteinander und könnten Wege sozialen Aufstiegs aufzeigen. Aber wenn man keine unterschiedlichen Leute mehr in einem Wohngebiet hat, können deren Kinder diesen Weg zum amerikanischen Traum nicht mehr sehen.

Der Niedergang der Mittelklasse in den USA

Brink: Welchen Einfluss hat denn der Niedergang der Mittelklasse?
Terkel: Das hat stark dazu beigetragen. Das zeigt sich auch im Aufstieg von Donald Trump. Bei diesen Vorwahlen hat man eine populistische, aber auch eine wirtschaftlich motivierte Wut erlebt, die nicht nur Trump abgeschöpft hat, sondern die auf der anderen Seite auch Bernie Sanders ein deutlich längeres Ausharren als Kandidat ermöglicht hat, als viele geglaubt hätten. Die Leute sind sehr frustriert von der Tatsache, dass die Einkommen der reichsten zehn Prozent der Amerikaner weiter ansteigen, die Einkommen der ärmsten 30 Prozent dagegen schrumpfen.
Beim Vermögen besitzt die oberste Spitze einen Großteil, während die große Masse ganz unten nur einen sehr geringen Anteil hat. Das spüren die Leute. Sie merken, wie ihre Jobs verschwinden. Manchen geht es wirtschaftlich unter Obama besser. Das heißt aber oft nur, dass sie nun in der Lage sind, ihre Schulden zu bezahlen, nicht, dass sie wirklich weiter nach vorne kommen. Es frustriert sie, dass das nicht schneller geht, dass die Wirtschaft nicht schneller anzieht, auch wenn sie tatsächlich unter Obama wieder etwas angezogen hat.

Umdenken beim "amerikanischen Traum"

Brink: Denken Sie dann, dass der amerikanische Traum tot ist?
Terkel: Nein, das glaube ich nicht. Man konnte eine Weile überall lesen, dass der amerikanische Traum verschwindet, aber Umfragen zeigen, dass die meisten immer noch daran glauben, dass auch junge Leute noch danach streben, diesen Traum zu verwirklichen.
Es verändert sich aber die Definition dieses Traums. Wir träumen ihn nicht mehr so, wie unsere Eltern ihn geträumt haben: Finde einen Job und behalte ihn dein Leben lang. Wenn du dann aufhörst zu arbeiten, bekommst du eine Rente, und alles wird gut. Ich denke nicht, dass Leute das noch glauben. Heute suchen die Leute nach Jobs, die sie emotional erfüllen, die sie mögen. Vielleicht gewöhnen sich die Menschen auch daran, dass sie jederzeit entlassen werden können und dann etwas Neues finden müssen.
Brink: Amanda Terkel, leitende Politikredakteurin bei der "Huffington Post". Das Gespräch haben wir natürlich aufgezeichnet, aber wenn Sie Lust haben, können Sie auch die englische Originalfassung, die ich mit ihr geführt habe, natürlich online bei uns in Kürze nachlesen und auch hören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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