USA

Massive Vergeltung als militärische Strategie

Von Otto Langels · 12.01.2014
Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war in den USA die Hoffnung auf eine stabile und friedliche Weltordnung verflogen. Außenminister John Foster Dulles propagierte so am 12. Januar 1954 die Strategie der "massiven Vergeltung", die der atomaren Abschreckung.
"Meine Einschätzung ist die, dass die Uhr gegen uns läuft. Überall auf der Welt stellt sich doch die Frage, was wir alles Nächstes verlieren. Wir sind in der Defensive und nicht mehr in der Offensive."
Erklärte der amerikanische Politiker John Foster Dulles 1952 mit Blick auf die politische Weltlage. Zu dem Zeitpunkt war die Allianz der Sieger des Zweiten Weltkriegs längst zerbrochen. Aus den einstigen Verbündeten USA und Sowjetunion waren erbitterte Gegner geworden. Dulles sah die Freiheit des Westens bedroht.
"Wohin man auch schaut, überall sind wir mit der Frage konfrontiert, welches Land demnächst für die freie Welt verloren geht: Iran, Ägypten, Indochina, Korea?"
Zunächst hatten die USA auf den kommunistischen Expansionsdrang mit einer Politik der Eindämmung reagiert. Eine Demonstration militärischer Stärke sollte die Kommunisten in Europa und Asien einschüchtern. Dwight D. Eisenhower, seit Anfang 1953 amerikanischer Präsident als Nachfolger von Harry Truman, schreckte jedoch vor den immensen Kosten eines Wettrüstens mit konventionellen Waffen zurück. Um die Rüstungsausgaben zu begrenzen, entwickelten seine Berater eine neue Strategie. Bei einem Essen des Rates für auswärtige Beziehungen in Washington am 12. Januar 1954 skizzierte Eisenhowers Außenminister John Foster Dulles die Grundzüge des Verteidigungskonzepts.
"Wir brauchen Verbündete und ein kollektives Sicherheitssystem. Wir wollen diese Beziehungen effektiver und kostengünstiger gestalten. Dies können wir erreichen, wenn wir uns stärker auf die abschreckende Wirkung von Waffensystemen verlassen und nicht mehr von regionalen Verteidigungsstreitkräften abhängig sind."
John Foster Dulles schlug in seiner Rede deshalb eine Politik der "massive retaliation", der "massiven Vergeltung" vor. Jeder Angriff auf die USA oder einen Verbündeten sollte mit einem nuklearen Gegenschlag beantwortet werden.
"Mit regionalen Verteidigungsanstrengungen allein kann man die mächtigen Landstreitkräfte des kommunistischen Lagers nicht aufhalten. Deshalb muss die lokale Verteidigung durch die abschreckende Wirkung der massiven Vergeltung verstärkt werden. Um eine Aggression zu verhindern, muss die freie Welt willens und in der Lage sein, an jedem Ort mit den Mitteln ihrer Wahl energisch zu reagieren."
Vor einer ersten Bewährungsprobe stand die neue amerikanische Verteidigungsstrategie kurz darauf in Indochina. Die US-Führung bot der französischen Kolonialarmee zwei Atombomben für den Einsatz gegen die vietnamesischen Kommunisten an. Die Franzosen verzichteten, der Ernstfall trat nicht ein. Anfang Mai erlitt die französische Armee in der Schlacht von Dien Bien Phu eine vernichtende Niederlage, worauf US-Außenminister Dulles erklärte:
"Die chinesischen Kommunisten haben die vietnamesischen Rebellen mit Munition, Lastwagen, Luftabwehrgeschützen, Radar, technischer Ausrüstung und Beratern unterstützt. Sie haben jedoch im letzten Moment auf eine offene bewaffnete Intervention verzichtet, weil die Warnungen der Vereinigten Staaten sie abgeschreckt haben, dass eine offene Intervention zu schwerwiegenden, nicht auf Indochina begrenzten Konsequenzen geführt hätte."
John Foster Dulles, Außenminister unter Präsident Dwight D. Eisenhower von 1953 bis 1959
John Foster Dulles, Außenminister unter Präsident Dwight D. Eisenhower von 1953 bis 1959© AP
Ein Jahr später drohte John Foster Dulles erneut mit dem Einsatz von Atomwaffen im Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan um die Inseln Quemoy und Matsu. Die chinesischen Kommunisten seien nur vor einem massiven Angriff zurückgeschreckt, so Dulles, weil der amerikanische Präsident freie Hand für einen atomaren Gegenschlag gehabt hätte. Eisenhower erklärte öffentlich, Atombomben könne man so einsetzen, wie man eine Gewehrkugel verwende. Adlai Stevenson, Präsidentschaftskandidat der Demokraten für die Wahlen in den Jahren 1952 und 1956, reagierte empört auf die Strategie der massiven Vergeltung:
"Ich bin erschüttert, dass der Außenminister mit dem Leben unserer Nation russisches Roulette spielt."
Mit der Wahl John F. Kennedys zum Präsidenten der USA im November 1960 änderte sich die amerikanische Sicherheitspolitik. An die Stelle der massiven Vergeltung trat die Strategie der "flexible response": Statt sofort einen nuklearen Gegenschlag anzukündigen, wollten die USA nunmehr auf einen sowjetischen Angriff flexibel reagieren.