USA

Ferguson oder die Alltäglichkeit der Gewalt

Protestzug durch Ferguson, Missouri, nachdem ein Polizist einen Studenten erschossen hat.
Protestzug nach dem Tod von Michael Brown durch Ferguson, Missouri © picture alliance / dpa / Robert Rodriguez
Von Thomas Nehls · 23.08.2014
Der von einem Polizisten erschossene 18-jährige Afroamerikaner Michael Brown ist kein Einzelfall. Er spiegelt vielmehr das Selbstverständnis staatlicher Gewalt in den USA wider, kommentiert Thomas Nehls.
Man könnte ja meinen, in den großen USA werde einmal mehr ein Einzelfall überstrapaziert – diesmal am Beispiel der Kleinstadt Ferguson, aus der über zwei Wochen lang weltweit die Kunde von roher Gewalt auf allen Seiten verbreitet wurde. Das jüngste Kapitel in der langen Reihe von Übergriffen der amerikanischen Polizei auf Bürger, für deren Schutz sie eigentlich angeheuert wurde, ist aber leider ein Beleg für Kontinuität. Dafür, dass der erste schwarze Präsident der Supermacht auch in seiner zweiten Amtszeit kaum Symbolkraft in das großmaschige Netz der amerikanischen Parallel-Gesellschaft hineinzutragen vermag.
Spiegelbild staatlicher Gewalt
Der Todesfall des von einem weißen Polizisten mit sechs Schüssen niedergestreckten 18-jährigen Afroamerikaners Michael Brown ist ein Spiegelbild des Selbstverständnisses staatlicher Gewalt in den USA. Nicht erst seit Ausrufen des "war against terror", des "Krieges gegen Terror", sind Polizei und Armee verunsichert zu entscheiden, wer denn nun zu den Guten und wer zu den Bösen gehört – innerhalb und außerhalb des Landes.
Eine Art Schwarz-Weiß-Muster – von Vorurteilen genährt und von vielen Politikern bekräftigt – hilft da sehr, das Tagesgeschäft zu bewältigen. Nicht lange fackeln, lieber präventiv losschlagen oder sicherheitshalber gleich vorbeugend schießen verhütet schließlich, womöglich selbst das Opfer zu werden. In einer Welt, in der gezieltes Töten als Vorbeugung gesellschaftsfähig geworden ist, drängen sich derlei Arbeitsdevisen geradezu auf.
Diese Vorgehensweise hinterlässt in den USA eine Strecke von etwa 400 aus Polizeiwaffen Getöteten jährlich, die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Dass dabei der etwa 13-prozentige afroamerikanische Bevölkerungsanteil überproportional vertreten ist, beschreibt kein unerklärliches Phänomen, sondern ebenfalls ein scheinbar nicht zu überwindendes Denkmuster. Schwarz gleich eher arm und letztlich gewaltbereit, weil man auf dieser unterprivilegierten Stufe ja ohnedies kaum etwas zu verlieren hat: So betrachten viele Ordnungshüter in den USA ihre etwas dunkleren Landsleute und handeln entsprechend. Beobachtungen in Großstädten wie Chicago oder New York , in denen auch der Anteil afroamerikanischer Polizisten erheblich ist, scheinen zwar diesem Trend zuwiderzulaufen, vermögen die Sicht der Staatsgewalt auf die Bürger als prinzipielle Gegner aber nicht vollends zu tilgen.
Militarisierung der US-Polizei
Die steigende Militarisierung der amerikanischen Polizei tut das Ihre, um die Uniformierten in ihrer einfach gestrickten Denkweise zu bestätigen. Die dagegen halten, wie in diesen Tagen der afroamerikanische Bürgerrechtler und Prediger Al Sharpton, werden ihrerseits als Scharfmacher gebrandmarkt.
Unfair wäre es, den vornehmlich weißen Tätern in Uniform unisono rassistische Motive zu unterstellen. Analysen von dem tragischen Geschehen in Ferguson ähnelnden Vorfällen in anderen Gegenden mahnen zu differenzierter Betrachtung. Eine Kollegin der "Zeit" fand heraus, dass die Erschießung eines 24-jährigen Schwarzen in North Carolina vor einem Jahr weder zu einem Aufschrei noch zu Demonstrationen und auch nicht zu Verdächtigungen von weißen Polizisten geführt hat. Den Menschen dort ging's und geht´s gut – auch vielen Schwarzen; also "business as usual", und dabei kann's ja auch mal zu Pannen kommen.
Den Polizeikugeln von Ferguson ist die negative Symbolkraft hingegen nicht mehr zu nehmen. Sie belegen allerdings eher die Gewöhnung an übermäßige Gewaltanwendung als den Verdacht auf bloßen niederträchtigen Rassismus – wie auch sonst in einer Welt, in der sich ähnliche Vorkommnisse in Zukunft womöglich mithilfe unbemannter Drohnen deutlich anonymer auf der Bühne der Brutalität ereignen könnten.
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