US-Soldaten als Ausbilder

Wie Ukrainer in Uniform militärische Grundlagen lernen

Ukrainische Soldaten während einer Übung in der Nähe von Zhytomyr. Sie stehen in einer langen Reihe.
Ukrainische Soldaten während einer Übung in der Nähe von Zhytomyr. © Sergey Dolzhenko, dpa / picture-alliance
Von Florian Kellermann · 17.09.2015
Seit einigen Monaten trainieren US-Soldaten mit ukrainischen Uniformierten: Deren Nachholbedarf ist erheblich. Hauptziel der Ausbildung ist es, die hohen Verluste der Nationalgarde im bewaffneten Konflikt in der Ostukraine zu begrenzen.
Ein Dutzend junger Männer in Tarnanzügen stehen in einem Waldstück im Kreis, es ist die Schlussbesprechung einer zweitägigen Trainingseinheit. "Habt Ihr etwas Wertvolles für Euch mitgenommen?", fragt der Ausbilder der US-Armee. Ein Übersetzer wiederholt die Frage auf Ukrainisch. "Ich habe mich wieder an die Monate im Schützengraben erinnert", antwortet einer der Ukrainer sarkastisch.
Die Soldaten der ukrainischen Nationalgarde sollten in diesen beiden Tagen lernen, wie sie sich in kleinen Gruppen behaupten können. Gerade, zum Abschluss, haben sie Stacheldraht rings um ihre Stellung gezogen und längliche Gruben ausgehoben. In ihnen können sie sich einzeln verschanzen. Ob das neu für sie war?
Schlechte Erfahrungen mit der Presse
Mit den Medien dürfen die einfachen ukrainischen Soldaten nicht sprechen. Der Grund seien schlechte Erfahrungen mit der Presse, sagt Oberst Serhij Kapeljuschnyk:
"Ich bin den Streitkräften der USA sehr dankbar dafür, dass sie uns in dieser Not beiseite stehen. Diese Militär-Bruderschaft hilft uns, die Kenntnisse der Partner sind für uns wertvoll. Ein Beispiel: Sie haben ihre Methoden, einen Kriegsgefangenen zu durchsuchen und wir unsere. Was bei ihnen besser ist, übernehmen wir für uns. Wir hatten auch keine Erfahrung damit, wie man einem Informationskrieg des Gegners entgegen tritt, wie man die Bevölkerung überzeugt. Da können wir wirklich etwas lernen."
Seit April trainieren US-Soldaten gemeinsam mit ukrainischen Uniformierten. Das Übungsgelände liegt in der Nähe von Jaworiw in der Westukraine. In einem Kulissendorf können die Schüler den Häuserkampf proben. Es gibt Hütten, die als Übungs-Checkpoints funktionieren. Das Programm trägt den Namen "Furchtloser Wächter". Bisher haben es 235 ukrainische Soldaten der Nationalgarde abgeschlossen. Ebensoviele sind derzeit im Training. Wenn es im Herbst ausläuft, wird die kanadische Armee die Schulung übernehmen - dann für eine andere Einheit der ukrainischen Armee.
Entsetzen über hohe Verluste der Ukrainer
Es gibt offenbar viel Nachholbedarf. Die US-Kollegen zeigen sich entsetzt über die hohen Verluste der Ukrainer. Es gebe Fortgeschrittene, aber einigen müssten noch die absoluten Grundlagen beigebracht werden, sagt Alexander Coslow, ein US-Leutnant, der mit seinen Soldaten gerade Schießübungen macht:
"Zum Beispiel Bewegen unter Feuer, zum Beispiel, dass man nicht einfach direkt zum Feind hinrennt, sondern in Zwei-Mann-Teams. Einer schießt von einer gesicherten Position, während der andere von der Seite sich bewegt und dann abwechselnd, dass man eine Stellung aufnimmt, schießt, während der andere sich bewegt, um den zu schützen. Das sind so ganz einfache Sachen, die wir versuchen, denen beizubringen."
Die Überlebenschance zu erhöhen, ist erste Priorität des Trainings. Deshalb spielt auch die medizinische Ausbildung eine große Rolle.
Jedem US-Soldaten ist ein ukrainischer Uniformierter zugeordnet. Alexander Coslow aus Kalifornien, der in Deutschland aufgewachsen ist, hat ein enges Verhältnis zu seinem ukrainischen Partner entwickelt. So hat er auch etwas über den Konflikt im Osten der Ukraine gelernt und über den Krieg an sich. Denn mit klassischen Artilleriegefechten hatte die US-Armee schon lange nichts mehr zu tun:
"Der Einsatz in der Ostukraine ist ganz anders, als die Einsätze, die wir als amerikanisches Militär in den letzten zehn, fünfzehn Jahren im Nahen Osten gemacht haben. In der Ostukraine haben die Separatisten die Feuerüberlegenheit von der Artillerie. Das ist halt ein ganz anderer Krieg. Ich glaub, dass es für einen Soldaten ziemlich schlimm ist, wenn er auf der unterlegenen Seite ist, wenn der Feind besseren Nachschub hat, genug Munition, genug Artillerie."
Der persönliche Kontakt schafft Solidarität
Im persönlichen Kontakt bemerkt Alexander Coslow auch, dass für die Ukrainer nicht nur die Fertigkeiten zählen, die sie erlernen. Für sie sei auch die Solidarität wichtig, die sie durch die gemeinsamen Übungen erfahren. Der Westen stehe in der Pflicht gegenüber der Ukraine, meint der US-Leutnant:
"Die Ukrainer hatten ja ziemlich viel Artillerie und Raketen und alles mögliche, und der Westen hat sie dazu gebracht abzurüsten, weil wir sie beschützen würden. Und jetzt, wo der Zeitpunkt gekommen ist, dass sie Hilfe brauchen und vom Osten bedroht sind, jetzt finden die Soldaten, dass mehr vom Westen kommen sollte, um sie beschützen, weil sie kooperiert haben mit der Abrüstung."
Im Schlafraum der US-Soldaten zeigt ein junger Mann aus Michigan, wie schnell er sein Maschinengewehr zusammenbauen kann: in knapp 32 Sekunden. Von der Decke hängt hier groß die US-Flagge. Natürlich wissen die Soldaten, dass solche Bilder in Russland ausgeschlachtet werden. So titelte erst kürzlich eine russische Zeitung: "Die Amerikaner sind in der Westukraine einmarschiert". Der Kreml nimmt die gemeinsamen Übungen als Beweis dafür, dass die USA nur näher an Russland heranrücken wollten - auch militärstrategisch. Auf jeden Fall gewinnen die USA nun mit der Ukraine einen neuen Partner hinzu, von dem auch sie noch lernen können, meint Leutnant Zack Savery, seit Anfang Juni in der Ukraine:
"Die Ukrainer haben die sowjetische Taktik beibehalten. Wie sie Probleme angehen, öffnet uns in mancher Hinsicht die Augen. Ihre Taktiken auf Gruppen-Ebene sind oft anders als unsere. So lernen unsere Soldaten eine andere Perspektive kennen, wie man die gleiche Aufgabe anders ausführen kann. Allgemein legen wir mehr Wert darauf, dass Entscheidungen auf unteren Ebenen getroffen werden."
Die US-Soldaten dürfen nicht über Politik sprechen. Aber es gehe hier nicht gegen Russland, beteuert Leutnant Zack Savery:
Seit einigen Monaten trainieren US-Soldaten mit ukrainischen Uniformierten: Deren Nachholbedarf ist erheblich. Hauptziel der Ausbildung ist es, die hohen Verluste der Nationalgarde im bewaffneten Konflikt in der Ostukraine zu begrenzen
Herzliche Freundschaften entstehen
Alexander Coslow, dem Leutnant, der seine Jugend in Deutschland verbracht hat, ist die Ukraine ans Herz gewachsen. Wenn er sich bald in Kalifornien erholt, wird er daran denken, wie es seinem ukrainischen Kollegen in der Ostukraine ergeht:
"Ich hab einen Zug dabei, 20 Männer, und wir arbeiten jetzt seit drei Monaten mit einem ukrainischen Zug. Ich bin Zugführer, und der ukrainische Zugführer und ich, wir reden jeden Tag. Es hat sich schon eine Freundschaft entwickelt in den letzten drei Monaten, und da werde ich schon auf jeden Fall Kontakt halten."
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