US-Schauspieler Richard Widmark

Der Intellektuelle aus der zweiten Reihe

Der US-Schauspieler Richard Widmark (Foto von 1991)
Der US-Schauspieler Richard Widmark (Foto von 1991) © AFP PHOTO MYCHELE DANIAU/FILES
Von Christian Berndt · 26.12.2014
Heute wäre der Schauspieler Richard Widmark 100 Jahre alt geworden. Anders als Gregory Peck, Robert Mitchum oder Kirk Douglas fühlte sich Widmark in der zweiten Reihe wohler als im Rampenlicht Hollywoods. Trotzdem war Widmark ein prägendes Gesicht im amerikanischen Kino der Nachkriegszeit.
Das fiese Lachen gehört Gangster Tommy Udo. Er sucht einen Polizeispitzel, trifft aber in dessen Wohnung nur die Mutter an. Die alte Frau im Rollstuhl will aber nicht verraten, wo ihr Sohn steckt: Udo stößt die Frau die Treppe hinunter. Diese grausige Szene aus dem Film Noir "Kiss of Death" ging in die Filmgeschichte ein. Und sie machte den Schauspieler mit der sadistischen Lache über Nacht berühmt: Richard Widmark. Dass ausgerechnet dieser zurückhaltende Intellektuelle für eine derart teuflische Rolle ausgewählt wurde, war kein Zufall, wie der Filmkritiker Fritz Göttler meint:
"Widmark hat ein etwas eigenartiges Äußeres gehabt, er war ein sehr feingliedriger, ein sehr schlanker, ein sehr dynamischer Typ. Er hatte etwas Feines, was auf der einen Seite sowohl dämonisch sein konnte, aber auf der anderen Seite auch sehr normal wirken konnte. Und genau diese Zwiespältigkeit, die wurde ausgenutzt."
Am 26. Dezember 1914 wurde Widmark in Minnesota geboren. Ursprünglich wollte er Anwalt werden. Aber weil er sich mehr fürs Studententheater als das Jura-Studium begeisterte, wechselte er ins Fach Dramaturgie. Er promovierte in Politik und wurde bereits mit 22 Jahren Dozent. Während dieser Zeit besuchte er Deutschland, wie er 1961 bei einem Berlin-Besuch erzählte:
"Das erste Mal war ich 1937 hier, da unterrichtete ich gerade am College. Ich fuhr einen ganzen Monat mit dem Fahrrad durch Deutschland und Teile Europas."
Aufnahmen des Alltags bei der Hitlerjugend
Fürs College filmte er mit Handkamera in einem Hitlerjugend-Lager – eine prägende Erfahrung für den politisch liberalen Widmark. 1938 zog er nach New York und begann beim Radio und am Theater zu arbeiten, bis er 1947 für "Kiss of Death" entdeckt wurde. Für sein Filmdebüt erhielt Widmark eine Oscar-Nominierung, aber er wurde nun bei
20th Century Fox, wo er unter Vertrag war, auf die Bösewichtrolle festgelegt. Zu seinem Glück wollte ihn Produktionschef Darryl Zanuck gewinnbringender einsetzen:
Widmark: "Zanuck war ein ziemlich gerissener Produzent, er wusste, dass er seine Investition – das war damals ich - schützen musste und nicht Film für Film diese Ganoven-Schiene weiterfahren konnte. Er begann, mich in ganz unterschiedlichen Rollen einzusetzen."
Es waren Regisseure wie Sam Fuller, mit dem Widmark 1953 "Pick up on South Street" drehte, die sein differenziertes Spiel für komplexe Rollen nutzten. Widmark spielte nun die eher gebrochenen, beladenen Charaktere, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg im amerikanischen Kino populär waren. Aber er war dabei immer näher am Durchschnittsamerikaner als die großen Charismatiker seiner Schauspieler-Generation:
Fritz Göttler: "Widmark war ... immer ein sehr vielbeschäftigter, von der Kritik sehr wohlwollend behandelter Schauspieler, aber die ganz große Nummer, so wie Burt Lancaster oder Robert Mitchum, ist er nie gewesen. Ich glaube, das hat er selber sehr angenehm empfunden, und das hat auch seinem Spiel sehr gut getan. Er hat ja auch dadurch mehr Freiheit gehabt, und vielleicht auch so eine Art Selbstironie den Rollen gegenüber entwickeln können."
Protagonist von desillusionierten und kritischen Westernfilmen
Diese Selbstdistanz machte Widmark auch für John Fords desillusionierte, kritische Spätwestern interessant. 1961 spielte er neben James Stuart in Fords zynisch-skurrilem Film "Two Rode Together". Widmark gab seinen Figuren, wie hier dem Kavallerie-Leutnant Gary, eine Art gelassener Melancholie, die sich auch aus Verzweiflung speisen konnte. In Stanley Kramers "Das Urteil von Nürnberg" spielte er den Ankläger im Prozess gegen Nazi-Juristen, der angesichts der NS-Verbrechen seine Erschütterung vor Gericht nicht verbergen kann.
Es war wieder eine Nebenrolle, aber Widmark behauptete sich neben Stars wie Spencer Tracy und Marlene Dietrich als prägende Figur. Er spielte Western und Kriegsfilme, setzte sich aber öffentlich für schärfere Waffengesetze und gegen den Vietnam-Krieg ein. Widmark drehte mit den wichtigsten Regisseuren, wahrte aber immer eine gewisse Distanz zu Hollywood.
Fritz Göttler: "Richard Widmark ist eher der entspanntere Typ gewesen. Er hat ja im Kino nie seine Erfüllung gefunden, er hat ja dann selber sich oft auf seine Ranch zurückgezogen, war also von Hollywood nie so abhängig wie diese anderen großen Figuren. Das macht, glaube ich, Richard Widmarks angenehme Seite aus."
Anders als bei den großen Stars hätte man nie von einem "Richard Widmark-Film" gesprochen. Und trotzdem war es immer sein zerfurchtes Gesicht, an das man sich am Ende eines Films erinnerte.
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