US-Klassiker von Eudora Welty

Mit dem Räuber in Mississippi durchgebrannt

US-Bundesstaat Mississippi
US-Bundesstaat Mississippi: "... leben das Glück einer wilden Ehe tief versteckt im Wald." © picture alliance / dpa / Foto: Peer Körner
Von Elena Gorgis  · 31.07.2015
Rosamond lebt in wilder Ehe mit einem maskierten Mann in den Mississippi-Wäldern. "Der Räuberbräutigam" von Eudora Welty ist ein unbequemes amerikanisches Märchen.
Die schräggedruckte Titelzeile auf dem Buchcover von "Der Räuberbräutigam" soll wohl andeuten, was auf knapp 160 Seiten folgt: Die Hobbit Presse des Klett-Cotta Verlags hat sich entschieden, den Roman in der Neuauflage als Phantasy-Klassiker zu vermarkten, "voll von schrägem Humor". Eudora Welty – die große, alte Dame der phantastischen Literatur?
Seltsamerweise ist die 2001 verstorbene US-amerikanische Autorin hierzulande fast unbekannt, obwohl sie in den USA als eine der wichtigsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts gilt, dort alle großen Literaturpreise verliehen bekam und in einem Atemzug mit William Faulkner, Katherine Anne Porter, Robert Penn Warren oder Mary Flannery O'Connor genannt wird. 1941 war ihr Debüt "A Curtain of Green" – eine Sammlung von Kurzgeschichten – erschienen, das ihr den Ruf als Kennerin der Südstaaten-Seele bescherte. Ein Jahr später überraschte Welty, die ihr ganzes Leben in Jackson, Mississippi verbrachte, ihre Leser dann mit "Der Räuberbräutigam", einem Märchen voll schwarzer Ironie und exzentrischer Charaktere. Angelehnt an das gleichnamige Märchen der Gebrüder Grimm und den antiken Mythos von Amor und Psyche, verlegte Welty die Handlung kurzerhand nach Amerika, in die noch jungen Vereinigten Staaten.
Das Glück einer wilden Ehe
Schauplatz ist der sagenumwobene Natchez-Pfad, eine uralte Straße der Eingeborenen am Mississippi. Panther, Leoparden, Bären, Alligatoren und wilde Indianer treiben dort ihr Unwesen – jedenfalls wenn man den Erzählungen der weißen Protagonisten glauben will –, und ein aberwitziges Verwechslungsspiel nimmt seinen Lauf: Ein Räuber und die wunderschöne Tochter eines Farmers verlieben sich ineinander und leben das Glück einer wilden Ehe tief versteckt im Wald.
Dahinter steht ein für ein Märchen typisches Verwechslungsspiel: Weil der Räuber sein Gesicht mit dunklem Beerensaft bis zur Unkenntlichkeit bemalt, weiß die Tochter des Farmes nicht, dass er der angebliche Gentleman Jamie Lockhart ist – genau der Mann, den sie eigentlich heiraten soll. Und er wiederum ahnt nicht, dass sie jene Rosamond ist, die er im Hause ihres Vaters als vermeintlich einfältiges Hausmädchen kennengelernt hat.
Kritik an der Autorin
Kritiker warfen Eudora Welty Zeit ihres Lebens vor, sie habe sich während der Bürgerrechtsbewegung und dem Aufkeimen des politischen Feminismus nicht stark genug positioniert. Doch Welty wollte immer ihre Werke für sich sprechen lassen. Eine einfache Ausflucht, könnte man meinen, hätte sie nicht eine so deutliche Sprache gefunden. In "Der Räuberbräutigam" sind es nicht die Indianer, die sich aufführen wie Wilde, sondern die Weißen, die den Wald für ihre Plantagen roden (Plantagen, die sie nur mit Hilfe von Sklaven betreiben können) und die Indigenen abschlachten lassen.
In dem mit Beerensaft bemalten Jamie Lockhart keinen Kommentar zur rassistischen Tradition des "blackfacing" zu erkennen, wäre naiv. Und wird das bürgerliche Eheglück nicht zur Farce, wenn die Liebenden ihr wahres Ich nicht preisgeben wollen? "Der Räuberbräutigam" ist ein unbequemes amerikanisches Märchen, das Eudora Welty geschaffen hat. Ein Klassiker in jedem Fall, und ganz bestimmt nicht nur für Fantasy-Fans.

Eudora Welty: "Der Räuberbräutigam"
Aus dem Amerikanischen von Hans J. Schütz
Hobbit Presse Klett-Cotta, Stuttgart 2015
155 Seiten, 14,95 Euro