US-Erzählerin

Auch die Erinnerung verzerrt die Erinnerung

Flagge der USA
Die Streifen und Sterne der US-Flagge zieren auch das Cover der deutschen Ausgabe von Dana Spiottas Roman. © picture alliance / dpa / Igor Zehl
Von Gerrit Bartels · 31.10.2014
Ein feiner Familienroman über die USA der Nullerjahre, ein kluger Midlife-crisis-Roman, eine trickreiche Reflexion über das Älterwerden - das alles ist Dana Spiottas hinreißend komplexes Buch "Glorreiche Tage".
Die deutsche Verpackung wirkt attraktiv: "Glorreiche Tage" heißt Dana Spiottas aktueller Roman auf Deutsch, mit einem Titel, der auf einen Song von Bruce Springsteen anspielt. Dementsprechend leuchten vom rot-blauen Cover die Sterne und Streifen der US-Flagge vor rot-blauem Hintergrund, dazwischen schiebt sich in weiß der lange Hals einer Gitarre, und auf dem Buchrücken versichert der einstige Sonic-Youth-Kopf Thurston Moore: "Purer Rock' n' Roll".
Diese Verpackung führt allerdings auf Abwege. Ein schneller, schmutziger Pop- oder eben Rock'n'Roll-Roman ist "Glorreiche Tage" gerade nicht, und auch der deutsche Titel mit dem Springsteen-Verweis führt in die falsche Richtung. Immerhin: Ein alternder kalifornischer Musiker ist tatsächlich einer der Protagonisten und seine Künstlerbiografie ist wiederum Teil von Spiottas hinreißend komplexem Roman. Allerdings hat die Biografie dieses Nikolaus Kranis, Künstlername Nik Wrong, einen gewaltigen Haken.
Sie ist auch auf der Erzählebene des Romans eine Fiktion, will heißen: Nik Wrong ist seit dem Jahr 1973 nicht mehr als Musiker öffentlich in Erscheinung getreten, nach der Auflösung seiner Bands Demonics und Fakes hat er nur noch im stillen Kämmerlein vor sich hin produziert, unter anderem die 20-teilige Konzept-CD-Reihe "The Ontology of Worth". Und seitdem schreibt Nik Wrong, dieser Name ist natürlich Programm, seine eigenen "Chroniken", in denen er seine Musik, seine Alben, die (natürlich auch von ihm selbst verfassten) Besprechungen und Interviews dazu dokumentiert.
Von der Sinnproduktion befreit
"Stell dir vor", so erklärt Nik eines Tages seiner Nichte Ada sein Musikerleben fern jeder Öffentlichkeit "von der Sinnproduktion befreit und nur dem reinen Sound verpflichtet zu sein. Stell dir vor, mit Erklärungen, Fehlinterpretationen, Kommerzialiät und Rezeption nichts mehr am Hut zu haben. (...). Stell dir absolute Freiheit vor."
Nur schützt diese absolute Freiheit nicht vor dem Alter: Nik ist Trinker und Kettenraucher, mithin körperlich und überhaupt ziemlich kaputt, auch der Tod eines seiner alten Demonics-Mitstreiter hat ihn schwer mitgenommen. Kurz nach seinem 50. Geburtstag im Jahr 2004 verschwindet Nik Wrong spurlos, was seine Schwester Denise auf den Plan ruft, die eigentliche Erzählerin dieses Romans. Denise schreibt Niks Geschichte auf, auch mit Hilfe der Chroniken.
Drei Jahre jünger als ihr Bruder, erzählt Denise darüber hinaus nicht nur von der gemeinsamen geschwisterlichen Mittelschichts-Vergangenheit und Gegenwart, sondern eben auch davon, als Frau in die Jahre zu kommen, sich um den mittellosen, in einer Bar jobbenden Bruder kümmern zu müssen und außerdem um die demente Mutter. Sie schreibt darüber, wie sich in den USA der Nuller-Jahre überhaupt so etwas wie ein halbwegs geordnetes Leben (erwachsene Tochter, seltsamer Freund, Eigenheim, viele Schulden) führen lässt, und sie sinniert auch über das Verhältnis von Erinnerung und Erzählung nach - und darüber, welche Faktoren die Erinnerung beeinflussen: "Es ist nicht nur so, dass Emotionen die Erinnerung verzerren. Auch die Erinnerung verzerrt die Erinnerung, falls das irgendwie nachvollziehbar ist."
Nichts könnte weiter entfernt sein vom "puren Rock'n' Roll", diesem fiesen Gegenwartsmonster. "Glorreiche Tage" ist viel mehr: ein kleiner, feiner Familienroman, ein kluger Midlife-crisis-Roman und eine mitunter vielleicht einen Tick zu trickreich geratene Reflexion über das Älterwerden im Allgemeinen und die Erinnerung im Besonderen.

Dana Spiotta: Glorreiche Tage
Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann
Berlin Verlag 2014
256 Seiten, 19,99 Euro