Urteil zur Suizidassistenz

Richter stärken Selbstbestimmung bei der Sterbehilfe

Ein jüngerer Mensch umfasst das Armgelenk einer älteren Person, die im Krankenbett liegt.
Svenja Flaßpöhler: "Die Palliativmedizin hilft eben nicht in allen Fällen." © picture alliance / dpa / Jm Niester
Svenja Flaßpöhler im Gespräch mit Simone Miller  · 05.03.2017
In "extremen Ausnahmesituationen" dürfen Schwerkranke todbringende Medikamente erhalten. Dieses einschneidende Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht gefällt − Svenja Flaßpöhler hält das für eine ausgezeichnete Idee.
Es sei eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts, urteilt die Philosophin Svenja Flaßpöhler, wenn Menschen dann zu einem tödlichen Mittel greifen dürfen, wenn sie sich in einer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft dafür entschieden haben und außerdem keine zumutbare Alternative zur Verfügung steht.

Menschen in völlig ausweglosen Situationen helfen

Bis 2015 sei die Suizidassistenz im Strafgesetzbuch nicht explizit geregelt, was eben auch dazu führte, dass dubiose Vereine existieren konnten, die Menschen auch dann zum Sterben verholfen haben, wenn sie nicht todkrank waren, sagt Flaßpöhler. Deshalb habe man zu recht eine Regelung für nötig befunden, die aber zu weit gegangen sei.
Wünschenswert wäre aus ihrer Sicht, dass das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts Ärzten, die Menschen in völlig ausweglosen Situationen helfen, an das tödliche Mittel zu gelangen, den Rücken stärkt.

Das Interview im Wortlaut:

Warum ist das eine ausgezeichnete Idee?
Weil das Urteil das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen stärkt und zwei klare Kriterien nennt: Menschen dürfen dann zum tödlichen Mittel greifen, wenn sie sich in einer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben und zweitens keine zumutbare Alternative zur Verfügung steht. Das heißt, es ist nicht möglich Lebens verlängernde Maßnahmen zum Beispiel auszusetzen oder durch Palliativmedizin die Schmerzen zu lindern. Durch diese zwei Kriterien erkennt das Bundesverwaltungsgericht an, dass es solche aussichtslosen Fälle gibt, was Bundesärztekammer notorisch negiert: dass die Ärzte, das sagt die Kammer mit Berufung auf den Hippokratischen Eid, der mittlerweile 2000 Jahre alt ist und unserer Hochleistungsmedizin nicht mehr gerecht wird, dürfen nicht beim Sterben helfen, sondern müssen Schmerzen lindern. Aber die Palliativmedizin hilft nicht in allen Fällen. Deshalb ist es ja auch umso tragischer, dass vor zwei Jahren ein viel zu rigides Sterbehilfegesetz verabschiedet wurde.
Was besagt denn das aktuelle Gesetz?
Bis 2015 war die Suizidassistenz nicht explizit geregelt im Strafgesetzbuch, was eben auch dazu führte, dass dubiose Vereine wie der von Roger Kusch existieren konnten, die Menschen auch dann beim Sterben verholfen haben, wenn sie nicht todkrank waren und dafür ziemlich viel Geld genommen haben. Deshalb hat man, völlig zu recht, eine Regelung für nötig befunden, aber die Regelung, die getroffen wurde ging zu weit. Sie besagt, dass geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten ist. Geschäftsmäßig ist jede Sterbehilfe, die auf Wiederholung angelegt ist, das heißt ein Arzt, der todkranken Menschen beim Sterben hilft, macht sich prinzipiell strafbar, und das ist eine Kriminalisierung der Ärzte.
Wird sich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts etwas ändern?
Das Gesetz bleibt natürlich zunächst bestehen, aber die Frage ist, was passiert, wenn ein Arzt wiederholt mit solchen Extremfällen zu tun hat und wiederholt einem Patienten das notwenige Attest ausstellt? Wünschenswert wäre, dass das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts solchen Ärzten, die Menschen in völlig ausweglosen Situationen helfen, an das tödliche Mittel zu gelangen, den Rücken stärkt.
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