Urteil zu Fahrgeschäften

Aus für Achterbahn und Riesenrad?

Eine bunt beleuchtete Kirmes mit einem Riesenrad in den Abendstunden.
Eine bunt beleuchtete Kirmes mit einem Riesenrad in den Abendstunden. © picture-alliance / dpa / Roland Scheidemann
Sacha Sabo im Gespräch mit Marianne Allweiss und André Hatting · 07.12.2015
Schausteller fürchten sich vor den Folgen eines Gerichtsurteils: Es hat den Bestandsschutz für alte Fahrgeschäfte aufgehoben - Riesenrad und Achterbahn könnten bald verschwinden. Dabei passten solche Attraktionen gut ins digitale Zeitalter, findet der Soziologe Sacha Szabo.
Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hat in einem Urteil den Bestandsschutz für ältere Fahrgeschäfte aufgehoben und damit eine geltende EU-Norm umgesetzt. Schausteller befürchten jetzt, dass so beliebte Klassiker wie Riesenrad oder Achterbahn nicht mehr auf die Jahrmärkte kommen. Eine Überprüfung der großen Anlagen könne fünfstellige Kosten verursachen, so der Deutsche Schaustellerbund.
Der Soziologe und Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo hält die Sorgen der Schausteller für berechtigt:
"Diese ganzen Volksfeste, diese Festplätze, die leben eigentlich von den Großattraktionen. Und ein Riesenrad oder eine Achterbahn sind Sehenswürdigkeiten. Und es wäre schade, wenn sie verschwinden würden."
Das Riesenrad vermittelt Körpergefühl
Ist das Riesenrad ein Objekt aus der Vergangenheit? Und passt es überhaupt noch ins digitale Zeitalter? Es passe hervorragend, meinte Szabo im Deutschlandradio Kultur:
"Was diese Attraktionen auf den Jahrmärkten auszeichnet ist, dass sie den Körper ganz massiv in Anspruch nehmen. Und das ist etwas, was gerade im digitalen Zeitalter ja herausfällt: Dass der Körper immer stärker aus dem Arbeitsprozess herausgenommen wird. Und Menschen haben ein Bedürfnis, ihren Körper zu spüren. Deshalb gibt es so wahnsinnig viele Erlebnisangebote."
Die Erfindung der "Herzlinie"
Das Lüneburger Urteil argumentiere gegen die Schausteller und für die Vergnügungsparks, lautet die Einschätzung von Szabo:
"Weil natürlich immer neue Anlagen kommen. Aber es kommen nicht mehr diese Klassiker, wie sie in den siebziger Jahren gebaut wurden. Diese Anlagen haben einen ganz besonderen Charme. Und jeder, der weiß, was eine Schwarzkopf-Bahn ist, wird mit der Zunge schnalzen. Das ist der Bentley unter den Achterbahnen."

Viele der heute üblichen Achterbahn-Techniken wie etwa der Looping seien in dieser Zeit erfunden worden, von dem Münchner Ingenieur und Designer Werner Stengel:
"Und wenn man sich zum Beispiel fragt, warum einem nicht mehr schlecht wird auf der Achterbahn, hat es damit zu tun, dass dort die Herzlinie erfunden wurde. Davor nahm man an, dass der Mittelpunkt des Menschen zur Berechnung der Magen ist. Man hat das jetzt alles so ein bisschen hochgesetzt, zum Herzen hin. Und jetzt wird einem nicht mehr übel."
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