Urteil des EuGH

Schallende Ohrfeige für Google

Die beiden Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg
Das Gericht wagt so einen Balanceakt zwischen Pressefreiheit einerseits und einem "Recht auf Vergessenwerden" des Individuums im Netz andererseits. © picture alliance / dpa / Thomas Frey
Von Annette Riedel, Büro Brüssel · 13.05.2014
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum "Recht auf Vergessenwerden" im Internet hat das digitale Selbstbestimmungsrecht der Bürger gestärkt, meint Annette Riedel. Für die großen Internetkonzerne sei es nun ein Risiko, den Wunsch der Europäer nach Kontrolle ihrer persönlichen Daten zu ignorieren.
Das ist schon eine ziemlich schallende Ohrfeige, die der Europäische Gerichtshof Google heute verpasst hat. Oder eigentlich sind es sogar zwei Ohrfeigen.
Zum einen kann sich Google beim Systematisieren von personenbezogenen Daten nicht mehr aus der Verantwortung stehlen, indem sich der Suchmaschinenbetreiber auf die Position zurückziehen kann: Wir machen doch gar nichts. Wir sammeln doch gar nichts selbst. Wir generieren doch nur Suchergebnisse, zeigen auf, welche Daten von Dritten zu einer Person X zur Verfügung gestellt werden. Irrtum, sagt der EuGH.
Wenn jemand - wie im vorliegenden Präzedenzfall aus Spanien - einen guten Grund geltend machen kann, muss Google dafür sorgen, dass nicht mehr auf die Existenz überholter, heikler Inhalte über ihn hingewiesen wird, wenn die Suchfunktion aktiviert wird. Interessanterweise gilt das eben auch, wenn die Informationen selbst aus öffentlich zugänglichen Texten auf Internetseiten von Zeitungen oder Zeitschriften stammen und presserechtlich einwandfrei sind. Diese Seiten müssen nicht gelöscht werden. Das Gericht wagt so einen Balanceakt zwischen Pressefreiheit einerseits und einem "Recht auf Vergessenwerden" des Individuums im Netz andererseits. Es hat mit dem heutigen Urteil eindeutig das digitale Selbstbestimmungsrecht der Bürger gestärkt. Der Bürger in Europa gegenüber Internetgiganten, die ihren Hauptsitz nicht in Europa haben.
Neue Datenschutzverordnung notwendiger denn je
Und das ist die zweite Ohrfeige für Google. Selbst das heute in der EU gültige Datenschutzrecht von 1995 - so uneinheitlich, aus dem vorigen Jahrtausend und renovierungsbedürftig auch immer - selbst das reicht schon aus, um einen internationalen Konzern auf den Datenschutz in dem Land zu verpflichten, wo er aktiv ist. Und nicht etwa, wo die Konzernzentrale ihren Sitz hat. Dieses, jenseits von Gerichtsurteilen, ein für allemal rechtssicher zu machen, in allen 28 EU-Ländern gleich und dabei auf einem möglichst hohen Datenschutzniveau, ist das Ziel der neuen europäischen Datenschutzverordnung. Um die wird in der EU seit zwei Jahren gerungen. Dass diese Datenschutzverordnung endlich Realität wird, ist auch und gerade nach dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs notwendiger denn je.
Denn nicht nur sollen damit die Datenschutzniveaus zwischen den einzelnen EU-Ländern vereinheitlicht werden. Zudem würden Verstöße von Google, Facebook und Co. gegen europäisches Recht Unternehmen dieses Kalibers künftig teuer zu stehen kommen. Im Falle des Ignorierens oder Umgehens von europäischem Datenschutzrecht drohen mit der neuen Verordnung nicht mehr nur Strafen, die die betreffenden Unternehmen im Fall des Falles aus der Portokasse bezahlen. Bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes könnten ein extrem gutes Argument gegenüber den Multis dafür sein, dass es sich lohnen kann, den Wunsch der meisten Europäer auf weitgehende Kontrolle ihrer persönlichen Daten, tätig zu respektieren.
Ohrfeigen von Justitia könnten ansonsten dann richtig wehtun.
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