Ursendung

Verräter

Kriminal-Hörspiel: "Verräter", Produktion Deutschlandradio Kultur 2015 Abgebildet: Friederike Kempter (spiel die Jenny).
Schauspielerin Friederike Kempter spielt die Jenny © Deutschlandradio / René Fietzek
Von Dirk Josczok · 14.12.2015
Beim Überfall auf einen Spätkauf in Neukölln wird der türkischstämmige Ladenbesitzer erschossen und die Kasse geplündert. Ist es die Gelegenheitstat eines Junkies oder steckt mehr hinter dem brutalen Mord?
Der Täter ist gekommen und gegangen ohne Spuren zu hinterlassen. Zwar gelingt es Hauptkommissar Kurt Magnus und seinem Team einen Verdächtigen zu ermitteln, aber der bekennende Neo-Nazi Mark Wedéll hat ein Alibi für die Tatzeit. Und Ingo Witte, der einzige Zeuge der Tat, scheint andere Pläne zu haben, als mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Dass er dabei nicht nur seine schwangere Freundin in Lebensgefahr bringt, begreift er zu spät.

Regie: Beatrix Ackers
Mit: Guntbert Warns (Magnus), Claudia Eisinger (Friedrich), Herbert Sand (Nogart), Janusz Kocaj (Faber), Friederike Kempter (Jenny), Tino Mewes (Ingo), Matthias Matschke (Wedéll), Moritz Gottwald (Straffe), Michael Rotschopf (Körner), Tayfun Bademsoy (Vater), Murat Akin (Sohn)
Komposition: Michael Rodach
Ton: Alexander Brennecke, Frank Klein
Produktion: Deutschlandradio Kultur 2015

Länge: 51'43

Ausschnitt
Dirk Josczok, geboren 1960 in Düsseldorf, lebt in Berlin. Schreibt Drehbücher und Hörspiele. Deutschlandradio Kultur produzierte "Heldentod" (2011), "Zahltag" (2012) und zuletzt "Niemandskind" (2013).
Am Anfang war die Fassungslosigkeit ... - Notizen des Autors zum Stück
... dann kam der Zweifel, dann das Unbehagen. In Konsequenz, nach der Recherche, entstand daraus ein Kriminalhörspiel: "Verräter" – der fünfte Fall um den Berliner LKA-Hauptkommissar Kurt Magnus und sein Team, der die Ermittler ins rechtsradikale Milieu führt.
Fiktion, allerdings – um auf den Anfang zurückzukommen – aus realem Anlass. Denn Auslöser für die "Hörspiel-Ermittlung" waren die Berichte über die Mordserie des NSU – insbesondere jene über die (vermeintlichen) Ermittlungspannen der Behörden, die eine endgültige Aufklärung der Mordtaten und ihrer Hintergründe bis heute verhindert haben. Eine zentrale und zwielichtige Rolle dabei spielten (und spielen) dabei V-Leute, die vom Verfassungsschutz in die Neo-Nazi-Szene eingeschleust wurden – vorgeblich, um Aufklärungsarbeit zu leisten.
Aber Fragen, wie im Fall des Kasseler NSU-Mord-Opfers Halit Yozgat, der in seinem Internet-Café erschossen wurde, bleiben: Wieso hielt sich Andreas T., ein V-Mann der hessischen Landesbehörde für Verfassungsschutz, zur Tatzeit am Tatort auf? Warum versuchte er nicht, die Tat zu verhindern, sondern tauchte danach stattdessen unter? War er vorab über den geplanten Mord informiert, gar selbst involviert? Was wusste der Verfassungsschutz von all dem? Was vertuscht er?
Wem kann man noch glauben – wem vertrauen?
Man muss nicht Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um in Anbetracht des behördlichen Versagens und Verschweigens misstrauisch zu werden und "Verrat" an den Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie zu wittern. Zweifel an der Integrität und Vertrauenswürdigkeit von V-Leuten und ihrem Einsatz im Auftrag des Staates hatte auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, als es im Zuge des ersten NPD-Verbotsverfahrens deren Abzug aus dem Umfeld der brauen Partei forderte. Das ins Feld geführte Gegenargument, nur mit Hilfe von Undercover-Ermittlern aus und in der Szene könne Gefahrenabwehr betrieben werden, erscheint fragwürdig. Wie lässt sich überprüfen, ob die bezahlten Informationen relevant und richtig sind und nicht nur der Alimentierung des Verräters (und der Szene) dienen? Wird der V-Mann durch die Etablierung des "Belohnungs-Systems" darüber hinaus nicht geradezu provoziert, als Agent Provocateur aufzutreten, oder – und sei es nur, um seine Enttarnung zu verhindern – selbst zum Täter zu werden?
Heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel? Wird der Staat, indem er im "Geheimen" agiert, beziehungsweise agieren lässt, nicht selbst zum Mit-Täter? Nimmt er so nicht billigend in Kauf, dass Unschuldige zu Schaden kommen – wie auch der Rechtsstaat an sich?
Antworten auf viele dieser Fragen stehen auch 15 Jahre nach der ersten Mordtat des NSU noch immer aus – und eine Aufklärung darüber, warum zehn Menschen sterben mussten und die Ermittlungsbehörden (trotz V-Mann Einsatz) nichts dagegen unternehmen konnten (oder wollten), ist auch durch den "Zschäpe-Prozess" in München nicht abzusehen.
Anders als im Hörspiel. Da bringen HK Magnus und sein Team den "Verräter" zur Strecke und lösen den Fall.
Ein Krimi, ist ein Krimi, ist leider nur ein Krimi ...
Dirk Josczok
Mehr zum Thema