Ursendung

Regen

Auf blauem Himmel ist ein kleiner Regenbogen zu sehen.
Eine Apokalypse, die erst ganz harmlos daherkommt. © Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller
Von Anne Weber · 13.04.2016
In ihrem ersten Hörspiel beschreibt Anne Weber eine Apokalypse, die ganz harmlos daherkommt: Es regnet. Vielleicht ist es Frühjahr oder Herbst, die Jahreszeit wird nicht genannt, ebenso wenig der Ort, eine große Stadt jedenfalls, in der sich noch lange die Rituale des guten Lebens aufrechterhalten lassen.
Noch haben die Restaurants geöffnet, noch wird Wein serviert, noch macht der Regen gelegentlich eine Pause. Bis er sich dann doch in den Straßen sammelt, bis aus Rinnsalen Ströme werden, die die Ladengeschäfte überschwemmen und bis zur ersten und dann zur zweiten Etage ansteigen.
Die Elektrizität fällt aus, die Mieter der unteren Etagen drängen nach oben in die besseren Wohnungen, nur vage bekannte Leute, vielköpfige Familien, fremdsprachig und lebenspraktisch, vielleicht seit jeher auf der Flucht.
Obwohl die Ereignisse schockierend sind, bleiben die Reaktionen darauf matt und alltäglich, als sei eingetroffen, worauf man schon gewartet hat:
"Schon immer hatte er gewusst, dass alles von einem Moment zum andern kippen kann. Dass die Ruhe, in der sich sein Leben abspielte, eine trügerische war. Wie zu erwarten, hatte das Unheil zugeschnappt in einem jener seltenen Momente, da er nicht damit gerechnet hatte. Er hatte es zunächst auch gar nicht erkannt. Er hatte es gesehen, ja, aber er hatte es für etwas Altbekanntes und völlig Harmloses gehalten: für Regen."

Regie: Christine Nagel
Mit: Corinna Kirchhoff, Picco von Groote, Torben Kessler, Uli Höhmann, Peter Dischkow, Greta Gancheva, Kalina Kersten, Abdellatif Youssafi, Rudolf Schmitz, Rominalda Ranon, Ana Paula Correia, Mathias Gomes
Musik: Tobias Rüger
Ton: Ursula Potyra / André Bouchareb / Melanie Inden
Produktion: HR / Deutschlandradio Kultur 2016

Länge: 51'36

Anne Weber, geb 1964, lebt als Autorin und Übersetzerin in Paris. Sie übersetzt ins Deutsche (u.a. Georges Perros und Marguerite Duras) und ins Französische (u.a. Wilhelm Genazino, Sibylle Lewitscharoff). Zuletzt erschienene Bücher: "Tal der Herrlichkeiten" (2012) und "Ahnen. Ein Zeitreisetagebuch" (2015). Ihr Werk erhielt zahlreichen Preisen, u.a. den Heimito-von-Doderer-Preis, den 3sat-Preis, den Kranichsteiner Literaturpreis. Anne Weber schreibt auf Deutsch und Französisch. "Regen" ist ihr erstes Hörspiel.