Ursendung

Art's Birthday 2015 (1)

Der Club Berghain in Berlin
Der Club Berghain in Berlin © dpa / picture alliance / Xamax
23.01.2015
Es ist wieder soweit: Die Kunst hat Geburtstag. Am 17. Januar wird sie dank dem Fluxuskünstler Robert Filliou 1.000.052 Jahre alt. Gemeinsam mit dem Berliner Club Berghain veranstaltet Deutschlandradio Kultur eine Geburtstagsparty.
"Alles begann an einem 17. Januar vor 1.000.000 Jahren. Ein Mann nahm einen trockenen Schwamm und ließ ihn in einen Eimer Wasser fallen. Wer dieser Mann war, ist nicht wichtig. Er ist tot, aber die Kunst ist lebendig."
Mit diesen Worten proklamierte Robert Filliou im Jahr 1963 den "Art's Birthday", den Geburtstag der Kunst. Die Fluxusbewegung revolutionierte Anfang der 1960er-Jahre den Kunstbetrieb. Da war es nur konsequent, auch die Kunstgeschichte neu zu schreiben: Robert Fillious "Whispered Art History" von 1963 ist eine verspielt-philosophische Reflextion über die Verbindung von Kunst und Alltagsleben.
Der Geburtstag der Kunst hat seither ein beträchtliches Eigenleben entfaltet. Alljährlich feiern Künstlerinnen und Künstler weltweit den 17. Januar mit Performances, Ausstellungen und Konzerten.
Zum 1.000.052. "Art's Birthday" veranstaltet die Ars Acustica Gruppe der European Broadcasting Union Konzerte in 20 Städten Europas. Die Klangkunst-Redaktion von Deutschlandradio Kultur baut eine Brücke zwischen traditioneller und avantgardistischer Klangkultur und beteiligt sich mit einem Abend im Berliner Club Berghain.
Mit dabei sind:
Gilles Aubry & Robert Millis:
Jewel of the Ear (UA) - Audio zum Nachhören
Tarek Atoui & Charbel Haber:
The Mirror Session (UA) - Audio zum Nachhören
Marcus Schmickler & Hayden Chisholm:
Too Long in This Condition (UA)
Der Art's Birthday ist eine Veranstaltung von:
Deutschlandradio Kultur – Redaktion Hörspiel/Klangkunst
Berghain / Elektroakustischer Salon
EBU Ars Acustica Group

Die Sendung im Deutschlandradio Kultur – Klangkunst: Art's Birthday (1)
23. Januar, 0.05 bis 1 Uhr

Den zweiten Teil von Art's Birthday senden wir am 30. Januar in der Klangkunst, 0.05 bis 1 Uhr

Mehr Informationen zu den Künstlern:
Gilles Aubry & Robert Millis:
Jewel of the Ear
Die Aufbewahrung von Klängen ist ein Produkt der euro-amerikanischen Gesellschaft im späten 19. Jahrhundert. Hier verbreitete sich eine ganze Welle von neuartigen Konservierungsmaßnahmen: Einbalsamierung, Gedenkstätten, Archive, Konservenbüchsen und nicht zuletzt der Phonograph. Der Export solcher Technologien in die Kolonien ließ gegensätzliche Denkweisen aufeinander prallen. In Indien beispielsweise traf das Prinzip der Fixierung auf eine Philosophie der stetigen Erneuerung durch den Kreislauf von Geburt und Tod. Dieses Geschichtsverständnis spiegelt sich auch in der klassischen Musik Indiens, deren improvisatorische Strukturen ausschließlich mündlich weitergegeben wurden. Dennoch versuchten die Briten ab 1902, indische Musik aufzuzeichnen und zu vermarkten. In der Folge begann die indische Musiktradition immer konstantere Formen anzunehmen.
Diesen Prozess hinterfragen Gilles Aubry und Robert Millis in ihrer Performance "Jewel oft he Ear". Schellackplatten mit traditioneller indischer Musik treffen auf Feldaufnahmen von Verbrennungszeremonien im Manikarnika-Tempel von Varanasi. Der Name des Tempels steht dabei Pate für den Titel des Hörstückes: "Juwel des Ohrs".
Gilles Aubry ist ein Schweizer Klangkünstler und Musiker. Seit 2002 lebt er in Berlin. 2010 schloss er sein Masterstudium in Sound Studies an der Universität der Künste in Berlin ab. Seine künstlerische Praxis basiert auf einem auditiven Zugang zur Realität auf Grund von Recherchearbeiten in Bezug auf kulturelle und historische Aspekte der Klangproduktion und -rezeption. 2011 war Aubry Gastkünstler im Global Prayers Projekt. Die daraus entstandene Installationen Pluie de Feu und The Laman Encounter wurden in der NGBK Galerie in Berlin präsentiert. Sein Film ohne Bilder "Notes via a Soundscape of Bollywood" wurde 2013 im Haus der elektronischen Künste in Basel gezeigt. Aktuell arbeitet er mit dem Archiv marokkanischer traditioneller Musik von Paul Bowles. Er präsentierte seine Arbeiten bei der "5th Marrakech Biennale of Contemporary Arts" und dem "International Documentary Festival" (FID) 2014 in Marseille.
Robert Millis wurde 1966 in New York geboren. Er lebt als Musiker, Klangkünstler und Filmemacher in Seattle. Millis ist Gründungsmitglied des Experimentalmusikduos "Climax Golden Twins". Besondere Aufmerksamkeit widmet er dem Sammeln von Schellackplatten, die er in Klanginstallationen und Kompositionen einsetzt. 2012 und 2013 forschte er als Senior Fulbright Research Scholar über indische Musik und Klangkunst in Indien.
Jewel of the Ear
Jewel of the Ear © Gilles Aubry
Gilles Aubry & Robert Millis:
Jewel of the Ear
Gilles Aubry: Field Recordings & Elektronik
Robert Millis: Schellackplattenspieler & Elektronik
Länge: 30'04
Tarek Atoui & Charbel Haber:
The Mirror Session
Tarek Atoui: Elektronik
Charbel Haber: historische Saiteninstrumente
Länge: 17'24
Auch der libanesische Klangkünstler Tarek Atoui inszeniert eine transkulturelle und transhistorische Begegnung von Klangsprachen. Dabei führt er ein Projekt fort, das er im Rahmen der 8. Berlin Biennal begonnen hat. Unter dem Titel "The Dahlem Sessions" bespielte Atoui das Berliner Phonogrammarchiv, das im Dahlemer Völkerkundemuseum beheimatet ist. Neben tausenden von musikethnologischen Aufnahmen beherbergt das Archiv auch eine einzigartige Sammlung von Musikinstrumenten aus der ganzen Welt. Im Laufe mehrerer Monate lud Atoui eine Reihe von MusikerInnen aus der Berliner Improvisationsszene zu Aufnahmesessions mit den historischen Instrumenten.
Das so entstandene Material spielte er Instrumentenbauern aus verschiedenen Ländern vor. Sie sollten ihren Höreindruck mit Hilfe von neuen Klangerzeugern nachempfinden, die im November unter dem Titel „Reverse Sessions" in der mexikanischen Kurimanzutto-Galerie vorgestellt wurden. Ein Teilergebnis dieses Prozesses bringt Atoui für den Art's Birthday wieder nach Berlin: Er benutzt einen neuartigen mechanischen Bogen, um Saiteninstrumenten des Berliner Phonogrammarchivs aus Afrika, Indien und Südamerika zu bespielen.
Ein Teilergebnis dieses Prozesses bringt Atoui für den Art's Birthday wieder nach Berlin: In Mexiko ist ein mechanischer Bogen entstanden, mit dem Atoui Saiteninstrumenten des Berliner Phonogrammarchivs aus Afrika, Indien und Südamerika zum Klingen bringt.
Tarek Atoui wurde 1980 in Beirut geboren und lebt in Paris. Er studierte zeitgenössische und elektronische Musik in Reims. 2007 bis 2008 war er künstlerischer Leiter der STEIM Studios in Amsterdam. Performances und Installationen unter anderem im New Museum New York (2010), auf der Sharjah Biennial in den Vereinigten Arabischen Emiraten (2009), auf der dOCUMENTA 13 (2012), im Auditorium du Louvre (2013) und der Fondation Louis Vuitton (2014). Für sein Projekt "Dahlem Sessions" arbeitete er mit den Musikern Burkhard Beins, Rudi Fischerlehner, Charbel Haber, Katt Hernandez, Carl Ludwig Hübsch, Mazen Kerbaj, Magda Mayas, Andrea Neuman, Stéphane Rives, Sharif Sehnaoui und Michael Vorfeld.

Charbel Haber
, geboren 1978 in Beirut, lebt dort als Musiker, Komponist und Performancekünstler. 1998 war er Mitbegründer der libanesischen Post-Rock Gruppe Scrambled Eggs. Seit 2002 ist er Mitveranstalter der libanesischen Improvisationsfestivals Irtijal und ein zentrales Mitglied des Vereins MILL (Musique Improvisée Libre au Liban). 2004 gründete er das Experimentalmusiklabel "Those Kids Must Choke", 2010 startete er mit Al Maslakh das Label "Johnny Kafta's Kids Menu". Haber trat mit zahlreichen internationalen Größen der Improvisierten Musik auf, darunter Gene Coleman, Michael Zerang, Mats Gustafson und Eddie Prévost. Darüber hinaus schrieb er Musik für Film, Videokunst und Performancetheater, unter anderem für das Stück "Photo Romance" (2010) von Rabih Mroueh und Lina Saneh.
Der Musiker Charbel Haber
Der Musiker Charbel Haber© Tania Traboulsi
Marcus Schmickler & Hayden Chisholm:
Marcus Schmickler und Hayden Chisholm setzen für den Art's Birthday ihre langjährige Zusammenarbeit fort. Mit Dudelsack und Live-Elektronik erschaffen sie eine phantasmagorische Klanglandschaft.
In "Too Long in This Condition" erkunden Marcus Schmickler und Hayden Chisholm die Tradition der Piobaireachd Great Music. Piobaireachd (oder Pibroch) ist eine traditionsreiche Schule der Dudelsack-Musik, die zwischen 1500 und 1750 in den schottischen Highlands entstand und aufgrund ihrer komplexen Variationen zunächst keine Notationsformen fand. Pibroch-Stücke wurden nach funktionalen und technischen Aspekten kategorisiert: Salute, Klagestücke, Märsche und Versammlungsmotive. In dieser Musik wird ein langsames musikalisches Thema auf ausgiebig variiert und zugleich mit Verzierungen versehen. "Too Long in This Condition" ist ein eigens komponiertes Thema, dessen Variationen auch mittels Computer erzeugt werden. Dabei entwickelt sich eine Ununterscheidbarkeit von Ausgangspunkt, Struktur und Ausdruck.
Marcus Schmickler
Marcus Schmickler © Ilya Barhatov
Marcus Schmickler, alias Pluramon, wurde 1968 in Köln geboren. Er lebt als Komponist, Musiker und Produzent in Köln und Berlin. Schmickler studierte Musikwissenschaft in Köln und war 1995 Mitinitiator des Schallplattenladens A-Musik sowie des DJ-Kollektivs Brüsseler-Platz-10a-Musik mit Georg Odijk und Jan St. Werner. Er komponierte zahlreiche Werke für elektronische Klangerzeuger, sowie für Chor, Kammerensemble und Orchester. 2009 schuf er im Auftrag des Internationalen Jahres der Astronomie und des Deutschen Musikrates "Bonner Durchmusterung", elektronische Musik mit Projektionen auf Basis von astrophysikalischen Daten. Er erhielt Preise und Stipendien unter anderem von der Ars Electronica, dem Land Nordrhein-Westfalen und er kuratierte Festival-Programme in der Akademie der Künste Berlin und dem ZKM in Karlsruhe. Schmickler unterrichtete an der Milton Avery Graduate School of the Arts des Bard College in New York und am California Institute of the Arts.

Hayden Chisholm
Hayden Chisholm © Christina Schorre
Hayden Chisholm wurde 1975 in Otahuhu bei Auckland geboren. Er lebt als Saxophonist, Klarinettist und Komponist in Köln. Chisholm studierte an der Hochschule für Musik Köln bei Frank Gratkowski. Er arbeitet mit seinem Ensemble The Embassadors sowie mit Musikern wie Jaki Liebezeit, Burnt Friedman und Nils Wogram. Seit 2002 komponiert er Musik für die Aktionskünstlerin Rebecca Horn. Seit 2003 bildet er ein Duo mit Marcus Schmickler, das 2007 die CD "Amazing Daze" veröffentlichte.
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