Uraufführung

Zum Bleistift

Juli Zeh
Juli Zeh präsentiert ihren Roman "Nullzeit" auf der Frankfurter Buchmesse 2012 © picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau
Von Ulrike Gondorf · 08.03.2014
Aus Juli Zehs Roman "Nullzeit" über zwei Pärchen in einer Mordintrige könnte man ein Beziehungsstück und ein Krimi-Kammerspiel machen. Am Bonner Theater wird daraus aber nur eine grelle Klamaukshow mit Klischeefiguren und blöden Witzen.
Juli Zeh, die in diesem Sommer 40 wird, zählt ohne Frage zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen ihrer Generation. Und das Interesse an ihren Geschichten geht oft so weit, dass ihre Romane in Theateradaptionen eine zweite Karriere machen. Ihr bislang jüngster Roman "Nullzeit" kam jetzt im Theater Bonn auf die Bühne, in der Geburtsstadt der Autorin.
Vielleicht ist "Nullzeit" nicht ideal für eine Dramatisierung: Es ist eine Geschichte, die ihre Brisanz daraus gewinnt, dass sie aus zwei unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Was eben noch klar und logisch erschien, wird plötzlich infrage gestellt. Der Leser verliert den festen Boden unter den Füßen ebenso wie die Figuren: Zwei nicht mehr ganz junge Paare, denen zunächst ihre Partnerschaften entgleiten, die längst hohl geworden sind, und die sich dann plötzlich in eine Mordintrige verstrickt sehen. Alle sind ambivalente Charaktere, jedem ist alles zuzutrauen und doch könnte sich auch jeder in jedem irren. Das ist auf der Bühne, wo Handlungen sind und die Zuschauer immer Augenzeugen, sehr viel schwieriger zu erreichen als im komplexen Geflecht einer Erzählung. Dennoch hätte die Dramatisierung von Bernhard Studlar vielleicht einen spannenden Theaterabend ergeben können, wenn die Uraufführung nicht in den Händen des Regisseurs Sebastian Kreyer gelegen hätte.
Die guten alten Theaterschocker
Kreyer, Mitte 30, hat als Assistent von Karin Beier in Köln begonnen und konnte in den letzten Jahren dort und an anderen größeren Häusern wie dem Münchner Volkstheater eigene Inszenierungen realisieren. An Juli Zehs Geschichte scheint ihn allerdings gar nichts zu interessieren. Er macht eine grelle Klamaukshow daraus, mit Klischeefiguren, denen man nicht einen Moment glaubt, dass sie irgendwelche ernsthaften Ziele verfolgen. Ersatzweise stellt der Regisseur ihnen alberne Kostüme und Kindertheater-Perücken zur Verfügung und legt jede Menge Musik auf, damit sie immer wieder mal ein Tänzchen machen können. Seine Bühnensprache entwickelt er aus vertrockneten Überbleibseln, die er anscheinend zwischen den Bühnenbrettern der Berliner Volksbühne herausgekratzt hat: die guten alten Theaterschocker, die bei Frank Castorf schon vor über 20 Jahren nicht mehr neu waren: Ekel-Nummern, bei denen mit Essen gematscht und gewürgt wird oder der Joghurt sich becherweise über Haare und Gesichter ergießt; Schauspieler, die aus der Rolle aussteigen und ein Geplänkel mit der Souffleuse anfangen; Versprecher-Arien und blöde Witzchen, die weit über die Grenzen zum Fremdschämen ausgewalzt werden. Sagt doch ein Typ tatsächlich "zum Bleistift" statt "zum Beispiel" − was für ein Brüller. Und eine Figur, die Antje heißt, kommt natürlich irgendwann mit Holländerhaube und radebrechend auf die Bühne.
Auf diesem Niveau bewegt sich, was Regisseur Sebastian Kreyer dem Publikum anzubieten hat statt des Beziehungsstücks und des Krimi-Kammerspiels, das ihn offenbar nicht interessiert. Ganz zu schweigen von den Themen, die im Untergrund der Romanhandlung liegen, zum Beispiel der Frage nach der Manipulation durch Sprache. Man muss Juli Zehs "Nullzeit" ja nicht für ein gutes Buch halten – aber dann sollte man vielleicht auch nicht seine Zeit und die der Zuschauer damit vertun, es zu desavouieren. In Bonn bekommt das Wort "Nullzeit", ein Fachbegriff aus der Tauchersprache, einen bitteren Nebensinn: Leerlauf, Zeitverschwendung.
Informationen des Schauspiels Bonn zur Inszenierung von "Nullzeit"
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