Uraufführung

Ein Gesamtkunstwerk

Von Ulrike Gondorf · 07.12.2013
Helene Hegemann ist erst 21 Jahre alt, hat aber schon zwei Romane veröffentlicht und führt nun zum ersten Mal Regie im Theater. Für ihr Debüt hat sie sich "Musik" nach Frank Wedekind vorgenommen.
Sie hat kein Sittengemälde von 1907 auf die Bühne gebracht, als sie sich mit Frank Wedekinds Drama „Musik“ beschäftigt hat. Das stellt Helene Hegemann sofort klar.
"Ich hab mir erst den Plot erzählen lassen und war begeistert, und dann hab ichs gelesen und hatte große Schwierigkeiten, weil ich es für extrem chauvinistisch und extrem verlabert und an vielen Stellen sehr schwierig hielt, was aber ein guter Befreiungsschlag war, weil man sich dann so zu dem Plot verhalten konnte, dass all das ausgelassen wird… bei uns gewinnt was anderes, zumindest bildlich."
Im karierten Flanellhemd und mit kunstvoll zerrissenen Leggins sieht die 21jährige womöglich noch jünger aus, als sie ist. Aber dieses Thema nervt sie ja begreiflicherweise. Ob als Romanschriftstellerin, Drehbuchautorin, Filmregisseurin oder jetzt am Regiepult einer Opernproduktionen – Helene Hegemann ist immer ganz woanders, als ihr Geburtsdatum das erwarten lässt.
Und nach zwei Romanen, in denen junge Leute im 21. Jahrhundert mit selbstzerstörerischer Energie und in Exzessen von Sex und Drogenrausch nach ihrer Identität suchen, hat sie ein Opernlibretto geschrieben. Auf der Grundlage eines Stücks, dessen Rollenbilder und Moralvorstellungen noch tief im 19. Jahrhundert wurzeln.
"Trotzdem funktionierts, weil es ein Drama von Verstoßensein ist, um das es eigentlich geht."
Zehn bis zwanzig Sätze, schätzt Helene Hegemann, hat sie original von Wedekind übernommen. Der erzählt von einem eitlen Gesangsprofessor, der seine begabte Schülerin verführt. Schwangerschaft und Abtreibung reißen die junge Frau in den Strudel eines vernichtenden Skandals. Aber den satirischen Biss, den Zynismus, den Wedekind 1907 in diese Anklage gegen die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft gelegt hat, wollte Helene Hegemann nicht übernehmen. Sie sieht die Heldin Klara mit ihrem kompromisslosen Künstlertraum in einer Reihe mit den Figuren, die sie bisher interessiert haben.
"Das ist extrem ähnlich, das ist die Haltung, die ich für richtig halte, in die Welt zu setzen. Frage nach gesunder Entscheidung gegen die Erfüllung der Träume, dieses Sich-ins-Verderben-Stürzen, nur um das zu tun, was die eigene Leidenschaft ausmacht, diese Entscheidung der Hauptfigur gegen das gesunde Ablaufen der Standards für die Intensität, ja, das haben alle meine Figuren gemeinsam."
Diese Klara ist jetzt eine Koloratursopranistin, der Komponist Michael Langemann hat seine Partitur für Sinfonieorchester geschrieben. Bezüge zur traditionellen Oper verbinden sich in dem neuen Stück mit multimedialen, spartenübergreifenden Elementen. Es gibt Video, Tanz und eine Hauptrolle für die Schauspielerin Judith Rosmair. Und plötzlich sind die 21-jährige Librettistin und der 30-jährige Komponist sogar beim Wagnerschen Begriff des „Gesamtkunstwerks“ angekommen.
"Wir glauben alle an das Gesamtkunstwerk, aber eher als ein Teamwork."
"Das ist irre, dieser Moment, in dem man sieht, wie Dinge zusammen kommen, wo keiner die alleinige Verantwortung für hat, und es sich eben zu etwas gestaltet, was die Rechtfertigung in sich selbst findet, - kann total katastrophal sein, wissen wir ja nicht, obs das nicht wird, aber zumindest..."
"...zumindest ist es lebendig."
"Ja, und mit irgendeinem irrationalen Einfluss, der an so was das Spannende ist."