Unzufriedenheit auf der ganzen Linie

Rezensiert von Helmut Heimann · 26.06.2006
"Königreich der Angst" ist das letzte Buch Hunter S. Thompson. Es liest sich wie eine Abrechnung - weniger mit seinem eigenen Leben als mit dem Land, das er inbrünstig liebte. Und - wie das enttäuschte Liebe so mit sich bringt - mindestens genauso intensiv hasste. Im wirklichen Leben hat der US-Schriftsteller das Handtuch geworfen. Das Buch strotzt noch einmal vor Wut und bitterem Humor.
"Good career move" , kommentierte dereinst jemand sarkastisch die Nachricht vom Tode Elvis Presleys. Die sprichwörtlich gewordene Wendung ließe sich auch auf Hunter S. Thompson anwenden. Es war schließlich recht ruhig geworden um das schreibende Enfant Terrible – bis zu seinem Selbstmord am 20. Februar 2005.

Seither feiert der "King of Gonzo" - Thompson hatte einen neuen journalistischen Stil, den Gonzo-Journalismus entwickelt - ein formidables Comeback. Das spektakuläre Kanonen-Begräbnis, bei dem Johnny Depp die Kanone zündete, die die Asche des Autors buchstäblich ins Jenseits katapultierte, ist inzwischen Legende, und seine Bücher verkaufen sich wie lange nicht.

In Deutschland führt das wieder erweckte Interesse nicht nur zu Neuauflagen klassischer Werke wie "Angst & Schrecken in Las Vegas", auch bis dato nur im amerikanischen Original erschienene Bücher sind nun übersetzt verfügbar.

"Königreich der Angst" ("Kingdom of Fear") ist das letzte Buch von Hunter S. Thompson, und es liest sich wie eine Abrechnung – weniger mit seinem eigenen Leben als mit dem Land, das er inbrünstig liebte und - wie das enttäuschte Liebe so mit sich bringt - mindestens genauso intensiv hasste. Sein ganzes Leben war ein einziger Kampf um das Recht des Individuums, nach seiner eigenen Facon selig werden zu dürfen – also gegen das System, das sich dem in der amerikanischen Verfassung festgeschriebenen "pursuit of happiness", dem Recht auf Glück, in den Weg stellte.

Ein Kampf, der im Selbstverständnis des "letzten amerikanischen Rebellen" (Untertitel) schon im Teenager-Alter begann, als Thompson nach einem Bubenstreich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Polizeiapparat machte. Die Lehre, die Thompson aus dem Vorfall zog ("traue niemals der Polizei oder einer anderen staatlichen Macht") begleitete ihn sein Leben lang. So dienen die biographischen Elemente des Textes zwar auch dem klassischen Lebenslauf-Motiv, vor allem aber spiegeln sie die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft über sechs Jahrzehnte wider – und das ist in Thompsons Augen eine unselige.

War in den sechziger Jahren der Versuch, politisch Einfluss zu nehmen, noch potentiell lohnend - Thompson wäre damals fast mit einer Kandidatur für den Sheriff-Posten seiner Wahlheimat Aspen, Colorado durchgekommen - blieb ihm später kaum mehr übrig, als sich mit juristischen Spitzfindigkeiten gegen diverse Anklagen zu wehren – immerhin erfolgreich, da er sich aufgrund seiner finanziell privilegierten Lage gute Anwälte leisten konnte.

Die Ägide von George W. Bush ("the goofy child president") inspiriert noch einmal zu Ein- (bzw. Aus-) würfen, gegen die die Texte von Michael Moore sich wie zensiertes Ministrantengesäusel ausnehmen: "Älterwerden in einem faschistischen Polzeitstaat wird für niemanden ein Zuckerschlecken sein, am allerwenigsten für Leute wie mich, die nicht dazu neigen, Nazis freiwillig zu erdulden …"

Im wirklichen Leben hat Hunter S. Thompson das Handtuch geworfen. "Königreich der Angst" strotzt noch einmal vor Wut und bitterem Humor, von Teja Schwaner elegant übersetzt und mit zahlreichen Fotos ausgestattet. Ein würdiger Abgang.


Hunter S. Thompson: Königreich der Angst
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner
Heyne Verlag, München 2006
480 Seiten