Unumkehrbares Urteil

Von Thomas Klug · 12.07.2006
Die Todesstrafe rettet Leben, hat Georg W. Bush behauptet. Was zu beweisen wäre. Ganz sicher jedoch ist, dass die Todesstrafe Leben beendet.
"Die Todesstrafe rettet Leben."

Sagt George W. Bush.

"Ich bin für die Todesstrafe. Wer schreckliche Dinge getan hat, muss eine angemessene Strafe bekommen. So lernt er seine Lektion für das nächste Mal."

Sagt das Pop-Sternchen Britney Spears.

"Das ganze Geschwafel von wegen nicht Hinrichtung und nicht Todesurteil - alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn notwendig auch ohne Gerichtsurteil."

Sagt Erich Mielke. Diejenigen, über deren Leben oder besser über deren Tod da so großzügig geurteilt wird haben dabei noch Glück.

In früheren Jahrhunderten ging der Hinrichtung eine grauenvolle Tortur voraus.

Frankreich 1757. König Ludwig der XV., offiziell der "Vielgeliebte" in Versailles von einem Attentäter angefallen und mit einem Messer verletzt.

"Der Gerichtshof erklärt Robert-Francois Damiens schuldig und überführt des Verbrechens der Majestätsbeleidigung für den schändlichen und verabscheuungswürdigen, an der Person des Königs begangenen Vatermord."
Das Urteil, in dem noch viele brutale Einzelheiten der Hinrichtung ausgemalt werden, ist nicht neu - es ist fast wortwörtlich abgeschrieben aus den Unterlagen eines Prozesses, der fast 150 Jahre früher stattgefunden hatte. 1610 war Heinrich IV. ermordet worden. Seinen Mörder hatte man ebenso zum Tode befördert, wie es 1757 dem Attentäter geschehen sollte, der König Ludwig XV. mit einem Messer nur geritzt hatte. War die Zeit anderthalb Jahrhunderte lang Jahre lang stehen geblieben? War die Barbarei noch so mächtig, so präsent? In beiden Fällen musste ein Delinquent für ein Exempel herhalten. Deswegen der Zug durch die Straßen, deswegen das Publikum. Nach knapp drei Stunden der Folterung mit den Spanischen Stiefeln, wurde der Delinquent zur Andacht in eine Kappelle und dann zum Schafott gebracht. Was nach dem Urteilsspruch folgte ist nachzulesen in den Tagebüchern der Henker von Paris:

"Niemals hatte eine solche Menschenmenge die Place de Grève bedeckt; auf dem ganzen Platz gab es kein Fenster, das nicht dicht mit Neugierigen besetzt gewesen wäre. An den Kostümen einiger unter ihnen erkannte man, dass sie zu den höchsten Klassen der Gesellschaft gehörten. Hier und da sah man einige reiche Frauentoiletten; ich kann aber nicht glauben, dass in einem Jahrhundert, welches sich der Philosophie und Menschlichkeit rühmte, vornehme Damen wirklich den Gedanken gehabt hätten, sich eines Schauspiels zu freuen, das schon im Voraus die Henker erzittern ließ. Damiens blieb mehrere Minuten auf den Stufen des Schafotts sitzen… Die Pfanne, in welcher der Schwefel, mit glühenden Kohlen gemischt, brannte, erfüllte die Luft mit scharfem Geruch. Der Arm wurde auf einen Block derartig festgelegt, dass das Handgelenk über die letzte Planke der Plattform hinausreichte. Der Henker näherte sich mit einer Kohlenpfanne. Als Damiens die bläuliche Flamme sein Fleisch erreichen fühlte, stieß er einen schrecklichen Schrei aus… Als der erste Schmerz vorüber war, erhob er den Kopf wieder und sah zu, wie seine Hand abbrannte… Man hob Damiens von der Plattform und legte ihn auf ein Zimmerwerk, das drei Fuß Höhe hatte und ein Andreaskreuz bildete, dann befestigte man die Ziehstränge eines Pferdes an jedes seiner Glieder. Je ein Knecht hatte den Zügel eines Pferdes ergriffen, ein anderer stand hinter jedem der vier Tiere mit der Peitsche in der Hand. Auf ein Signal setzte sich dieses schreckliche Viergespann in Bewegung….Dreimal zogen die Pferde, durch Geschrei und Peitsche angetrieben, mit aller Kraft an, und dreimal riss der Widerstand zurück. Man bemerkte nur, dass die Arme und Beine des Delinquenten sich unverhältnismäßig verlängerten, aber er lebte immer noch, und man hörte seine Atemzüge, röchelnd wie den Blasebalg einer Schmiede… Als die Knechte diese traurigen Überreste vom Andreaskreuz losbanden, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, bemerkte man, dass die Haare des Delinquenten, die, als er auf der Place des Grève anlangte, noch braun gewesen, jetzt weiß wie Schnee geworden waren."

Kann man das Todesstrafe nennen? Ist das nicht eher eine wohl inszenierte, öffentlich begangene Barbarei mit dem Ziel, den Körper eines Menschen möglichst vollständig zu zerstören. Ein Spektakel, das faszinieren und abschrecken soll. Und vor allem eines, das Rache ausdrückt? Der Gedanke an Rache scheint den Urteilsspruch geprägt zu haben; erst an zweiter Stelle stand die Hoffnung, die gesellschaftliche Ordnung mit einem Gewaltexzess aufrechtzuerhalten und künftige Attentäter durch die Hinrichtung abschrecken zu können. Damals hat man derlei noch geglaubt.

Naumburg in Sachsen-Anhalt ist eine alte Gerichtsstadt. Schon das preußische Oberlandesgericht residierte hier. Aber die Spuren der Gefängnisse reichen weiter zurück. Die Ruinen vermitteln noch heute Eindrücke, wie die Gefangenen zusammen gepfercht waren. Im historischen, schon lange nicht mehr benutzten Stadtgefängnis erzählt Ute Triebsch von der Stadtverwaltung über die Rechtssprechung vergangener Zeiten:

"Man hat im Nachlass eines Scharfrichters, eines gewissen Paul Schermesser, interessanter Name, von 1672 z. B. die Liste seiner Werkzeuge gefunden, die da waren: Beinschrauben, Halskragen, Globen und feste Leinen… Die Halsgerichte, also die Hinrichtungen selbst fanden in der Regel auf dem Naumburger Marktplatz statt. Es gab allerdings noch andere Richtstätten in Naumburg, da war eine Erhöhung am Rand der Stadt, im Süden der Stadt und natürlich die Saale als Hinrichtungsstätte für Leute, die ertränkt wurden. Ganz spannend ist in einem Buch, im Naumburger Pitaval ein Fest beschrieben, das war nämlich der Naumburger Galgenbau, der hat also 1548 stattgefunden und der Stadtschreiber hat also im gleichen Jahr notiert, die Zimmerleute hätten für 57 Groschen gesoffen und für 45 Groschen gefressen, aber dafür hätte der Galgen auch 47 Jahre gehalten."


Nicht selten blieben die Gehenkten noch tagelang am Galgen - weithin sichtbar sollte sein, welche Folgen schlimme Taten haben können. Oder welche Folgen es haben konnte, den Zorn der Obrigkeit auf sich zu ziehen. Den Zeitgenossen erschien derweil öffentliche Brutalität sinnvoll, konnten sie doch so Zeuge der vermeintlichen Sühne von Verbrechen werden. Doch dabei blieb es nicht. Die Gesellschaft veränderte sich, der Mensch entdeckte sich als Individuum. Selbstbestimmung trat an die Stelle der Machtsicherung durch göttlich vermittelte Herrschaftsansprüche. An die Stelle des Sühnegedankens traten Überlegungen zur Besserung und zur Prävention. Täter wurden nicht mehr zu Tode gefoltert. Das Ende der Todesstrafe bedeutete das freilich nicht.

Georg Lohmann: "Ob die Todesstrafe eine legitime Vergeltung ist, ist insbesondere unter Philosophen lange Zeit bejaht worden. Z. B. Kant sagte, wenn jemand gemordet hat, gilt nur, dass mit dem gleiche Übel sozusagen gestraft werden muss, also muss er auch hingerichtet werden."

Hat er gemordet, so muss er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es ist keine Gleichartigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als durch den am Täter gerichtlich vollzogenen, doch von aller Misshandlung, welche die Menschheit in der leidenden Person zum Scheusal machen könnte, befreiten Tod.

Am Institut für Philosophie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg lehrt Professor Georg Lohmann.

Lohmann: "Eine solche Vergeltungsrechtfertigung der Todesstrafe unterstellt aber, dass man wirklich Gleiches mit Gleichem zurückzahlen kann. Und das kann man bezweifeln. Man kann einfach bezweifeln, ob das Leben des einen gleichwertig mit dem Leben eines anderen Menschen ist. Natürlich gibt es dann auch Fälle, wo jemand zwei oder drei Menschen getötet hat, kann er dann zwei- oder dreimal umgebracht werden? Oder wenn es ein besonders brutaler Mord war, soll er dann besonders brutal zu Tode gebracht werden, also mit der Todesstrafe? Also es gibt irgendwie zusätzliche Komplikationen."

Ein zorniger Mann war gegen die Todesstrafe. Geboren wurde er 1738 in Frankreich. Zunächst war er Literaturprofessor, später Mediziner. Wenn die Todesstrafe schon nicht abgeschafft wird, dann soll sie wenigstens gerecht verhängt werden. Als Deputierter des Dritten Standes stellt er den Antrag, die Todesstrafe gleichmäßig ohne Standesunterschied zu verhängen – und auf die am wenigsten schmerzhafte Weise. Dem Antrag wurde mit Begeisterung zugestimmt. Der Name des Antragstellers: Joseph-Ignace Guillotin.

Der damalige Henker von Paris, Charles-Henri Sanson und ein deutscher Klavierbauer konstruierten eine Tötungsmaschine. Dr. Guillotin hatte in alten Kupferstichen Vorbilder für die Hinrichtungsmaschine gefunden, der Henker brachte seine Erfahrungen ein und der Klavierbauer sein handwerkliches Geschick. Sein Gehör dürfte dabei weniger wichtig gewesen sein.

Die neue Tötungsmaschine wurde zu dessen Entsetzen nach Dr. Guillotin benannt. Seine Nachfahren ersuchten die Regierung, der Maschine einen neuen Namen zu geben. Vergebens. Die Guillotine aber hatte bald ihre große Zeit.

Die Köpfe konnten nun rollen - so ganz ohne Standesunterschiede. Und ohne Qualen. Zumindest ohne vermeidbare Qualen. Die Aufklärung hinterließ eben Spuren. Das Hinrichtungsgewerbe wurde allmählich zivilisierter. Der "sanfte" Charakter der Hinrichtungen zeigte sich fortan darin, dass man sich weniger auf das physische Quälen der Delinquenten konzentrierte, sondern nur noch auf deren möglichst schmerzfreie und effiziente Tötung. Von dieser Qualität sind die Fortschritte, die die Menschheit macht. Selbst in Zivilgesellschaften ist die Todesstrafe als adäquates Urteil angesehen. Diktaturen aber bedienen sich ihrer in besonders großem Umfang.

Rainer Schröder: "Das Besondere an Diktaturen ist die Tatsache, dass die Diktatur anders als die Demokratie oder der Rechtsstaat sagt, wenn ich meine Ziele nicht mit legalen Mitteln, Gesetzen, Verordnungen erreiche, dann nehme ich illegale Mittel. Jetzt kommt das Problem des Einsatzes der Justiz. Also ich setzte die Justiz ein und erfinde gewissermaßen Tatbestände, die dann formal zu Todesurteilen führen können. Das ist gewissermaßen ein Missbrauch des Rechts…"

Rainer Schröder, Professor für Rechtsgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität.

Rainer Schröder: "Der extremste Fall, der mir das bekannt ist, ist die Polenstrafrechtsverordnung. Die galt ab 1941/42 in Polen, aber auch für die Polen, die im Deutschen Reich als Zwangsarbeiter lebten. Da standen so Sätze drin sinngemäß: Der Besitz eines stehenden Messers durch einen Polen kann mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder Todesstrafe bestraft werden. Also ein Pole hat ein Messer und wird dafür zum Tode gebracht. Das steht so außer Verhältnis, dass man sagen kann, das ist Unrecht in Rechtsform gegossen. Dann konnten diese Todesurteile sofort vollstreckt werden. Wir hatten keine Urteile mehr durch Gerichte, sondern sie wurden gewissermaßen durch die Polizei abgeurteilt, also eine Verwaltungsbehörde, die mit Nazis durchsetzt war. Da haben Sie vielleicht noch die äußere Hülle des Rechts, aber es hat mit einem rechtsförmigen Akt schon nichts mehr zu tun."

Das sehen die Mitläufer des Nazi-Staates anders. Marinerichter Filbinger, späterer Ministerpräsident und noch heute geehrtes CDU-Mitglied prägte den Satz: Was heute Recht ist, kann damals nicht Unrecht gewesen sein.

Rainer Schröder: "Und jeder wusste, dass gerade Militärurteile von einem hohen Grad an Willkür geprägt waren. Und dass man da die Leute serienweise zu Tode brachte, ohne dass die in Wirklichkeit besondere Unrechtsakte oder Widerstandsakte begangen hatten."

Die andere Seite, die Sowjetunion. Die Schauprozesse dort sollen die Allmacht des Staates illustrieren - und potenzielle Kritiker abschrecken. Die Zahl der Opfer gehen in die Zehntausende.

Schröder: "In der Sowjetunion laufen die Schauprozesse ja von den 30er Jahren bis einschließlich der 50er Jahre. Nach Stalin hört das einigermaßen auf. Das Aufhören der Schauprozesse in der Sowjetunion ist ja auch nicht so ganz freiwillig."

CD "Hören Sie nun: Gehlen-Agenten vor Gericht. Eine zusammenfassende Sendung über den Prozess gegen Karli Bandelow und andere."

Die frühe DDR auf Agentenjagd. Die Schauprozesse des großen Bruders Sowjetunion waren auch hier angekommen - mit Verzögerung, viel kleiner und viel weniger als im großen Bruderland. Aber es gab sie - und sie endeten auch tödlich:

CD "Im Namen des Volkes. Wegen Verbrechens gegen Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit Abschnitt 2, Artikel 3 der Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrates werden verurteilt: Der Angeklagte Bandelow zum Tode. Der Angeklagte Misera zum Tode. Der Angeklagte Dalchau zu 15 Jahren Zuchthaus."

In der DDR wurden seit ihrer Gründung 227 Todesurteile gefällt, 166 davon wurden vollstreckt. Die Todesstrafe stand auf Mord und Kriegsverbrechen, aber auch auf Spionage und Sabotage. Das letzte Todesurteil wurde im Juni 1981 vollstreckt. Im Keller des Gefängnisses in der Leipziger Alfred-Kästner-Straße. Der Verurteilte: Werner Teske, 39 Jahre alt, Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit. Die Anklage: schwerwiegender Landesverrat. Das Urteil: Tod durch Erschießen. Die Hinrichtung erfolgte durch einen "unerwarteten Nahschuss". Bis 1967 hatte man die "Fallschwertmaschine" verwendet. Die Hinrichtungsmethode wurde geändert, weil das Fallbeil manchmal im Nacken der Opfer stecken blieb.

Angehörige und Öffentlichkeit haben nichts von der Vollstreckung des Todesurteils an Werner Teske erfahren. Der DDR-Führung war ihr im Namen des Volkes verkündetes Urteil wohl peinlich, zu offenkundig ist, dass die Hinrichtung einfach nur Rache war, an einem "verlorenen Sohn", der den Weg in den Westen gehen wollte. Hinrichtung als Rache. Der Weg zur Zivilisierung führt manchmal in die falsche Richtung.

Lohmann: "Man kann natürlich sagen, die Todesstrafe geht zurück auf ein archaisches Rachegefühl. Und die ersten Gerechtigkeitsvorstellungen, die noch sehr stark wirken, sind Auge um Auge, Zahn um Zahn. Auch das war schon eine Disziplinierung des Rachegefühls, das man nicht beliebig Blutrache und ähnliches verübt hat. Aber dieses so ganz tief verankerte Gefühl, also mir ist etwas angetan worden, dass muss ich jetzt dem anderen in der gleichen Weise zurückzahlen und erst dann ist mein Rachegefühl befriedigt, mein Gerechtigkeitsgefühl befriedigt - dieses Gefühl liegt sicherlich solchen heute privaten Einstellungen und Gefühlen zur Todesstrafe zugrunde."

Der Philospoh Georg Lohmann: "Aber der moderne Rechtsstaat sagt gerade, dass man bei solchen Verbrechen, die private Rache nicht zum Zuge kommen soll, insbesondere deshalb, weil man die Erfahrung gemacht hat, dass die Verhängung, sozusagen die Größe und Schwere der verlangten Strafe oft ganz willkürlich gemacht wird. Und wir haben keine Sicherheit, dass gleiche Fälle gleich behandelt werden müssen. Das ist aber eine mit der zentralen Voraussetzungen. Der moderne Staat sagt gerade, dass die private Rache nicht treibendes Motiv sein soll, sondern versucht gerade die staatlichen Strafen unabhängig von privater Rache zu machen. Man muss sagen, das fatale an der amerikanischen Praxis der Todesstrafe ist, dass dem privaten Rachebedürfnis zunehmend Raum gegeben wird, also z.B. wird den Angehörigen ein eigener Raum bei der Hinrichtung gegeben u. ä.. Das führt dazu, dass eine populistische Behandlung von Straftaten sehr stark spekulieren mit dem Wecken und dem Befriedigen von solchen privaten Rachegefühlen. Das ist aber ein Rückfall in einen vormodernen Rechtskontext."

Offiziell wurde die Todesstrafe in der DDR 1987 abgeschafft. Andere europäische Länder hatten diesen Schritt schon früher vollzogen. In der Bundesrepublik wurde mit Inkrafttreten des Grundgesetzes das staatliche Töten eingestellt. Der Artikel 102 lautet schlicht:

"Die Todesstrafe ist abgeschafft."

Eine Ausnahme auf bundesdeutschem Boden gab es - in den Gefängnissen der US-Armee: Bis 1951 wurden in diesen Haftanstalten Todesurteile vollstreckt. Schätzungen belaufen sich auf rund 300 Hinrichtungen, die meisten davon erfolgten in Landsberg. In Westberlin allerdings galt weiter die Todesstrafe bei

"strafbaren Handlungen gegen die Interessen der Besatzungsmächte"."

Von diesem Artikel wurde allerdings nie Gebrauch gemacht.

Schamberg: ""Wenn wir uns die Entwicklung der Todesstrafe ansehen, da können wir sehen, in Europa hatten im Jahr 1950 erst zwölf Staaten die Todesstrafe abgeschafft."

Holger Schamberg von amnesty international: "Im letzten Jahr hatten alle europäischen Staaten die Todesstrafe abgeschafft, außer Weißrussland, wo auch weiterhin die Todessstrafe verhängt und vollstreckt wird. In Lateinamerika ist es so, dass im Moment die USA das einzige Land ist, dass im letzten Jahr die Todesstrafe vollstreckt hat, zahlreiche lateinamerikanische Staaten hatten die Todesstrafe bereits im 19. und einige auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgeschafft. Beispielhaft könnte man Costa Rica nennen, das 1877 die Todesstrafe abgeschafft hat oder Venezuela mit der Abschaffung 1863. In einigen anderen Staaten wurde die Todesstrafe auch schon im letzten Jahrhundert nicht mehr vollzogen. Beispielhaft: Brasilien hat die letzte Hinrichtung 1855 vollzogen."

Die Todesstrafe ist inzwischen verpönt. Das Töten von Menschen ist immer brutal. Justizirrtümer sind nicht auszuschließen. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Und Abschreckung? An die Abschreckung glauben selbst die nicht mehr, die immer von Abschreckung durch Todesstrafe reden. Würde sie nämlich abschrecken, würden Hinrichtungen live im Fernsehen übertragen. Aber Hinrichtungen vollziehen sich in den meisten Ländern eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Es gibt immer wieder Menschen, die töten - aus Eifersucht, aus Gier, aus Verzweiflung, aus Rache. Wer sich gegen die Todesstrafe ausspricht weiß, dass er nicht nur unschuldig Verurteilte verteidigt. Aber ist ein Mensch nach Jahren in der Todeszelle überhaupt der, der früher schreckliche Taten verübt hat? Darf der Staat deshalb töten - obwohl er all diese Motive, die Menschen zu Mördern werden lassen, nicht hat – zumindest nicht haben sollte? Der Staat lässt sein Werk, sein Todesurteil nicht im Blutrausch vollstrecken, sondern ganz nüchtern und mit Bedacht.

"Ich sehe und höre Leute im Gang. Ich weiß, dass gleich der Arzt kommen wird und mit ihm die Wachleute, Offizielle und die Assistenten des Gefängnisdirektors…Von meiner Zeller zur Kammer sind es gut zehn Fuß. Ein helles und weißes Neolicht strömt aus dem Raum. Ich habe noch zehn Minuten, bevor ich diesen Stift abgeben muss. Was sind schon zehn Minuten und was kann ich noch sagen?"

Robert West schrieb diese Zeilen 1997 in sein Tagebuch. Es war sein letzter Eintrag. Eine halbe Stunde später starb er durch eine Giftspritze. Angeordnet durch den US-Bundesstaat Texas. Staaten animieren also andere Menschen, in ihrem Auftrag zu töten. Der Staat tötet aber nicht nur Menschen, sondern er beauftragt andere, in seinem Namen zu töten. Henker als willige Vollstrecker. Und Henker, die mit den Bildern ihrer Taten allein bleiben. Aus den Tagebüchern der Henker von Paris:

"Der Gesichtsausdruck des Delinquenten verriet eine Art von Fieber oder Wahnsinn. Er wandte sich plötzlich an mich: "Lassen Sie sich ebenfalls umarmen", sprach er, "damit ich zeigen kann, ich bin ohne Groll und verzeihe allen Menschen, damit auch Gott mir verzeihe". Dies war ein Schlag für mich: Das Opfer verzieh dem Scharfrichter, und der Scharfrichter konnte sich nicht selber verzeihen. Ich glaube, wenn dieser Unglückliche mich mit den Lippen berührt hätte, hätte ich nicht den Mut gehabt, das Zeichen zu seinem Tode zu geben… Ich sah, wie einer der Gehilfen den Korb beiseite stieß, während der andere das Blut, welches über das Schafott floss und durch die Planken auf das Pflaster rann, mit einem Schwamm abwusch. Es war mir, als verfolgte mich dieser enthauptete Leichnam und als drängte die Volksmenge hinter ihm her und riefe aus tausend Kehlen den Racheschrei: "Henker! Henker! Henker!"."

In immer weniger Staaten wird die Todesstrafe vollstreckt - wäre die gute Nachricht.

Lohmann: "Die Abschaffung der Todesstrafe geht ja Stückchen für Stückchen. Man schafft sie zunächst für leichtere Delikte ab und reserviert sie dann für schwere Delikte. Dann wird auch bei den schweren Delikten reduziert. Oftmals ist sie ja noch geblieben für Hochverrat, d. h. der Staat wollte sich noch die Möglichkeit erhalten, während im zivilen Bereich, für Mord usw. die Todesstrafe schon ab war. Dann gab es häufig noch die These, ja die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft, aber in Kriegszeiten ja."

Dennoch ist die Zahl der Hinrichtungen hoch. Und: Die Zahl der Staaten, die an der Todesstrafe festhalten ist noch immer groß. Amnesty international kennt diese Länder. Zum Beispiel Japan…

Schamberg: "… wo im Jahr etwa zwei Personen pro Jahr hingerichtet werden. Bei zwei Personen im Jahr bei einem Land, das eine Einwohnerzahl ungefähr vergleichbar mit Deutschland hat, kann man nicht ernsthaft von einem Abschreckungseffekt ausgehen. D. h., es geht hier gar nicht so sehr darum, Straftäter von ihren Taten abzuhalten, sondern es geht darum, zu symbolisieren, welches Recht und welche Macht der Staat über seine Bürger hat und wie weit er damit gehen kann."

Zum Beispiel Singapur:
Schamberg: "In Singapur wurden im Jahr 2005 acht Hinrichtungen vollzogen. Das klingt in absoluten Zahlen nicht besonders hoch. Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass seit 1991 in Singapur 420 Menschen hingerichtet worden sind - bei einer Bevölkerung von nur vier Millionen Menschen…"

Zum Beispiel der Iran:

Schamberg: "Iran ist einer der Staaten, die eine relativ hohe Hinrichtungsrate auch in Bezug auf die Pro-Kopf-Bevölkerung haben. Im letzten Jahr haben wir 94 Hinrichtungen im Iran gezählt, es dürften aber in der Tat deutlich mehr sein."

Zum Beispiel China:

Schamberg: "Größere Anzahl von Hinrichtungen, mehr als zehn Personen pro Jahr sehen wir eigentlich nur in einer Handvoll Staaten, das trifft zum einen auf China zu, wo die Schätzungen auf 8000 pro Jahr gehen, amnesty international hat 1770 Hinrichtungen gezählt, die wir bestätigen können. Im Iran sind mindestens 94 Personen hingerichtet worden und in den USA waren es immerhin noch 60 Personen im letzten Jahr."

CD "Dead man walking"

Georg Lohmann von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg:

"Traditionell beanspruchen totalitäre Staaten, dass sie über das Leben ihrer Bürger herrschen können. Man müsste sagen, moderne Staaten drängen dieses Autoritätsanspruch des Staates immer weiter zurück. Wir in der Bundesrepublik sagen, dass es ein Widerstandsrecht gibt, dass es auch ein Verweigerungsrecht in der Armee gibt usw. und d. h., wir glauben nicht, dass der Staat wirklich zurecht über das Leben seiner Körper verfügen kann. Es gibt noch ein paar Fälle, wo es evtl. gemacht wird. Aber in der Regel sagen wir, der Staat hat nicht das Recht über das Leben der Bürger zu verfügen. Das ist die Grenze staatlicher Macht. Und das bedeutet auch, dass er nicht das Recht hat, Strafen so auszusprechen, dass dadurch das Leben der Bürger beendet wird."

Die Todesstrafe rettet Leben, hat Georg W. Bush behauptet. Was zu beweisen wäre. Ganz sicher jedoch ist, dass die Todesstrafe Leben beendet.

Lohmann: "Wir wissen, dass es mit starken rassistischen und sozialen Diskriminierungen verbunden ist. Also wenn Sie Angehöriger der weißen Rasse sind und im Mittelstand wohnen, haben Sie eine viel größere Wahrscheinlichkeit nicht, bei gleichen Verbrechen mit dem Tode bestraft zu werden, wie wenn Sie mexikanischer Abstammung sind oder ein Schwarzer sind."

Über 200 Jahre nach der Forderung des französischen Arztes Joseph-Ignace Guillotin, die die Todesstrafe wenigstens gerecht zu verhängen, ist man in den USA noch immer weit davon entfernt. Für die USA aber kein Grund, die Todesstrafe abzuschaffen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist für deren Beibehaltung. Abschreckung kann kein Grund dafür sein, denn keine Statistik kann eine abschreckende Wirkung der Hinrichtungspraxis nachweisen.

Lohmann: "Es gibt auch eine Reihe von psychologischen Erklärungen, warum in den USA die Todesstrafe so stark praktiziert worden ist… dass also die frühen Einwanderer, also Protestanten u. a., dass die ein besonderes Generationenproblem hatten, also die alten Väter gegen ihre jungen, rebellierenden Söhne. Und damit die Autorität der Alten gesichert war, hat man sehr früh die Todesstrafe praktiziert und zwar auch da statistisch vornehmlich gegenüber jungen, jetzt weißen, rebellierenden, nicht angepassten Söhnen."

Der Philosoph Georg Lohmann: "Es gibt eine sich bedroht fühlende Bevölkerungsgruppe, die versucht ihre Interessen und ihre Privilegien mit Mitteln der Todesstrafe zu verteidigen. Und auch das ist rechtsstaatlich gesehen gar nicht zu rechtfertigen."

Erhängen, erschießen, köpfen, vergiften - die Beamten des Todes haben viel Phantasie aufgewendet, um Menschen das Leben zu nehmen - eingebettet in Rituale der Vollstreckung, die Nüchternheit vorgaukeln sollen, einen normalen, technischen Ablauf. Henri Sanson, der letzte Henker der Sanson-Dynastie beendet seine Memoiren mit diesen Sätzen:

"Wenn aber das Gesetz die Guillotine zum Werkzeug der Todesstrafe wählt, ist es auch gewiss, seinen Zweck erreicht zu haben? Ich für meinen Teil glaube es, obwohl ich zuweilen seltsame Zuckungen auf den Gesichtern der Köpfe sah, welche vor meinen Augen in den verhängnisvollen Korb fielen. Ich wollte darin nur automatische Bewegungen der dem Nervensystem dienstbaren Muskeln erblicken. Aber nicht jeder ist dieser Ansicht. Gelehrte Physiologen und Männer, welche in die Geheimnisse der Anatomie tief eingedrungen sind, haben bestätigt, dass der Schmerz längere oder kürzere Zeit in dem Gehirn, als dem Mittelpunkt der Empfindung nachwirke. Wenn dies wirklich der Fall wäre? Man kann nicht ohne Schaudern daran denken. Unsere vorgebliche Menschlichkeit wäre dann nichts mehr als eine raffinierte Barbarei….

Soviel über die Todesstrafe, die verdammt sei, in nächster Zeit aus unseren Gesetzbüchern zu verschwinden. Möge diese heilige Reform mir am Rande meines Grabes leuchten; dann will ich es nicht bedauern, dieses traurige Bekenntnis niedergeschrieben zu haben, in welchem ich mich selber anklagen musste, mehr als hundert Köpfe gefällt zu haben. Eine andere Absolution verlange und erhoffe ich nicht."