Unterkünfte von Asylbewerbern

"Es werden nur Notlösungen gesucht"

Ein Kleinkind steht am 21.11.2013 in Eisenberg (Thüringen) auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge und Asylbewerber vor Wohncontainern. Die Suche nach einer neuen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Thüringen gestaltet sich weiterhin schwierig. Es sei noch keine Entscheidung gefallen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der Nachrichtenagentur dpa in Erfurt.
Ein Kleinkind vor einer Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Thüringen © Marc Tirl/dpa
20.10.2014
In Nordrhein-Westfalen sind die Flüchtlingsunterkünfte überfüllt. NRW-Regierungschefin Hannelore Kraft hat deswegen zum Flüchtlingsgipfel geladen. Der Flüchtlingsrat des Landes stellt vorab klar, wie eine menschenwürdige Unterbringung aussieht.
Liane von Billerbeck: Der Aufschrei war groß, als bekannt wurde, dass im nordrhein-westfälischen Burbach private Sicherheitsmänner der Firma European Homecare Flüchtlinge in einem Erstaufnahmelager gedemütigt und misshandelt hatten. Damals räumte eine entsetzte Ministerpräsidentin Versäumnisse ein.
O-Ton Hannelore Kraft: Wir haben die Aufsicht nicht in dem Maße durchgeführt, wie wir sie hätten durchführen müssen, weil der Druck so hoch war, aber das ist keine Entschuldigung. Und deshalb müssen wir jetzt nach Bekanntwerden darauf reagieren. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, und ich glaube, viele andere auch nicht, dass Menschen, die dort beschäftigt sind, in dieser Weise mit Flüchtlingen umgehen, ist für mich nicht nachvollziehbar.
von Billerbeck: Für heute hat nun Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu einem Gespräch eingeladen und an dem sogenannten Flüchtlingsgipfel nehmen 40 Vertreter von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen teil. Darunter ist auch Birgit Naujoks, die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats NRW e.V., einem Netzwerk von Asylarbeitskreisen, Flüchtlingsinitiativen und -räten. Sie ist jetzt am Telefon, Frau Naujoks, ich grüße Sie!
Birgit Naujoks: Ja, guten Morgen!
von Billerbeck: Was erwarten Sie von diesem Gespräch?
Naujoks: Ich hoffe, dass es der Auftakt sein wird zur Etablierung einer Gesprächsebene, auf der man tatsächlich nachhaltige Lösungen sucht, ein Konzept entwickelt, wie zukünftig die Ausgestaltung der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in NRW tatsächlich erfolgt. Es fehlt bisher an einem tatsächlichen Konzept, es werden nur Notlösungen gesucht, aber keine Schritte nach vorne unternommen.
von Billerbeck: Wie muss denn dieses Konzept Ihrer Meinung nach aussehen?
Es muss Mindeststandards geben - und die müssen dann auch überprüft werden
Naujoks: Es geht wirklich darum, das völlig neu zu gestalten. Es hat schon einige Schritte gegeben, die aber mehr in Richtung effektives Verwaltungshandeln gehen. Uns geht es darum, das Asylgrundrecht in den Mittelpunkt zu stellen, die Bedarfe der Schutzwürdigen und Schutzsuchenden besser zu berücksichtigen.
Dafür ist es notwendig, einmal Mindeststandards tatsächlich auch zu normieren, nicht nur in intransparenten Ausschreibungen festzulegen, sondern für alle sichtbar, und diese Standards dann tatsächlich auch zu prüfen und zu kontrollieren, damit es gar nicht erst zu solchen Vorfällen kommen kann beziehungsweise solche oder ähnliche Vorfälle direkt behandelt, bearbeitet und in Zukunft dann verhindert werden können.
Und es müsste ein Beschwerdemanagement für Flüchtlinge eingerichtet werden, eine neutrale Stelle, an die Flüchtlinge sich mit ihren Anliegen wenden können, damit auch so frühzeitig gegen beispielsweise ungeeignetes Personal reagiert werden kann.
von Billerbeck: Das klingt alles sehr bürokratisch, Standards, Beschwerdemanagement. Machen wir das doch mal konkret: Was fordern Sie denn, wie muss so ein Flüchtlingsheim aussehen, dass es dem Grundrecht auf Asyl genügt und die Flüchtlinge – oft ja traumatisierte Menschen – dort so untergebracht werden, dass wird das auch mit unserem Gewissen vereinbaren können?
Privatsphäre: Statt acht Personen auf einem Zimmer nur noch zwei oder drei
Naujoks: Es muss auf jeden Fall die Privatsphäre für jeden Menschen da sein, ein Teil von Privatsphäre. Das heißt, wir setzen uns sehr für abgeschlossene Einheiten ein. Also keine offenen Flure, nicht Zusammenlegung von fremden Personen, bis zu acht Personen in einem Zimmer, sondern natürlich Familien mit einer eigenen Einheit, ansonsten zwei oder drei Personen auf einem Zimmer, wo aber Rücksicht genommen wird bei der Belegung auf kulturelle Aspekte, auf Religion und so weiter.
Besonders schutzbedürftige Personen wie Traumatisierte, wie alleinstehende Frauen müssen Extraräumlichkeiten haben, sie müssen die Möglichkeit haben, schon mal einen Zugang zur Psychosozialversorgung zu haben. So eine Aufnahmeeinrichtung muss die Möglichkeit bieten, von Anfang an an der Gesellschaft teilzunehmen. Das heißt, es muss eine Infrastruktur in der Nähe vorhanden sein mit Einkaufsmöglichkeiten, mit Ärzten und so weiter, sie muss an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden sein.
Vor allen Dingen muss aber auch das Personal auf allen Ebenen aufgestockt werden, sowohl auf Behördenseite als auch auf Verfahrensberatungsseite, damit den Flüchtlingen immer genug Unterstützung zur Seite steht und sie gut betreut, aber auch beraten werden können. Das sind so einige Punkte.
von Billerbeck: Das sind viele Forderungen, da höre ich schon die Angst von Landesregierung und Kommunen, was das alles kosten wird. Denn bisher wissen wir ja, dass Flüchtlingsheime oft in abgerockten Häusern liegen, meist außerhalb der Orte, und es zählte das billigste Angebot. Was ist denn nun die konkrete Forderung, die Sie an die Landesregierung stellen und vielleicht auch heute Abend hörbar machen?
"Eine gute Versorgung und eine menschenwürdige Behandlung kostet Geld, das ist ganz klar"
Naujoks: Das Thema darf nicht nur in Worten prioritär behandelt werden, sondern es müssen tatsächlich auch konkrete Maßnahmen erfolgen. Und natürlich kostet eine gute Versorgung und eine menschenwürdige Behandlung Geld, das ist ganz klar.
Wir verstehen, dass im Moment akute Notlösungen gesucht werden im Sinne davon, dass erst mal ein Schlafplatz für jede Person zur Verfügung stehen muss. Aber Aussagen dazu wie, dass in dieser Zeit schon mal Standards leiden können und man das in Kauf nehmen müsse, die dürfen so nicht stehenbleiben.
Wir müssen uns dazu bekennen, dass die Menschen, die zu uns kommen und hier Schutz suchen, auch als Menschen zu behandeln sind und ihren Bedürfnissen entsprechend untergebracht werden. Und das muss im Vordergrund stehen und da dürfen finanzielle Erwägungen nicht im Vordergrund stehen.
von Billerbeck: Nun werden wir wahrscheinlich noch viel mehr Flüchtlinge nach Deutschland bekommen, wir sind ja eigentlich noch vergleichsweise ein Land, das wenig Flüchtlinge hat, wenn man sich ganz andere Länder anguckt wie beispielsweise Jordanien oder so. Reichen denn die Plätze aus, wenn die Zahlen der Flüchtlinge steigen?
Naujoks: Ja, Sie haben es gerade selber angesprochen, andere Länder, gerade um Syrien herum, nehmen eine viel größere Zahl von Flüchtlingen auf. Das klappt auch nicht besonders gut, aber es klappt. Und in Deutschland stehen Kapazitäten zur Verfügung.
Ich meine, Anfang der 90er Jahre war die Zahl von Asylsuchenden doppelt so hoch wie jetzt. Auch das war damals sehr schwierig, aber auch das wurde geschafft. Und in Europa stehen wir, gemessen an der Bevölkerungszahl, auf Platz neun bei der Flüchtlingsaufnahme. Das heißt, in anderen Ländern klappt es auch und da sollten wir uns auch ein Beispiel dran nehmen und nicht über solche Zahlen uns beklagen.
von Billerbeck: Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW e.V., vor dem Flüchtlingsgipfel, einer Beratung, zu der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft heute Vertreter von Kirchen, Kommunen und Hilfsorganisationen geladen hat. Ich danke Ihnen!
Naujoks: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema