Untergang eines Landes

12.07.2013
Eugen Ruges Generationen-Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" war äußerst erfolgreich. Nach einem Theaterstück gibt es jetzt das Hörbuch über eine Ost-Berliner Familie, gelesen von Ulrich Noethen, Devid Striesow und Eva-Maria Hagen.
Eugen Ruges Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" scheint sich zunächst nicht für eine Hörspielbearbeitung aufzudrängen: Jede Menge Personal, eine Geschichte über mehrere Jahrzehnte, komplizierte historische und politische Hintergründe. Doch Regisseur Leonhard Koppelmann hat etwas gesehen, was auf den ersten Blick nicht auffällt: "In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist über weite Strecken ein Kammerspiel, inszeniert im Haus der Familie Umnitzer:

"Papa, wach auf!"

Obwohl er einen Schlüssel hatte, klingelte er.

"Testen, ob Kurt aufmacht. Sinnlos. Mach auf!"

Aber Kurt rührte sich nicht. Alexander schloss auf, umarmte seinen Vater, obwohl im die Umarmung seit langem unangenehm war.


Kurt Umnitzer ist dement, wird vom Pflegedienst halbwegs versorgt. Sein Sohn Alexander hat gerade erfahren, dass er Krebs hat.

"Das Einzige, was du noch kannst, was du aus eigenem Antrieb noch tust, wofür du dein letztes bisschen Schlauheit verwendest, ist: Essen. Essen gleich Leben. Diese Formel hast du im Arbeitslager gelernt, und zwar gründlich. Damit hast du alle überlebt. Du hast Irina überlebt. Und nun besteht die reale Chance, dass du auch mich überleben wirst."

Alexander ist gekommen, um seinem Vater zu sagen, dass er verreisen wird: nach Mexiko. Mexiko, das war das Sehnsuchtsland von Alexanders Großmutter, für das er sich nie interessiert hat. Doch jetzt blickt er zurück, über seine eigene Geburt hinaus. Die Großeltern kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem mexikanischen Exil nach Berlin zurück, um den Sozialismus aufzubauen. Und Charlotte, die Großmutter, hat Mexiko nie vergessen, auch weil die Rückkehr nicht ganz so triumphal verlief wie erhofft:

Auf dem Wege der sozialistischen Entwicklung werden wir alle bei uns vorhandenen Schwierigkeiten überwinden können.

Charlottes Schwierigkeiten werden allerdings nicht überwunden: Obwohl sie die intelligentere, umtriebigere der beiden ist, muss sie zusehen, wie ihr Mann in der DDR Karriere macht – durch Bauernschläue, Kumpelei und weil er halt ein Mann ist. Diesen Erzählfaden hat Regisseur Leonhard Koppelmann stark gekappt und konzentriert sich mehr auf die Konflikte zwischen den Generationen. Das ist schade, aber nachvollziehbar: Die Romanvorlage hat schließlich mehr als 400 Seiten. Nur sparsam bedient sich Koppelmann solch historischer O-Töne. Die Zeitsprünge markiert er, indem am Szenenanfang das Datum und die im Zentrum stehende Figur angesagt wird.

Koppelmann inszeniert nur wenig, untermalt diskret mit Musik. Er setzt vor allem auf sein hervorragendes Sprecher-Ensemble: Dieter Mann als Erzähler, Devid Striesow als Alexander Umnitzer, Eva-Maria Hagen als Charlotte Powileit. Die Frauenfiguren sind die heimlichen Heldinnen dieses Hörspiels, weil Koppelmann das Komische an ihren Konflikten noch stärker herausarbeitet als in der Romanvorlage. Nadjeshda Iwanowna und ihre Tochter Irina, Kurt Umnitzers Frau, liefern sich zum Beispiel hinreißende Streitgefechte auf Russisch-Deutsch:

"Was willst du?"

In den 13 Jahren, die Nadjeshda Iwanowna hier lebte, hatte sie kein Wort Deutsch gelernt. Abgesehen von "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen". Was sie aber bedauerlicherweise zumeist verwechselt.

(Russisch) "Woher soll ich wissen, wann Sascha kommt? Setz dir lieber deine Zähne ein und frühstücke was!"


Koppelmann konzentriert die Geschichte sehr stark auf den 90. Geburtstag von Wilhelm, dem Großvater, bei dem die Konflikte zwischen den vier Umnitzer-Generationen kulminieren. Der immer noch überzeugte Kommunist Wilhelm, gesprochen von Hans Teuscher, und seine Frau geraten sich schon bei den Vorbereitungen in die Haare:

"Komm, wir ziehen den Ausziehtisch aus!"
"Du hast mir gar nichts zu sagen!"
"Wilhelm, du kannst den Ausziehtisch nicht ausziehen. Diesen kann nur Alexander ausziehen. Das haben wir doch x-mal probiert!"
"Alexander! Seit wann kann der irgendetwas? Noch nicht mal in der Partei ist der Kerl! Defätisten-Familie."
"Pass auf, was du sagst!"

Es klingelte, draußen stand der Pionierchor.


Der Großvater dämmert schließlich inmitten seiner Gäste senil vor sich hin, während der Abgesandte der Partei die seit Jahrzehnten selbe Gratulationsrede hält, die Großmutter hysterisch Normalität vorgaukeln will, Alexander in die Bundesrepublik abhaut und drum herum die DDR erodiert: Es ist der Herbst 1989. Die Geschichte von vier Generationen einer Familie, einer sterbenden Utopie und dem Untergang eines Landes werden in diesem Hörspiel mit viel dramaturgischer Umsicht und Witz erzählt.

Besprochen von Dina Netz

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts
Regie: Leonhard Koppelmann, 3 CDs, Argon
Berlin 2013, 19,95 Euro