Untergang des hinduistischen Königreiches

Von Gerhard Klas · 01.06.2011
Die Ermordung des Königs Birendra und seiner Familie wirft bis heute Fragen auf: Waren es politische Gründe - oder handelte es sich einfach um ein Familiendrama?
Radiomeldung: "Seine Majestät König Birendra ist am Abend des 1.Juni 2001 um 9.15 Uhr im königlichen Palast verschieden."

Die Meldung erschütterte das hinduistische Königreich Nepal. Auf den Straßen der Hauptstadt Katmandu zeigten viele Menschen offen ihre Trauer. Denn der 55-jährige Bir Bikram Shah Dev Birendra war beliebt. Er starb nicht allein: Mit ihm wurden acht seiner Angehörigen getötet, die sich im Königspalast zu einem Familienfest eingefunden hatten. Eine Explosion, so hieß es, habe ihr Leben ausgelöscht.

Die nepalesischen Diplomaten – zum Beispiel der Botschafter in Neu Delhi – meldeten schon am darauffolgenden Tag überraschend:

Nepalesischer Botschafter: "Der bisherige Kronprinz Dipendra ist zum König von Nepal ausgerufen worden. Weil es dem neuen König derzeit aber nicht möglich ist, seine Amtspflichten zu erfüllen, wurde Prinz Gyanendra zum Regenten ernannt."

Dipendra, der schwerverletzt im Krankenhaus lag, starb drei Tage nach dem Massaker im Königspalast. Gyanendra, der jüngere Bruder des toten Königs, war unversehrt, denn er hatte nicht an dem Familienfest teilgenommen. Zunächst behauptete er, bei der Explosion habe es sich um einen Unfall gehandelt. Viele Menschen glaubten dieser Darstellung nicht, sie protestierten und es kam zu Straßenschlachten. Gyanendra ließ eine Ausgangssperre verhängen.

Nach dem Tod des Kronprinzen Dipendra verbreitete Gyanendra eine neue Geschichte: Der Kronprinz selbst habe seine Familie ausgelöscht und anschließend einen Selbstmordversuch begangen. Diese Version bekräftigten knapp eine Woche nach der Tat zwei Augenzeugen gegenüber der BBC.

Rajiv Shahi: "Es gab eine Menge Geschrei, Chaos. Plötzlich hörte ich, der König ist angeschossen. Weil ich Arzt bin rannte ich sofort hin und presste ihm meinen Mantel an den blutenden Hals. Als die Schießerei vorbei war, rannte Kronprinz Dipendra nach draußen."

Rajiv Shahi, Schwiegersohn des jüngsten Bruders des verstorbenen Königs Birendra, und ein weiterer Augenzeuge berichteten, während des Essens sei der Kronprinz in Uniform und mit einem Maschinengewehr in den Saal getreten, habe eine Salve abgegeben, sei hinaus- und wieder hineingetorkelt und habe dann weiter geschossen.

Eine von Gyanendra ernannte Kommission bestätigte diese Version. Kronprinz Dipendra habe unter Drogen gestanden und zuvor mehrmals mit seiner Lebensgefährtin telefoniert. Das sei von Bedeutung, denn die toten Königseltern hätten sie als künftige Frau des Kronprinzen abgelehnt.

Aber auch diese Lesart - als Familientragödie - wird bis heute von vielen Nepalesen angezweifelt. 2007 fand in Nepal das Buch eines Journalisten reißenden Absatz, das unter dem Titel "Blutbad" erschien und auf der Grundlage wiederum von Augenzeugenberichten die These von der Täterschaft Dipendras zurückwies. Aber auch schon unmittelbar nach dem Attentat wurden Stimmen laut, die den Verdacht in eine politische Richtung lenkten.

Baburam Bhattarai: "Warum wurden König Birendra und seine Familie genau in diesem Moment ermordet?" -

fragte Baburam Bhattarai fünf Tage nach dem Attentat in der auflagenstärksten Tageszeitung Nepals, Kantipur Daily. Für das führende Mitglied der maoistischen Partei, Nepals größter Oppositionspartei, die eigentlich grundsätzlich gegen die Monarchie kämpfte, war der Tod des Königs kein Grund zur Freude.

Baburam Bhattarai: "König Birendras vergleichsweise liberaler politischer Charakter und seine patriotische Einstellung wurden von den expansionistischen und imperialistischen Kräften als Schwäche, ja sogar als kriminell angesehen. Er weigerte sich, die Armee gegen die Revolution unter der Führung der maoistischen Partei zu mobilisieren. [...] Trotz der Meinungsverschiedenheiten in vielen Punkten: Birendra hat dazu beigetragen, die Unabhängigkeit und Souveränität Nepals gegenüber dem indischen Expansionismus zu wahren."

Ob tatsächlich der indische Geheimdienst hinter dem Attentat steckte, wie Baburam Bhattarais behauptete, sei dahingestellt. Fest steht hingegen, dass der neue König Gyanendra, gestützt vom Westen und von Indien, später den Notstand ausrief, das Parlament auflöste und zur absoluten Monarchie zurückkehrte, also der Staatsform, der König Birendra 1990 abgeschworen hatte. Eine breite Parteienkoalition zwang Gyanendra schließlich zum Rückzug. 2008 wurde aus dem 240 Jahre alten hinduistischen Königreich eine Republik.