Unter lebensgefährlichen Bedingungen

Moderation: Dieter Kassel · 08.05.2008
Um die Pressefreiheit im Irak ist es nach Ansicht der deutschen Journalistin Susanne Fischer nicht gut bestellt. Der "Frühling der freien Presse" im Jahr 2003 sei vorbei, sagte Fischer. Allein in den vergangenen fünf Jahren seien 200 Journalisten ums Leben gekommen.
Dieter Kassel: Morgen bekommt Zainab Ahmed den Henri Nannen Preis für Pressefreiheit. Sie bekommt ihn stellvertretend für viele andere irakische Journalistinnen und Journalisten, die in einem Land mit weniger Pressefreiheit denn je täglich ihr Leben riskieren, um berichten zu können über das, was dort wirklich passiert. Ausgebildet werden die irakischen Journalisten an einer Schule, die das britische Institut of War and Peace Reporting in der nordirakischen Stadt Suleimania unterhält. Und dort unterrichtet auch die deutsche Journalistin Susanne Fischer, die im Moment mit acht irakischen Journalistinnen und Journalisten auch in Deutschland unterwegs ist und jetzt bei mir im Studio. Schönen guten Tag, Frau Fischer.

Susanne Fischer: Schönen guten Tag.

Kassel: Zainab Ahmed, die morgen stellvertretend diesen Preis in Hamburg entgegen nehmen wird, heißt wirklich so, nehme ich mal an. Kann sie unter ihrem echten Namen auch im Irak ihre Artikel veröffentlichen?

Fischer: Zainab macht das erstaunlicherweise häufig, dass sie unter ihrem eigenen Namen schreibt. Nur bei ganz, ganz kritischen Geschichten, wo sie das Gefühl hat, da könnte sie nun wirklich arge Schwierigkeiten bekommen, wählt sie manchmal ein Pseudonym, oder da steht dann einfach nur "von einem IWPR-Korrespondenten". Aber sie schreibt sehr, sehr häufig, und das ist, denke ich, auch ein Teil der Auszeichnung, unter ihrem eigenen Namen. Deshalb bekommt sie diese Auszeichnung auch für den Mut, den sie hat, dass sie unter ihrem eigenen Namen bereit ist, über Korruption, über furchtbare Zustände in den Krankenhäusern, über ethnische Gewalt im Irak zu berichten, was wirklich ein lebensgefährliches Unterfangen ist.

Kassel: Wo wird denn berichtet? Wo werden denn Artikel wie die von ihr und ihren Kollegen veröffentlicht?

Fischer: Die Reporter, die von uns ausgebildet werden, schreiben zum einen für unsere Wegseite, wo die Geschichten dann auf Englisch, Arabisch und Kurdisch erscheinen, und dann werden sie von vielen irakischen Zeitungen übernommen, die sie dann eben im Irak veröffentlichen.

Kassel: Wie funktioniert denn – man muss vielleicht erklären, dass Suleimania, wo das Institut ist, wo die Schule ist ...

Fischer: Das liegt im Nordirak, im kurdischen Gebiet, wo es sehr viel friedlicher ist als im Rest des Landes. Das ist für uns ein enormer Standortvorteil. Die Schule war am Anfang in Bagdad. Das wurde dann zu gefährlich, deshalb sind wir dann umgezogen. Und das hat sich im Nachhinein durchaus auch als Vorteil erwiesen, weil wir dort die Möglichkeit haben, Menschen aus allen Landesteilen zusammenzubringen. Wir bilden dort eben Kurden, Sunniten, Schiiten aus, Menschen kommen aus Basra, Falludscha, Bagdad zu uns. Das wäre eigentlich an keinem anderen Ort im Irak so wirklich denkbar, und insofern hat sich das für uns durchaus bewärt, dass wir dort oben sitzen.

Kassel: Wenn Ihre Journalisten, zum Beispiel auch Zainab Ahmed, aber auch andere, wenn die in der Region Bagdad, in der Mitte des Landes, im Süden, in Basra unterwegs sind, wie habe ich mir da eine Recherche vorzustellen? Geht das im weitesten Sinne so wie im Rest der Welt, also dass die sich vorstellen und sagen, ich bin Journalistin und möchte sie etwas fragen?

Fischer: Nein, ganz häufig verbergen die Journalisten ihre Identität. Der Journalist ist eigentlich ein Schattenberuf im Irak. Man traut sich gar nicht mehr wirklich zu zeigen. Normalerweise arbeiten wir hier mit Presseausweis, haben ein Schild im Auto, versprechen uns Vorteile davon, dass wir uns als Journalisten ausweisen, Zugang zu Informationen haben. Das ist im Irak alles nicht der Fall. Ganz viele versuchen, möglichst viele Informationen zu sammeln, ohne dass irgendjemand mitbekommt, dass sie Journalisten sind. Manchmal verraten Journalisten nicht mal ihrer eigenen Familie, dass sie als Journalisten arbeiten, weil sie Angst haben, dass halt der Falsche davon erfährt und sie dann entweder entführt, bedroht oder umbringt. Es sind ja mehr als 200 Journalisten in den vergangenen fünf Jahren im Irak ums Leben gekommen. Insofern sind die Arbeitsbedingungen, die die irakischen Journalisten dort haben, nicht zu vergleichen. Das ist eine sehr mühsame, kleinteilige und unter erschwerten Bedingungen stattfindende Recherche.

Kassel: Was sind das für Menschen, Frau Fischer, die zunächst mal an die Schule kommen und danach dann auch wirklich journalistisch arbeiten. Zainab Ahmed, die den Preis nun morgen stellvertretend bekommt, ist, glaube ich, Mikrobiologin vor der Ausbildung gewesen.

Fischer: Genau. Einige der Studenten, die zu uns kommen, haben eigentlich einen anderen Beruf gehabt bis 2003, haben nicht als Journalisten gearbeitet, weil sie das Gefühl hatten, was ja auch stimmte, dass unter Saddam eben eine wirklich freie Berichterstattung nicht möglich war. Die Presse war stark kontrolliert. Es gab eigentlich nur regierungsamtliche Propaganda. Und damit wollten sich viele nicht abtun. Und als dann aber 2003 die Möglichkeiten sich veränderten und es einen Frühling der freien Presse gab, wurde das Interesse eben auch bei Menschen, die vorher nichts damit zu tun hatten, groß. Wie Zainab haben wir zum Beispiel auch Ökonomen, Juristen unter unseren Schülern. Wir haben relativ wenige Menschen, die vorher schon als Journalisten gearbeitet haben, weil wir die Erfahrung gemacht haben, es ist ganz, ganz schwer mit Menschen zu arbeiten, die sich einmal in dieses System der staatlichen Kontrolle völlig hineinbegeben haben. Also denen beizubringen, was die Rolle eines Journalisten eigentlich in einer freien Gesellschaft sein soll, ist ganz, ganz schwierig. Insofern haben wir meistens Menschen, die so zwischen 25 und 35 sind, schon etwas Erfahrung in einem anderen Beruf gesammelt haben, aber manchmal auch ganz junge Reporter.

Kassel: Was treibt denn diese Menschen an? Denn man muss sich das ja vorstellen, selbst wenn es, was bestimmt teilweise auch nicht so ist, aber selbst wenn es vielleicht manchmal ähnliche Gründe sind wie im Rest der Welt, die Gründe die dagegen sprechen, Journalist zu werden, sind im Irak ja sehr viel ernst zu nehmender. Ich kenne Beispiele auch aus Ihrer Webseite, dass man es den eigenen Eltern nicht erzählt und ähnliches. Und man läuft eben bei gewissen Recherchen wirklich Gefahr, getötet zu werden. Warum macht man es trotzdem?

Fischer: Ich habe das meine Schüler auch immer wieder gefragt, weil ich mich natürlich sehr freue, dass sie trotzdem kommen, aber man sich sehr wundert – auch von unseren Schülern sind in den letzten zwei Jahren vier ums Leben gekommen – dass die Motivation trotzdem nicht nachlässt. Und die Antworten, die ich bekomme, sind eigentlich immer sehr ähnlich: Wir möchten gern, dass die Welt erfährt, was in unserem Land passiert. Und wir haben ja hier auch beobachtet, dass immer weniger berichtet wird aus dem Irak, dass immer weniger ausländische Journalisten sich in den Irak wagen, einfach weil es für sie noch viel gefährlicher ist als für irakische Journalisten. Wenn jetzt die Iraker selbst nicht mehr berichten, dann haben sie einfach Angst, dass das Land von der Weltöffentlichkeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird. Sie haben das Gefühl, dass sie, gerade wenn sie gut ausgebildet sind, natürlich auch eine andere Sicht der Dinge beschreiben können, und sie haben Zugang in Regionen, in die ein ausländischer Journalist überhaupt nicht kommen kann. Das ist eigentlich die Hauptmotivation.

Kassel: Wie sieht die Unterstützung für die Schule aus? Es ist ein britisches Institut, das auch an anderen Orten andere Dinge tut, aber eben im Nordirak diese Schule betreibt. Bleiben wir mal im Irak, da muss man ja eigentlich über zwei Regierungen reden, die Regierung des kurdischen autonomen Gebiets, mit der Sie sicherlich gelegentlich zu tun haben, und die Regierung in Bagdad. Nehmen die Ihre Arbeit zur Kenntnis, reagieren die irgendwie darauf?

Fischer: Die nehmen unsere Arbeit zur Kenntnis, wobei ich versuche, mich weitgehend von den Regierungen dort fernzuhalten, weil wir wirklich möglichst unabhängig arbeiten wollen. Das funktioniert bislang auch ganz gut. Wir bekommen unser Geld ja auch nicht aus dem Irak, sondern von ausländischen Unterstützern, von verschiedenen Ministerien, Entwicklungshilfeministerien und so weiter. Sie nehmen unsere Arbeit aber natürlich dann zur Kenntnis, wenn es kritische Geschichten gibt. Und da haben wir auch schon heftige Reaktionen gehabt und Anrufe bei Reportern oder Versuche der Richtigstellung, wobei es eigentlich nicht falsch war, sondern nur der Regierung nicht genehm. Das wird schon sehr genau beobachtet, was wir da berichten. Zumal die Geschichten ja dann eben auch in der irakischen Presse verbreitet werden.

Kassel: Wie gehen die, ich sage es mal sehr neutral, die Amerikaner im Irak mit Ihrer Arbeit um und damit, dass irakische Journalisten dort was auch immer recherchieren, was vielleicht auch manchmal den amerikanischen Streitkräften nicht ganz recht ist?

Fischer: Die gehen damit erfreulich entspannt um, vor allem wenn man bedenkt, dass sie den größten Teil dieser Arbeit bezahlen und eigentlich wenig Einwände dagegen haben, oder bislang habe ich eigentlich überhaupt keine Einmischung erlebt, dass irgendeine kritische Geschichte Ärger gebracht hat oder nicht veröffentlich werden sollte, oder dass man versucht hat, jetzt schreib doch mal darüber oder schreib doch mal ein bisschen freundlicher über die Amerikaner. Da gibt es eigentlich überhaupt gar keine Einmischungsversuche.

Kassel: Morgen wird in Hamburg der Henri Nannen Preis verliehen, Zainab Ahmed bekommt ihn stellvertretend. Sie sind mit einer etwas größeren Gruppe, sie ist natürlich dabei, aber noch mit einigen anderen ...

Fischer: Es sind acht insgesamt.

Kassel: ... mit acht irakischen Kollegen, sage ich jetzt mal aus unser beider Sicht, in Deutschland unterwegs. Wie ist es denn bei allem Antrieb, die Wahrheit aus dem Irak berichten zu wollen, wenn die jetzt in Deutschland sind, bekommen die auch Lust als Journalisten vielleicht in Europa zu arbeiten, Karriere zu machen? Oder spielt das gar keine Rolle?

Fischer: Doch, es wurde schon verschiedentlich gefragt von einigen, wie man denn hier in Kontakt auch mit Zeitungen kommen kann, also jetzt gar nicht unbedingt, um dann das Land zu verlassen, sondern einfach um bei ausländischen Zeitungen zu arbeiten, weil sie natürlich das Gefühl haben, wenn sie jetzt die Redaktionen hier sehen und mit den Journalisten hier reden, dass das alles sehr viel professioneller ist und natürlich sehr viel etablierter. Die Redaktionen im Irak sind sehr bescheiden, viele von den Zeitungen haben nicht viel Geld, arbeiten unter sehr, sehr schwierigen Bedingungen. Und wenn sie jetzt dann hier sehen ein groß ausgestattetes Studio, oder wir waren bei der Deutschen Welle auch und waren bei Tagesspiegel und gehen in Hamburg noch zum Spiegel – das ist für die natürlich etwas, was es im Irak in der Form überhaupt nicht gibt. Und dann denkt man natürlich, wenn ich da auch ein wenig für ausländische Medien aus dem Irak berichten kann, dann ist das für mich natürlich und für meine Karriere auch gut.

Kassel: Sie selber unterrichten an dieser Schule im Norden, waren aber vor nicht allzu langer Zeit, vor etwa zwei Monaten, auch wieder selber als Journalistin in Bagdad und Umgebung unterwegs und sind ja nun mit relativ kurzen Unterbrechungen, soviel ich weiß, relativ lange schon im Irak. Wie ist denn die Entwicklung der Pressefreiheit? Stimmt es, wenn man hört, dass die heute schon wieder sehr viel schlechter ist als vor drei, vier Jahren?

Fischer: Ich würde auch eher sagen, dass die Entwicklung zum Negativen sich vollzieht. Als ich 2003 nach Bagdad gegangen bin, um von dort als freie Journalistin zu berichten, hat man wirklich so eine Art Frühling erlebt der freien Presse. An allen Ecken und Enden entstanden neue Zeitungen, jeder der ein bisschen Geld hatte und Interesse an Medien hat versucht, seine eigene kleine Zeitung aufzumachen. Davon sind natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen wieder viele verschwunden. Aber es hat sich auch viel politischer Druck wieder breit gemacht. Man kann eigentlich schon sagen, dass die Zeitungen in erster Linie zu den großen Parteien gehören, die im Irak herrschen. Die Fernsehsender sind eigentlich auch weitestgehend in staatlicher Hand. Es gibt von vielen, vielen Seiten Druck auf die Journalisten, dass sie nicht wirklich frei berichten können. Und insofern ist das eigentlich, wenn man bedenkt, dass es jetzt fünf Jahre sind, kein so erfreuliches Bild.

Kassel: Susanne Fischer unterrichtet an einer vom International Institut for War and Peace Reporting betriebenen Schule im Nordirak und ist zur Zeit mit acht irakischen Journalisten in Deutschland unterwegs, darunter auch Zainab Ahmed, die stellvertretend für viele andere morgen in Hamburg den Henri Nannen Preis für Pressefreiheit entgegen nehmen wird. Frau Fischer, ich danke Ihnen.