Unter dem Label sozialistischer Emanzipation

04.07.2011
Pünktlich zur Fußball-WM der Frauen hat der Wissenschaftsverlag be.bra die erste sporthistorische Untersuchung zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland vorgelegt. Schwerpunkt ist die DDR, wo der Frauenfußball schon früh gefördert wurde.
Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland ist abenteuerlich. Dass das für die Weimarer Republik, die Bundesrepublik und für die DDR gleichermaßen gilt, arbeitet Carina Sophia Linne in "Freigespielt", einer fulminanten sporthistorischen Arbeit, deutlich heraus.

Angefangen von der Amerikanisierung der Gesellschaft in den wilden 1920er Jahren, die den Weg für Frauenfußball überhaupt erst frei machte, konzentriert sich das Buch anschließend auf die schwierigen Entwicklungsabschnitte im geteilten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

In Ost und West musste die Frauenfußballbewegung in einer von Männern dominierten Sportart gegen große Widerstände ankämpfen. Auf beiden Seiten ist es eine Geschichte von Eigeninitiative, Phantasie und Durchsetzungswillen. In beiden deutschen Staaten wurden die Frauen anfangs nicht von den großen Fußball-Verbänden unterstützt. Von 1955 bis 1970 war Frauenfußball in der Bundesrepublik sogar verboten. In der Gesellschaftsordnung der Nachkriegszeit gab es wenig gedanklichen Spielraum für ein anderes Frauenbild. In der DDR wurde das neue Phänomen hingegen toleriert. Die Autorin weist nach, dass Partei und Staat die Fußballerinnen, die fast ausschließlich in Betriebssportgemeinschaften eng mit den Produktionsbetrieben verbunden waren, unter dem Label der sozialistischen Emanzipation bestens für ihre politische Propaganda gebrauchen konnten.

Besonders überzeugend ist das Buch in den Interviews, die Linne geführt hat. Zahlenmäßig war die Bewegung nicht stark, aber für ihren Traum vom Fußball nahmen die paar hundert Spielerinnen große Entbehrungen und Strapazen in Kauf. So war die Mannschaft vom VEB Fischereikombinat Saßnitz-Rügen oft mit einem betriebseigenen Lkw zu den Auswärtsfahrten unterwegs. "Da gab es Bänke, so wie heute die Biergartenbänke sind. Und dann hatten wir da hinten einen Kasten Bier und dann ging das los", erinnert sich eine Spielerin. Finanzielle Unterstützung gab es nicht. Die älteren Spielerinnen schoben zusätzliche Nachtschichten, damit auch die Jüngeren mitfahren konnten.

Anfang der 70er Jahre wurde der Frauenfußball als Volkssport anerkannt. Als 1979 eine Besten-Ermittlung eingeführt wurde, war der Frauenfußball ganz in der DDR-Gesellschaft angekommen. Ende der 80er Jahre wurde sogar noch eine DDR-Nationalelf gegründet. Doch wegen der deutschen Wiedervereinigung spielte sie nur ein Mal: Am 9. Mai 1990 gab es in Potsdam eine 0:3-Niederlage gegen die CSFR. Dennoch war der DDR-Frauenfußball am Ziel. Für 90 Minuten stand eine einst belächelte Sportbewegung von engagierten Außenseiterinnen auf Augenhöhe mit dem hoch subventionierten, auf olympische Medaillen fixierten DDR-Leistungssport. Danach ging der ostdeutsche Fußballverband in den Strukturen des DFB auf.

Fast lückenlos dokumentiert Linne die Phasen des Frauenfußballs in Deutschland. Für "Freigespielt" ist diese Akribie Stärke und Schwäche zugleich. Denn das Buch, das auf einer Doktorarbeit der Autorin aufbaut, quillt vor Fakten über, was den Lesegenuss stellenweise stark einschränkt. Dennoch – es ist ein wichtiges und aufschlussreiches Buch: denn zum ersten Mal wird der Frauenfußball in der DDR - mit Hilfe von 30 Zeitzeugeninterviews, Medienanalyse und umfangreicher Auswertung privater Quellen - wissenschaftlich gründlich erforscht.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Carina Sophia Linne, Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland
be.bra, Berlin 2011
313 Seiten, 24,95 Euro


Links bei dradio.de:

Hintergrund vom 25.6.2011: Vom Randsport zum Millionenspektakel - Die Entwicklung des Frauenfußballs (DLF)
"Aktuell" vom 1.7.2011: Fußball für die Ohren - FIFA Frauen WM 2011 im Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur
Themen der Woche: Diese WM sollte nicht an den sportfernen Ansprüchen scheitern - Der Kick der Frauen
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Potsdams Trainer Bernd Schröder
Einer, der den Frauenfußball in der DDR und auch im vereinten Deutschland besonders gefördert hat: Bernd Schröder, seit 1971 Trainer von Turbine Potsdam.© picture alliance / dpa / Soeren Stache
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