Uns geht es schlecht

12.06.2013
Sie sind um die 30 und es fehlt ihnen an nichts, außer am Lebensinhalt. Auch mit der Liebe klappt es nicht. Katherine und Daniel halten sich für beziehungsunfähig und scheitern aneinander. Da helfen nur Alkohol, Selbstmitleid, Drogen und Sex.
"Idiopathie", klärt uns ein dem Buch vorangestellter Lexikoneintrag auf, ist "eine Krankheit, die spontan auftritt oder deren Ursache nicht bekannt ist. Wortherkunft: Von Altgriechisch idiopatheia, von idios (eigen) und pathos (Leiden)."

Damit ist vordergründig eine dem Rinderwahn nachempfundene Seuche unter englischen Kühen gemeint ("Die Fachwelt war ratlos. Der weit von einer Diagnose entfernte Begriff idiopathische Rindertrance wurde geprägt, ein Eingeständnis des Nichtwissens"), im Kern jedoch Wesen und Leiden der Generation der Thirtysomethings unserer Tage: Pathetisch an sich selbst, der Welt und anderen leidend, kreisen sie narzisstisch um eine Leere, die am Ende wieder sie selbst sind.

Flotte Romane darüber sind en vogue und stehen unter dem Generalverdacht zynisch heiterer Oberflächlichkeit, zumal die Autoren fast immer selbst Teil ihres Sujets sind. Auch Sam Byers', Jahrgang 1979, Idiopathie wird vom Verlag als "entzückend fies und herrlich böse" beworben – und damit unter Wert verkauft. Denn was Byers´ Buch auszeichnet, sind weniger Witz und Bosheit, die es durchaus zu bieten hat, als vielmehr die ausgeprägte Beobachtungsgabe des Autors im Feld des Allgemeinmenschlichen, verbunden mit der Fähigkeit, deren Ergebnisse sprachlich präzise und elegant umzusetzen, (fast) ohne die Pointen zu forcieren.

Im Kern widmet sich Byers drei Exemplaren der geschilderten Spezies in einer englischen Kleinstadt. Katherine – zynisch, destruktiv, grausam gegen sich und andere - und Daniel - angepasst, feige, ein "Scheiß-Schutzpatron der Selbstgerechtigkeit" - sind anfangs ein Paar. Doch Beziehungsunfähigkeit ist hier eines der zentralen Themen: "Es war schrecklich. Die Liebe mit all dem gepolsterten, aufgeplusterten Schutz, den sie bot, hatte sich zwischen ihnen aufgebläht wie ein Airbag bei einem Autounfall." Irgendwie zwischen den beiden steht Nathan, ein tätowierter, bärtiger Bär, der die Community mit Drogen versorgt, bis er versucht, sich umzubringen. "Uns geht’s allen schlecht", sagt Katherine einmal zu Nathan, "der Trick ist, dabei nicht so verdammt klischeehaft rüberzukommen."

Byers versteht die Menschen, zumindest seine Altersgenossen. Bei den Eltern sieht das schon anders aus. Die bringen aber auch so irre Dinge wie die Gründung von Überlebende Mütter dot com und wirken wie Wesen von einem anderen sozialen Planeten. Byers' Idiopathiediagnose ist umfassend und mitunter philosophisch: "Ohne die Sicherheit des Unverzeihlichen waren sie gezwungen gewesen, mit der Mehrdeutigkeit des Unversöhnlichen fertigzuwerden." So mixt sich jeder seinen Cocktail aus Alkohol, Hypochondrie, Drogen und Sex, verbunden mit nicht besonders effizient betriebener Verdrängung: "Der Anblick eines einzigen Namens, der über ein Display lief, hatte ihm das Gefühl vermittelt, alles, was er tief vergraben hatte, würde schmählich wieder exhumiert."

Zwar arrangiert Byers die verschiedenen Handlungsstränge am Ende geschickt nach allen Regeln des creative writing zu einem Showdown, doch den angedeuteten Lösungsansätzen traut man nicht so recht. Zu stark ist der Eindruck der lustvoll illustrierten Diagnose der allgemeinen Idiopathie.

Besprochen von Hans von Trotha

Sam Byers: Idiopathie
Aus dem Englischen von Barbara Heller und Rudolf Hermstein
Tropen Verlag, Stuttgart 2013
378 Seiten, 21,95 Euro