"Ungleichheit macht unglücklich"

Moderation: Joachim Scholl · 24.09.2012
Reiche werden reicher, die Armen ärmer: Nur eine Steuerreform könne für eine gerechtere Verteilung sorgen, erklärt die Wirtschaftsjournalistin Nicola Liebert. Weiter hält sie höhere Spitzensätze bei der Einkommenssteuer für das richtige Mittel. Dass Spitzenverdiener so belastet seien, sei ein Mythos.
Joachim Scholl: Ein Prozent der deutschen Bevölkerung besitzt 30 Prozent des Geldvermögens. Ein Zehntel aller Deutschen verfügt sogar über mehr als 50 Prozent. Das ist völlig normal im Kapitalismus, sagen die einen; das ist ungerecht, sagen andere und fordern eine Umverteilung, gerade auch mit Blick auf die horrenden Staatsschulden und gigantischen Rettungsschirme, die derzeit mit unserem Geld, mit unseren Steuern finanziert werden.

Über eine solch gerechtere und sozial wirksame Verteilung von Reichtum hat sich die Steuerrechtlerin Nicola Liebert Gedanken gemacht. Sie ist bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Berlin tätig und jetzt bei uns zu Gast. Guten Tag, Frau Liebert!

Nicola Liebert: Guten Tag!

Scholl: Was bedeutet das denn für eine Gesellschaft, wenn wenige das meiste haben?

Liebert: Ja, wenn es nur Gerechtigkeitsfragen wären, dann könnte man ja sagen, na ja schön, das ist was für die Kirchenkanzel. Aber es hat viel stärkere Auswirkungen. Es hat wirtschaftliche Auswirkungen, es hat gesellschaftliche Auswirkungen aller Art. Also, wenn man nur mal bei den gesellschaftlichen Auswirkungen bleibt, gibt es da eine interessante Studie von zwei britischen Gesundheitsforschern, Wilkinson und Picket, die sagen, Ungleichheit macht ... also, die haben eine internationale Studie gemacht und das statistisch erhoben: Ungleichheit macht unglücklich und vor allem auch krank. Also, in jeder Hinsicht, ob das Lebenserwartung, Krankheit oder eben auch Zufriedenheit, Bildung und was weiß ich alles ist, ist in egalitäreren, gleicheren Gesellschaften besser bestellt als in besonders ungleichen Gesellschaften.

Aber Ungleichheit ist eben auch wirtschaftlich ein Problem, Ungleichheit ist eine der Voraussetzungen für Krisen. Das ist eine meiner Thesen.

Scholl: Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, jetzt so viele verschiedene Studien privater Organisationen bestätigen ja diese Binsenweisheit von den immer reicher werdenden Reichen schon länger. Langzeituntersuchungen belegen allerdings, dass diese Ungleichheit in Deutschland in den letzten 20 Jahren überdurchschnittlich gewachsen ist. Dass also die berühmte Schere, von der man immer spricht, schneller auseinander geht als in anderen Ländern. Wie ist das eigentlich zu erklären? Holen wir jetzt an Ungerechtigkeit nach, was in anderen Ländern, in den USA oder in England, schon gang und gäbe ist?

Liebert: Also, wir holen in Meilenschritten nach. Also, in der Tat ist die Auseinanderentwicklung in Deutschland schneller als in den meisten anderen Ländern. Dass es sich um ungefähr 20 Jahre handelt, ist kein Zufall, sondern das ist einfach politisch gewollt. Besonders drastisch war der Einschnitt aber mit Antritt der rot-grünen Regierung, so um die Jahrtausendwende wurden einfach in mehreren Bereichen die Weichen gestellt. Es wurde einerseits eine Arbeitsmarktpolitik beschlossen, die darauf hinauslief, dass ein Niedriglohnsektor ganz bewusst geschaffen wurde, da gab es die Theorie, irgendeine Arbeit, auch eine schlecht bezahlte Arbeit, ist besser als arbeitslos zu sein, ist auch menschenwürdiger als gar nicht in Arbeit zu sein einerseits.

Und andererseits hat man Steuerreformen durchgezogen, die einerseits Unternehmen, Unternehmensgewinne, aber vor allem eben auch hohe Einkommen begünstigt haben, und hat das mit Steuerwettbewerb begründet. Aber auch mit, man solle ja eine Leistungsgesellschaft fördern.

Und durch diese Umverteilung einerseits bei der Erwerbsarbeit, also die Einkommen der unteren Einkommensschichten sind deutlich zurückgegangen seither, also real, auch unter Abzug der Inflation geschrumpft, wohingegen die Spitzenverdiener super zugelegt haben, vor allem die Managerbezüge, das kennt man ja, und damit auch ihre Vermögen mehren konnten. Und andererseits haben dann eben diese Spitzenverdiener und aber auch die Spitzenreichen durch niedrigere Steuersätze und durch die Abschaffung der Vermögenssteuer ihre Vermögen auch gut und ordentlich nähren können.

Scholl: Lassen Sie uns noch mal auf dieses viele Geld in den wenigen Händen blicken: Sie haben in mehreren Veröffentlichungen, Frau Liebert, auch auf diesen Zusammenhang hingewiesen, also, dass die Finanzkrise und die Finanzmärkte, die ja durch ihre Macht längst ein politischer Faktor sind, gerade durch diese gigantischen Reichtumssummen befeuert werden. Wie denn?

Liebert: Wir haben die Beobachtung gemacht, dass dieses viele, viele Geld in den Händen von Reichen nicht für Konsum ausgegeben wird, auch nicht ausgegeben werden kann, so viele Villen und Yachten kann ja kein Mensch kaufen. Sondern dass dieses Geld angelegt wird an den Finanzmärkten und nicht mehr nachfragewirksam wird. Das hat dann die Folge ... Also, die Niedrigverdiener verdienen immer weniger, sie können auch weniger, also relativ gesehen weniger Geld ausgeben, die Nachfrage schrumpft, die Realwirtschaft gedeiht nicht so richtig.

Also sucht man irgendwo nach anderer lukrativer Geldanlage. Man investiert nicht mehr in Unternehmen, also, man baut keine Unternehmen und Arbeitsplätze mehr auf, sondern wenn man viel Geld hat, geht man an die Finanzmärkte und spekuliert ganz heftig. Immer mehr Leute haben immer mehr Geld zur Verfügung, das sie an diesen Finanzmärkten anlegen, und kein Wunder, dass diese Finanzmärkte auch immer mächtiger werden und langsam die Welt regieren.

Scholl: Reichtum und Arbeit, darüber sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Steuerrechtlerin Nicola Liebert. Nun haben wir längst die Diskussion um die Umverteilung, also die Reichensteuer, die Besteuerung der Finanzmärkte, Erhöhung der Erbschaftssteuer bis hin zur Zwangsabgabe. Bei jeder dieser geforderten und diskutierten Maßnahmen tritt sofort eine Phalanx von Experten auf, die ihre Statistiken zücken und sagen, das bringt nichts oder viel zu wenig.

Sie, Frau Liebert, haben in den vergangenen Jahren, ein Buch über "Steuergerechtigkeit in der Globalisierung" geschrieben, so der Titel. Führt denn Ihr Weg zu mehr Gerechtigkeit tatsächlich über Steuern?

Liebert: Also, ich glauben nicht, dass Steuern die einzige Maßnahme sind, die wir ergreifen müssen. Also, gerade beim Finanzsektor muss man natürlich auch eine Regulierung des Finanzmarktes ins Auge fassen. Bei der Gerechtigkeitsfrage in Deutschland haben wir ja auch zum Beispiel ein Bildungsproblem, dass die ärmeren, bildungsferneren Schichten gar keine Chancen haben aufzusteigen, darüber gibt es viele Untersuchungen. Also, ich will nicht sagen, am Steuerwesen soll die Welt genesen, aber ich glaube, dass Steuern einen sehr wichtigen Beitrag dazu leisten können.

Sie haben einerseits die Funktion, dass sie umverteilend wirken, also dass ... Das Wesen progressiver Steuersysteme ist ja, dass, wer leistungsfähiger ist, wirtschaftlich leistungsfähiger, auch mehr für den Erhalt des Gemeinwesens, von denen ja alle profitieren, auch die Unternehmer, auch die Reichen, beitragen, und dass das umverteilt wird in Form von Sozialleistungen oder zum Beispiel auch kostenlosen Schulen, Universitäten, Kindertagesstätten et cetera, an diejenigen, die weniger haben. Also, durch die Steuern findet eine direkte Umverteilung statt.

Scholl: Dann würde Angela Merkel, wenn sie hier mit uns säße, sagen, ja wunderbar, Frau Dr. Liebert, Sie haben völlig recht, zehn Prozent der Deutschen erwirtschaften 50 Prozent der deutschen Einkommenssteuer. Das sind genau die Leute, von denen wir reden!

Liebert: Aber das sind genau die Nebelwerfer, mit denen bei uns die Steuerpolitik gemacht wird. Und deswegen ist es so bedauerlich, dass so wenige Menschen sich mit diesem Thema beschäftigen. Also, weil jeder Horror vor seiner eigenen Steuererklärung hat, weigern sich die Leute, hinzugucken, dass Frau Dr. Merkel da einfach Unsinn redet.

Unsinn insofern als sie nämlich nur die Einkommenssteuer meint. Ja, bei der Einkommenssteuer, ich habe es schon gesagt, die Einkommen haben sich ja auch extrem erhöht an der Spitze, zahlen die Spitzenverdiener besonders viel Einkommenssteuer. Die allermeisten Steuereinnahmen des Staates, also fast die Hälfte, besteht aber aus Mehrwertsteuern, also Verbrauchssteuern, die jeder bezahlt, von denen sogar diejenigen, die wenig verdienen und die ihr gesamtes Geld eben gleich wieder für den Verbrauch ausgeben, einen viel höheren Anteil ihres Einkommens ausgeben als die Spitzenverdiener. Also, dass die Spitzenverdiener so belastet seien, ist ein Mythos.

Scholl: Ein weiteres kontroverses Stichwort in der Debatte ist die Vermögensabgabe. Man könnte ja mal zum Beispiel schlicht diese Rechnung aufmachen: Also, zehn Prozent der reichsten Deutschen besitzen schätzungsweise circa drei Billionen Euro; wenn der Staat davon jetzt, sagen wir mal, zehn Prozent abschöpfen würde, sagen, ihr werdet davon nicht ärmer, ihr seid genau so reich noch, wir bekämen auf einen Schlag 300 Milliarden Euro in den Haushalt - ist das zu naiv, weil natürlich sofort wieder Leute sagen, ja, die Reichen werden sich das nicht gefallen lassen, sondern sie werden gehen?

Liebert: Mit dem Argument, das Kapital sei ein scheues Reh und die Spitzenverdiener müsse man mit Samthandschuhen anfassen, die Manager, wenn sie nicht viel verdienen und besteuert werden, würden sofort in die USA abwandern, hat man ja schon viele Steuerreformen begründet, das hat sich in der Vergangenheit schon nicht bewahrheitet.

Was sich bewahrheitet hat, ist in der Tat, dass viele private Geldanleger in die Schweiz und andere Steueroasen gegangen sind. Aber es hat sich ja auch gezeigt, dass der Kampf gegen die Steueroasen nicht aussichtslos ist, die Schweiz steht enorm unter Druck, die steht durch die USA noch viel stärker unter Druck, also durch die US-Regierung noch viel stärker unter Druck als durch die Bundesregierung. Ja, ich glaube, man muss die Steueroasenbekämpfung zu einem Teil dieser Steuerreformen machen.

Scholl: Wäre denn eine Vermögensabgabe für Sie das politische Mittel?

Liebert: Ein politisches Mittel. Ich halte eine Vermögensabgabe, das wäre ja eine einmalige Abgabe, die dann über mehrere Jahre oder Jahrzehnte gestreckt wird, für ein probates Mittel zur Krisenbekämpfung, also zur Bekämpfung der Auswirkungen der Krise, damit sich der Staat nicht einfach immer stärker verschulden muss, sondern damit er sich mal von den vielen vorhandenen Geldern bedienen kann, anstatt immer neue Schulden aufzunehmen, was wir ja auch nicht wollen. Ich glaube, das ist ein Mittel. Ich glaube aber eben auch, dass eine langfristige Steuerreform, die für eine gerechtere Verteilung sorgt, ebenso wichtig ist.

Scholl: Das heißt, auch eine Vermögenssteuer auf existierende Vermögen und auf Kapitalerträge, nicht nur diese berühmten 25 Prozent und mehr nicht?

Liebert: Kapitalerträge, Vermögenssteuer, höhere Spitzensätze bei der Einkommenssteuer, um es kurz zu fassen.

Scholl: Reichtum gerecht umverteilen, aber wie? Das war die Steuerrechtlerin Nicola Liebert. Sie hat das Buch "Steuergerechtigkeit in der Globalisierung" geschrieben, es ist im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen. Herzlichen Dank, Frau Liebert, für Ihren Besuch!

Liebert: Danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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