Ungebrochenes Interesse an deutsch-französischer Freundschaft

04.09.2012
Jedes Jahr nehmen 200.000 junge Menschen an einem Austausch des Deutsch-Französischen Jugendwerks teil, berichtet dessen Generalsekretärin Beatrice Angrand. Trotz politischer Differenzen in der Eurokrise seien interkulturelle Beziehungen "kein Auslaufmodell".
Jan-Christoph Kitzler: Das ist ein Jahr, in dem es ziemlich viel zu feiern gibt, auch wenn in der Krise vielleicht nicht jedem danach zumute ist. In diesem Jahr feiern wir den 50. Geburtstag der deutsch-französischen Freundschaft. Heute vor 50 Jahren, am 4. September 1962, kam Frankreichs Staatschef de Gaulle zum ersten Mal zum Staatsbesuch nach Deutschland. Konrad Adenauer, der Kanzler, war wenige Wochen zuvor zum ersten offiziellen Besuch in Frankreich. Im Januar 1963 wurde die Freundschaft dann amtlich mit der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages.

Die beiden alten Staatsmänner waren sich aber im Klaren darüber, dass Verträge nicht ausreichen, dass so eine Freundschaft lebendig sein muss, und auch deshalb sprach Charles de Gaulle bei seinem Deutschlandbesuch vor 50 Jahren vor allem die Jugend an. Hier ein Ausschnitt aus seiner Rede vor fast 20.000 Jugendlichen in Ludwigsburg:

Charles de Gaulle: Während unsere beiden Staaten die wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit fördern werden, sollte es Ihnen und der französischen Jugend obliegen, engere Bande zu knüpfen, sich besser kennenzulernen.

Kitzler: Frankreichs Staatspräsident de Gaulle in perfektem Deutsch. Und dieses Kennenlernen geht weiter, zum Beispiel im Deutsch-Französischen Jugendwerk, einem Kind der deutsch-französischen Freundschaft, das im Sommer 2013 50 Jahre alt wird. Ich bin jetzt verbunden mit Beatrice Angrand, der Generalsekretärin. Schönen guten Morgen nach Paris!

Beatrice Angrand: Guten Morgen, danke für die Einladung!

Kitzler: Auch das Deutsch-Französische Jugendwerk feiert ja demnächst sein 50-jähriges Bestehen. Inzwischen ist die deutsch-französische Freundschaft eine historische Tatsache, ein Ereignis für die Geschichtsbücher. Aber wie lebendig ist sie denn, die deutsch-französische Freundschaft?

Angrand: Also in der Jugend ist die deutsch-französische Freundschaft noch sehr lebendig, wenn man weiß, dass im Jahr 200.000 junge Menschen an einem deutsch-französischen Jugendaustausch - durch das DFJW gefördert -, teilnehmen. Also es ist eine immense Zahl, die eigentlich eine lebendige Freundschaft verkörpert. Aber manchmal hat man die Tendenz zu glauben, die deutsch-französische Freundschaft ist bei der Jugend ein Auslaufmodell. Was wir bei uns im DFJW sehen, ist gerade das Gegenteil, dass das Interesse richtig groß ist.

Die Bedingung, dass das Interesse groß bleibt, ist, dass die Partner, das Jugendwerk und viele andere Partner, mit denen das Jugendwerk zusammenarbeitet, die richtigen Formate, das richtige Angebot anbietet. Also Formate, Programme, die natürlich die Jugend ansprechen oder die die Jugend in ihrer beruflichen Laufbahn unterstützen, das ist natürlich auch für die Jugend gerade zurzeit in Europa was Wichtiges, dass eine Institution wie unsere Programme anbietet, die ihren Lebenslauf sozusagen stärker machen.

Kitzler: Nach dem Krieg war die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich ja etwas Besonderes, die Überwindung der alten Erbfeindschaft. Heute, nach dem Fall der Mauer, haben sich die Achsen ja ein bisschen verschoben. Europa – auch Deutschland – hat sich in Richtung Osten geöffnet. Wird da die deutsch-französische Freundschaft nicht ein bisschen vernachlässigt?

Angrand: Also erst mal stehen wir vor einem Paradox, das heißt, die sogenannte Banalität der deutsch-französischen Beziehungen. Also wir haben gerade de Gaulle gehört. Erst mal, ich finde, hat er auch auf deutsch gesprochen, was sehr, sehr mutig war. Und mit dieser Ansprache im Deutschen hat er auch seine Anerkennung der deutschen Jugend auch ausgesprochen. Und das wollte ich auch unterzeichnen, und – gut, dieses Paradox der Banalität, wer hätte sich das vor Jahren vorgestellt, dass die deutsch-französische Beziehung Alltag geworden ist. Ich glaube, das dürfen wir auch nie vergessen, weil bei jeder Generation muss man neu anfangen. Also das ist nicht … die Verantwortung für die deutsch-französische Freundschaft ist nie vererbt, man muss dann bei jeder Generation neu anfangen, und man muss sich natürlich die richtigen Mittel einfallen lassen.

Das stimmt, dass nach der Wiedervereinigung – na, vereinfacht gesagt, haben sich die Achsen ein bisschen verschoben, aber man sieht in der Aktualität, dass eigentlich die Franzosen und die Deutschen in der großen Politik sich täglich oder mehrmals täglich absprechen, dass sie auch bereit sind oder fähig sind, Kompromisse zu machen. Das fällt keinem einfach, aber man sieht, dass sie das schaffen. Und die Rolle des DFJW ist natürlich, der Jugend Werkzeuge zu geben, damit sie auch in der Zukunft diese Verantwortung auch tragen können, und dass sie dann natürlich einige Werkzeuge haben, um Kompromisse auch weiter machen zu können.

Ich finde, was in dieser Freundschaft sehr außerordentlich ist, ist nicht nur, dass sie auf die große Politik läuft, aber runter dekliniert, runter gebrochen auf die Zivilgesellschaft. Man vergisst auch das oft, dass 2.200 Städtepartnerschaften existieren, dass mehrere 1000 Studenten in der deutsch-französischen Hochschule alle ein Studium absolvieren. Ich habe auch die Zahlen im Jugendwerk ersehen. Ich glaube, wir dürfen auch nicht zu verwöhnt sein, das ist schon ein tolles Ergebnis.

Kitzler: Es gibt ja diesen Satz …

Angrand: Und natürlich müssen wir weiter arbeiten.

Kitzler: Es gibt ja diesen Satz, erst in der Not, erst in der Krise weiß man, welche Freunde man hat. Gerade sind ja die offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ziemlich sehr von der Frage bestimmt, ob man es schafft, gemeinsam die Krise in Europa in den Griff zu bekommen. Deutschland und Frankreich ziehen da ja nicht immer an einem Strang, Merkel und Hollande, so hat man den Eindruck, müssen sich erst noch ein bisschen finden. Schlägt das durch auf Ihre Arbeit?

Angrand: Also wir sehen gerade das Gegenteil. Natürlich spielt die Nähe unseres Geburtstags und des Geburtstags des Élysée-Vertrages auch eine Rolle, als ob viele aus dem Terrain sich erinnern: Aha, es gibt die deutsch-französische Freundschaft! Wir wollen auch was machen! Das ist natürlich eine große Chance, die wir nutzen wollen. Dafür bräuchten wir auch mehr Mittel, aber was wir zurzeit eher sehen, ist eine steigende Nachfrage aus dem Terrain, aus den Schulen, aus der Hochschule, aus den beruflichen Kollegs und so weiter, als ob, was man in der Politik sieht, als ob die Zivilgesellschaft sich sagen würde: Aha, das schwankt ein bisschen, da müssen wir auch unsere Rolle wahrnehmen und die Beziehung sicher machen auf der Unterebene – unter der Politik, will ich sagen.

Kitzler: Es gibt ja große Unterschiede zwischen Jugendlichen in Frankreich und Jugendlichen in Deutschland – ich meine das Problem der Jugendarbeitslosigkeit. In Frankreich ist sie sehr hoch, mit zurzeit über 23 Prozent, Deutschland hat mit etwa acht Prozent Jugendarbeitslosigkeit die niedrigste Quote in Europa. Wie beeinflusst das den Austausch?

Angrand: Es ist klar in den Zahlen, dass – und das hat man auch in einem Barometer, in einer Umfrage gerade gesehen, die wir mit dem Magazin, mit der Zeitschrift "ParisBerlin" veröffentlicht haben oder veröffentlichen werden – dass Deutschland für die jungen Franzosen erst mal ein wirtschaftliches Modell ist und über eine Anziehungskraft verfügt, was berufliche Perspektiven angeht. Und ich glaube, das ist mal eine Piste, die wir im DFJW verfolgen können, gerade weil wir auch wissen, dass Deutschland nach Fachkräften auch sucht oder ausgebildeten Mitarbeitern. Und es ist auch eine interessante Piste, die offensichtlich – da sind wir [unverständlich] – von der offensichtlich die jungen Menschen auch wissen.

Andersrum, also wie schaffen wir das Interesse an Frankreich bei den deutschen jungen Menschen? Ich glaube, Frankreich hat auch vieles zu bieten, also Kultur, Tourismus, auch berufliche Perspektive in einigen Branchen, wie die Luxusbranche oder die "Jeux vidéos", also Animation, wo vielleicht Deutschland ein bisschen schwächer ist. Also in der Ergänzung der beiden Arbeitsmärkte sehe ich da Chancen auch für die jungen Menschen.

Kitzler: Beatrice Angrand, die Generalsekretärin des Deutsch-Französischen Jugendwerkes über die Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft. Haben Sie vielen Dank!

Angrand: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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