Ungarn

Die permanente Revolution des Viktor Orbán

Viktor Obrán wurde im Mai 2014 als Ministerpräsident von Ungarn wiedergewählt.
Viktor Orbán verstehe wie kaum einer die Gefühlslage vieler seiner Landsleute, meint die Journalistin Krisztina Koenen © picture-alliance/ dpa / Szilard Koszticsak
Von Krisztina Koenen · 25.09.2014
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán verhalte sich im Windschatten der Ukraine-Krise mehr und mehr putinesk, meint Krisztina Koenen. Die aus Ungarn stammende Journalistin hat eine Erklärung für die Zustände in ihrem Geburtsland.
Am 12. Oktober finden in Ungarn Kommunalwahlen statt. Bei den Parlamentswahlen im April dieses Jahres gewann die Fidesz-Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán wie schon 2010 mit einer Zweidrittel-Mehrheit. Für die Kommunalwahlen wird ein ähnliches Ergebnis vorausgesagt: 56 Prozent derer, die an der Wahl teilnehmen wollen, werden Fidesz, den Verband der Jungen Demokraten wählen. Aber nur 43 Prozent haben überhaupt vor, an die Urnen zu gehen.
Wie kommen solche Wahlergebnisse zustande? Die Mehrheit der Ungarn ist in den vergangenen viereinhalb Jahren nicht wohlhabender geworden - bis auf die kleine Schicht Orbán- und Fidesz-treuer Geschäftsleute. Merkbare soziale Wohltaten gab es nicht. Also müssen Fidesz und der mit der Partei weitestgehend identische Ministerpräsident dem Volke etwas bieten, das zumindest ein Teil von ihm mehr zu brauchen scheint als materielle Geschenke.
Alte nationale Legenden leben fort
In der Tat: Viktor Orbán versteht wie kaum einer die Gefühlslage vieler seiner Landsleute. Die alten nationalen Legenden leben fort, von einem kleinen Volk, das sich in seiner sprachlichen Einmaligkeit von lauter Feinden umzingelt sieht. Das seit Jahrhunderten im Befreiungskampf gegen wechselnde Fremdherrschaften steht. Das sich selbst immer für das Opfer hält, während es sich anderen in der Region überlegen wähnt. Und das deshalb die Schuld für das Scheitern nie bei sich selber sucht und die Rettung von einem starken Staat erhofft. In diesem Weltbild bestärkt Viktor Orbán sein Wahlvolk und vermittelt ihm so das wohlige Gefühl, aus dessen eigen Fleisch und Blut zu sein.
Sein Programm ist antikapitalistischer Befreiungskampf: die ausländischen Energie- und Telekom-Versorger, Banken und allen voran die Europäische Union sind die neuen, fremden Besatzer. Deswegen lässt er Unternehmen in ausländischer Hand renationalisieren - sprich: verstaatlichen -, mit dem Versprechen, dass dann der Gaspreis und die Zinsen für die privat schwer Verschuldeten ewig niedrig bleiben würden. Er weckt und nährt die Erwartung, dass der Staat - und er als guter Landesvater - allen Unbill der Welt von den Ungarn fernzuhalten vermögen.
Viktor Orbán kennt nur den Kampfmodus. Revolution gehört zu seinem Wesen. Ob links oder rechts oder gar beides zusammen, tut nichts zur Sache. Den Kampf gegen die Nachfolgepartei der Kommunisten hat er schon gewonnen. Etliche Banken und ein deutscher Energieversorger haben bereits das Handtuch geworfen. Sein neuester Krieg richtet sich gegen jene Vereine der Zivilgesellschaft, die ausländische finanzielle Unterstützung erhalten.
Zustände schreien nach Opposition
Seine Vorbilder sind die Autokratien Türkei, Russland und Singapur. Er hat die "illiberale Demokratie" als sein gesellschaftliches Ziel benannt. Dabei ist er gut vorangekommen. Die Institutionen des Rechts sind weitgehend ausgehöhlt, die Medienfreiheit eingeschränkt, die Wahlen manipuliert. Gott, Vaterland und Familie sind laut Verfassung die höchsten Werte. Die Zustände schreien nach Opposition. Die Linken aber versinken in der Bedeutungslosigkeit. Sie glauben immer noch, mit nicht finanzierbaren sozialen Wohltaten die Wähler ködern zu können. Ansonsten vertreten sie das gleiche antikapitalistische, staatswirtschaftliche Programm wie Fidesz, nur, dass sie dabei die EU zur Hilfe rufen.
Und so entscheiden sich die Wähler lieber für das Original, das keine als fremd gebrandmarkte Macht für sein Programm braucht. Oder sie bleiben einfach zu Hause.
Krisztina Koenen, gebürtige Ungarin, war lange Jahre Redakteurin beim "FAZ"-Magazin und bei der "Wirtschaftswoche". Derzeit ist sie im Corporate Publishing tätig.
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Krisztina Koenen© privat
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