Uneingelöste Verheißungen

27.03.2007
Mohsin Hamid schildert das Leben eines Mannes, der aus Pakistan nach New York kommt, den amerikanischen Lebensstil und das wirtschaftliche Denken aufsaugt, und schließlich enttäuscht als Fundamentalist in die Heimat zurückkehrt. Eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse vermeidet der Autor und erschafft dadurch eine unerwartet hoffnungsvolle Botschaft: Das Misstrauen treibt auf beiden Seiten der Welt sein Unwesen, und hätten wir nur weniger Furcht vor dem Anderen, so wäre das ein Anfang.
So ganz wohl ist dem namenlosen Amerikaner nicht dabei, als ihn der redselige Pakistani in einem Café anspricht – inmitten des staubigen und quirligen Anarkali-Bazars, im Herzen von Alt-Lahore. Misstrauisch beäugt der hellhäutige Gast sein bärtiges Gegenüber und weiß nicht, ob er ihm trauen kann. Denn das hier ist Pakistan, und Amerika – wir sind in der Gegenwart – befindet sich im Krieg mit dem islamistischen Terror.

Doch aus dem kurzen Intermezzo werden Stunden, am Ende eines langen Tages wissen wir zwar nicht viel mehr über den Amerikaner, aber fast alles über die Lebensgeschichte das knapp 30-jährigen Changez. Und die ist das Protokoll einer Entfremdung: der Entfremdung eines jungen Muslims vom verheißungsvollen Westen, der ihn zu einem Feind macht, der er nicht sein will.

Viereinhalb Jahre lebt Changez den amerikanischen Traum: Das Studium in Princeton schließt er Ende 2000 erfolgreich ab, kurze Zeit später beginnt er bei einer der führenden Unternehmensberatungen in New York zu arbeiten. Fortan bestimmen allein Gewinn und Verlust sein Leben. Es sind die 'fundamentals', die Glaubenssätze dieser neuen Welt.

Auch Changez stellt sie lange nicht in Frage. Doch er ist hin und her gerissen: Da ist sein Wunsch, dazu zu gehören. Und seine Furcht, sich selbst aufzugeben – in einem Land, das ihm zwar Vieles ermöglicht, ihm aber auch Vieles nimmt, vor allem den Stolz auf seine Herkunft. Denn Pakistan, das erkennt Changez schmerzlich, ist mittlerweile ebenso rückständig, wie Amerika fortschrittlich ist – obwohl Amerika einst ein unbesiedelter Flecken Welt war, als die Muslime bereits Städte mit Bewässerung errichteten.

Changez empfindet daher immer öfter Scham und Wut. Als sich dann auch noch der 11. September ereignet und Amerika kurze Zeit später in Afghanistan einmarschiert, wendet sich Changez endgültig von Amerika ab. Er kehrt nach Pakistan zurück – als Fundamentalist, der er gar nicht sein will. Denn weder folgt er fortan der religiösen Gewalt, noch will er weiterhin dem rein leistungsorientierten amerikanischen Pragmatismus gehorchen. Doch zum ersten Mal in seinem Leben hat er das Gefühl, als Muslim dem falschen Herren gedient zu haben.

Mohsin Hamid – der 1971 in Pakistan geboren wurde, aufwuchs in Lahore, in Amerika studierte und seit vielen Jahren in London lebt – hat jedoch, selbst ein Wanderer zwischen den Welten, mitnichten einen Roman über die Radikalisierung eines vom Westen enttäuschten Muslims vorgelegt. Und das ist gut so! Er hält vielmehr mithilfe seines pakistanischen alter Ego Amerika einen kritischen Spiegel vor und zeigt, wie sich die imperiale Arroganz, das posenhafte Weltpolizeigehabe des Landes selbst auf jene liberal gesinnten Muslime auszuwirken vermögen, die dem Westen gegenüber wahrhaft aufgeschlossen sind.

Dennoch macht Hamid seinen Protagonisten nicht zum Sprachrohr der gesamten muslimischen Welt. Changez ist, wenn überhaupt, ein exemplarisches Einzelbeispiel einer Integration, die wider besseren Willen scheitert. Dafür steht übrigens auch Changez' so symbolhafte wie unglückliche (aber nicht immer überzeugend dargestellte) Liebe zu der rätselhaften Erica, die alles verkörpert, was Changez an Amerika gleichermaßen liebt.

Deutlich aber wird vor allem, dass Misstrauen und Furcht auf beiden Seiten der Welt ihr Unwesen treiben – und dass die Frage, ob Feind oder Freund, im Auge des Betrachters liegt. Bis zum Schluss lässt Hamid es daher in seinem als Monolog erzählten und zugleich wie ein Kammerspiel angelegten Roman bewusst offen, ob und wer hier der Gute, wer der Böse ist. Hätten wir weniger Furcht vor dem Anderen, wäre das schon wesentlich mehr, lautet die wider Erwarten hoffnungsvolle Botschaft dieses Fundamentalisten, der keiner sein wollte.


Rezensensiert von Claudia Kramatschek

Mohsin Hamid: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
Hoffmann & Campe, Hamburg 2007
190 Seiten. 17,95 Euro

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