"Unbedingt durchhalten, das ist ja ein unglaubliches Projekt"

Christoph Lieben-Seutter im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 30.03.2012
Ihm sei klar gewesen, dass die ursprünglichen Zeitpläne zu optimistisch waren, sagt Christoph Lieben-Seutter, der Generalintendant der Hamburger Elbphilharmonie. Doch trotz aller Probleme mit dem Bau werde der Konzertsaal "auf jeden Fall toll" - wenn auch vielleicht erst 2015.
Matthias Hanselmann: Ein gigantisches Konzerthaus, das es bisher nur als Baustelle gibt, hat seit 2007 einen Generalintendanten. Das Haus: Die Elbphilharmonie. Mit einer endlos scheinenden Geschichte um Planungen, Fehlplanungen, Kosten und Kostenexplosionen. Die ersten Planungen gingen von 77 Millionen Euro aus, jetzt hat man, unfassbar, die Schallmauer von einer halben Milliarde Euro überschritten. Eine Eröffnung, die für 2010 geplant war, ist auf 2014 oder 2015 in Aussicht gestellt. Wir sprechen mit dem Generalintendanten der Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, guten Tag!

Christoph Lieben-Seutter: Guten Tag!

Hanselmann: Sie sind seit fünf Jahren verantwortlich für das künstlerische Programm einer, wie der Cicero schreibt, einer Luftnummer, und des "schönsten Steuergrabes der Welt". Sie wurden damals geholt, um das tollste Konzerthaus der Welt zu leiten. Was fanden Sie eigentlich vor, als Sie nach Hamburg kamen?

Lieben-Seutter: Wie ich angekommen bin, habe ich große Begeisterung vorgefunden, einen noch nicht angefangenen Bau, aber das war ja noch alles im Plan, und eine zweite schöne Halle, nämlich die Laeiszhalle, die auch organisatorisch zur Elbphilharmonie gehört.

Hanselmann: Aber die Elbphilharmonie war damals noch eine Grube.

Lieben-Seutter: Grube ist das falsche Wort, sie war der alte Kaispeicher, der ja die Urstruktur ist, aus der das neue Konzerthaus gebaut wird.

Hanselmann: Waren Sie damals guter Dinge, dass es mit dem Bau schnell vorangehen würde, oder waren Sie eher skeptisch?

Lieben-Seutter: Mir war klar, dass die ursprünglichen Zeitpläne zu optimistisch waren, aber das ist ja fast bei jedem derartigen Projekt so, dass die ersten Planungen nicht halten. Ich war durchaus auf Schwierigkeiten und Verzögerungen eingestellt, wenn auch sicherlich nicht in dem Ausmaß, das eingetreten ist.

Hanselmann: Wir wollen uns hier auch nicht über die planerischen, politischen und persönlichen Pleiten und Pannen unterhalten, die zu diesem unglaublichen Kostenanstieg geführt haben. Dafür können Sie ja auch nichts. Aber doch noch einmal: Wie verfolgen Sie denn diesen Streit um das Haus? Was denken Sie bei all diesem Drunter und Drüber?

Lieben-Seutter: Tja. Das Lustige ist, die Elbphilharmonie bleibt ja ein einmaliges und spektakuläres Projekt, und sie ist ja im Hafen auch schon fast in vollem Umfang und in ihrer zukünftigen Pracht und Blüte zu sehen. Es fehlt nur noch im Dach ein Teil. Und daher bekommen die Leute auch mit, dass es, auch wenn es unglaublich viel Geld kostet, wahrscheinlich am Schluss sein Geld wert sein wird. Das heißt, man unterscheidet zwischen der Entstehungsgeschichte, über die man mit Recht entrüstet ist, keine Frage, wir ja ganz genauso, und sieht aber immer noch die Chance, die es haben wird, wenn es dann eines Tages fertig ist.

Hanselmann: Nun haben Sie ja, Herr Lieben-Seutter, aus der Not eine Tugend gemacht und sagen, ich hab zwar noch kein Haus, aber es gibt ja andere Orte wie die eben erwähnte Laeiszhalle. Dort veranstalten Sie Konzerte mit großen Orchestern, großen Namen – aber nicht nur dort. Sie bespielen alte Kinos oder auch schon mal ein Bordell auf der Reeperbahn. Über 100 Konzerte waren es allein im vergangenen Jahr. Zunächst einmal: Was bringt man denn in einem Bordell zu Gehör?

Lieben-Seutter: Das war unter anderem – es war genau genommen kein Bordell, sondern ein Erotikclub, und das war eine der Spielstätten unseres ersten Elbphilharmonie-Festivals, das dem Akkordeon gewidmet war. Und da haben wir uns lauter Spielstätten rund um die Reeperbahn ausgesucht. Und damit auch gleich die Herzen der Hamburger erobert.

Hanselmann: Im Sinne von Hans Albers und dem Schifferklavier.

Lieben-Seutter: So ein bisschen, ja.

Hanselmann: Und in einem alten Kino? Was veranstaltet man da?

Lieben-Seutter: Konzerte. Vom Jazzkonzert bis zur Klassik. Das Schöne ist ja, dass Musik oft gerade in Orten, wo man sie nicht erwartet, eine ganz besondere Wirkung entfalten kann.

Hanselmann: Und vielleicht auch an Orten, die nicht so eine perfekte Akustik haben, wie sie die Elbphilharmonie haben soll.

Lieben-Seutter: Das stimmt zwar, aber das kann man ja mal in Kauf nehmen.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton – wir sprechen mit Christoph Lieben-Seutter, dem Generalintendanten der Elbphilharmonie in Hamburg über seinen Umgang mit der Tatsache, dass er Intendant einer Großbaustelle ist. Wie reagieren eigentlich berühmte Orchesterleiter, Dirigenten und so weiter, wenn Sie sagen: Guten Tag, ich bin der Intendant der Elbphilharmonie. Die gibt es zwar noch nicht, aber ich möchte Sie dennoch nach Hamburg einladen.

Lieben-Seutter: Das war sogar andersherum am Anfang. Ich bin in Hamburg 2007 angekommen und zuerst mal hat das Telefon geklingelt und die genannten berühmten Künstler und Orchester haben angerufen und gesagt: Du, bei diesem aufregenden Projekt wollen wir unbedingt dabei sein. Kannst du uns nicht in dein Eröffnungsevent einbauen? Also die Nachfrage war riesig aus der ganzen Welt. Wir haben dann auch die ersten Konzerte geplant, für die ursprünglich vorgesehene Eröffnung. Die wurde dann einmal verschoben um zwei Jahre, da war das Verständnis dafür, dass es Verschiebungen gibt, groß, die gibt es ja auch andererseits. Nachdem wir diesen Termin allerdings auch nicht gehalten haben, hüte ich mich jetzt einmal vorerst, weitere Einladungen auszusprechen, beziehungsweise haben die Konzerte, die wir ja schon geplant hatten, zum Teil auch schon stattgefunden, eben dann an anderen Orten.

Hanselmann: Also es findet sozusagen seit fünf Jahren ein einziges Eröffnungsevent statt.

Lieben-Seutter: Wenn man so will. Seit drei Jahren, genau genommen.

Hanselmann: Sie verstehen sich, ich glaube, da übertreibe ich nicht, als eine Art Missionar für klassische Musik, besonders junge Menschen wollen Sie begeistern. Wie machen Sie das genauer?

Lieben-Seutter: Da gibt es ganz viele verschiedene Möglichkeiten. Die Klassik leidet ja unter verschiedenen Vorurteilen, zum Teil auch durchaus selbst verursacht. Man kann sowohl das Konzertritual, die Art und Weise, wie Klassik angeboten wird, veranstaltet wird, auf mannigfaltige Art und Weise brechen. Indem man sie in einen anderen Kontext stellt, auch andere Musikarten mit einbringt, indem die Kommunikation modern ist, indem das Internet funktioniert, indem es Facebook gibt und speziell, indem man viele verschiedene Formate macht, die sich an Leute richten, die von sich aus nicht unbedingt den Weg in die Laeiszhalle finden oder auch sonst mit klassischer Musik in Berührung kommen. Und das machen wir, indem wir Konzerte in allen möglichen Hamburger Stadtteilen anbieten. Je kulturferner, desto lieber.

Hanselmann: Sie haben bei Facebook, ich habe nachgeguckt, schon über 4000 Menschen, die die Elbphilharmonie toll finden, alleine bei Facebook. Das ist ja toll, eigentlich.

Lieben-Seutter: Das ist auch für ein großes Konzerthaus schon ein sehr respektabler Wert. Da haben Sie recht.

Hanselmann: Wie reagieren denn die hanseatischen jungen Leute auf ihre Aktivitäten? Kühl, wie man sich es klischeehaft vorstellt?

Lieben-Seutter: Ja, dieses Klischee kann ich sowieso nicht nachvollziehen, im Privatleben genauso wenig wie im Konzert. Das hanseatische Publikum ist, wenn es denn mal den Weg ins Konzert gefunden hat, absolut begeisterungsfähig und ist mir lieb und wert, weil es wirklich aufmerksam, konzentriert, interessiert ist. Und man kann sich eigentlich kein besseres Publikum wünschen.

Hanselmann: Noch einmal zu den jungen Leuten. Sie haben ein Education-Projekt ins Leben gerufen. Was passiert da?

Lieben-Seutter: Das ist ein ganzes Portfolio von Veranstaltungen und von Projektplattformen. Da haben wir eine eigene Marke kreiert, "Elbphilharmonie Kompass", und das kann alles sein von Einführungsgesprächen mit Künstlern, die zum Teil auch in die Schulen kommen, um dort mit Schulklassen über ihre Musik zu reden. Nachher kommen dann die Schüler ins Konzert. Das können Workshops sein, zum Beispiel Percussion-Workshops für Auszubildende, das sind Reihen von Kinder- und Familienkonzerten, die eben in den besagten Stadtteilen stattfinden. Das sind zum Teil sogar Baby-Konzerte, also wir fangen so früh an wie es geht, quasi mit dem Neugeborenen, und haben quasi für jede Altersgruppe ein Angebot.

Hanselmann: Sie sind vor Kurzem heftig angegriffen worden, weil Sie Konzertkarten für den Preis eines Kinobesuchs anbieten – warum dieses Preisdumping?

Lieben-Seutter: Das ist keineswegs ein Preisdumping. Es geht darum, dass Musik unter anderem, oder sagen wir, die klassische Musik unter anderem unter dem Vorurteil leidet, sie sei zu teuer. Und es geht jetzt nicht darum, dass jede Karte im Saal zum Preis eines Kinobesuches erhältlich sein soll, aber dass man die Chance hat zu sagen, heute Abend gehe ich statt ins Kino auch mal ins Konzert. Und daher sollte man zumindest in den Saal kommen um zehn Euro, und wenn man sehr früh bucht bei uns oder wenn man Student oder Schüler ist, dank Unterstützung von Hamburger Sponsoren und Stiftungen ist es eben möglich, auch gute Plätze zu sehr günstigen Preisen zu bekommen. Aber die normale, teure Karte in der besten Kategorie eines großen Orchesterkonzertes ist bei uns ähnlich teuer wie bei anderen Anbietern.

Hanselmann: Herr Lieben-Seutter, sollte die Elbphilharmonie einmal tatsächlich eröffnet sein – werden Sie dann dieses Programm fortsetzen oder sich auf die Hochkultur in Hamburg konzentrieren und auf das gigantische Haus, das Sie dann haben?

Lieben-Seutter: Was wir jetzt machen, machen wir aus Überzeugung: Dass die Elbphilharmonie, wenn sie auch ein architektonisches Wahrzeichen sein wird, unbedingt zugänglich sein muss für jedermann. Und diese Bandbreite betrifft sowohl das Preisniveau als auch die musikalische Bandbreite. Und das wird es auch in der Elbphilharmonie geben. Und auch, wenn die Elbphilharmonie fertig ist, werden wir es uns nicht nehmen lassen, einige Konzertreihen auch an anderen Orten in Hamburg darzubieten.

Hanselmann: Erübrigt sich damit die Frage, ob Sie 2015 Ihren Vertrag verlängern würden, wenn das Haus noch nicht fertig wäre?

Lieben-Seutter: Wenn man mir zu diesem Zeitpunkt einen zuverlässigen Öffnungstermin nennen kann wenigstens, dann bleibe ich sicher gerne.

Hanselmann: Im Vorzimmer Ihres Büros, da steht ein Gipsbüste Ludwig von Beethovens, die eine baustellentaugliche Schietwetterjacke trägt und einen Bauhelm mit der Aufschrift Elbphilharmonie. Ist Beethoven der Kleiderständer für Ihre Alltagskleidung? Gehen Sie täglich runter an den Hafen und schauen, wie weit die Bauarbeiter sind?

Lieben-Seutter: Sag ich zwar ungern Kleiderständer, aber tatsächlich ist es so, ich gehe nicht jeden Tag auf die Baustelle, wo sich leider zurzeit auch wenig tut, aber ich bin doch alle zwei, drei Wochen dort, fast ausschließlich, um Künstler, Sponsoren, Journalisten und andere Interessierte über die Baustelle zu führen. Was auch immer ein besonders dankenswerte Aufgabe ist, weil von der Baustelle kam noch jeder total begeistert zurück. Und selbst Künstler, die ich aus meinen früheren Jobs kenne in Wien, die sich aus der Ferne fragen, ja was macht denn der Arme in Hamburg mit der Baustelle? In dem Moment, wo sie einmal da gewesen sind, sagen sie, unbedingt durchhalten, das ist ja ein unglaubliches Projekt, und das wird sich auszahlen, und das ist jetzt gar nicht so wirklich die Frage, ob das jetzt 2013, '14 oder '15 wird, das wird auf jeden Fall toll.

Hanselmann: Der Generalintendant einer wunderbaren Baustelle, der Elbphilharmonie in Hamburg, Christoph Lieben-Seutter. Vielen Dank, Herr Lieben-Seutter, und vor allen Dingen, viel Erfolg weiterhin bei Ihren tollen Projekten!

Lieben-Seutter: Ja, vielen Dank. Danke Ihnen!
Christoph Lieben-Seutter
Generalintendant Christoph Lieben-Seutter© dpa / picture alliance / Bodo Marks
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