UN-Sportberater: Afrika hat die WM-Ausrichtung gebraucht

Willi Lemke im Gespräch mit Katrin Heise · 05.07.2010
Der UN-Sonderberater für Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden, Willi Lemke, widerspricht der Ansicht, die FIFA sei alleiniger Profiteur der Fußball-WM, während Gastgeber Südafrika auf den Kosten sitzen bleibe.
Katrin Heise: Was ist das doch für eine Fußball-WM dieses Mal! Große Fußballnationen sind zum Beispiel vorzeitig unter Schimpf und Schande ausgestiegen, die deutsche Elf erspielt sich alle Sympathien, eine afrikanische Mannschaft hat es leider nicht bis ins Halbfinale gebracht, die Bafana mussten noch sehr viel früher sich verabschieden. Also fußballerisch müssen sich die Afrikaner an anderen Nationen erfreuen, sonst würden sie nicht so sehr auf ihre Kosten kommen bei dieser WM. Und sonst kommen sie auf ihre Kosten bei dieser Fußballweltmeisterschaft zum Beispiel wirtschaftlich? Mein Thema jetzt mit Willi Lemke, fußballbegeistert durch und durch, Afrikaliebhaber und von Amts wegen UN-Sonderbeauftragter in Sachen Sport. Schönen guten Morgen, Herr Lemke!

Willi Lemke: Guten Morgen, Frau Heise!

Heise: Zu Anfang mal ein Spiel nur ja sozusagen als Werder-Bremen-Fan, was sagen Sie zur deutschen Nationalmannschaft?

Lemke: Großartig, unglaublich, unfassbar, wir sind alle baff!

Heise: Besser noch als Werder Bremen?

Lemke: Ja, ohne Frage! Natürlich beschäftigen wir uns alle mit den Entwicklungen in der Nationalmannschaft und niemand von uns, aber wirklich niemand von uns konnte vorhersehen, dass es gelingt, eine derartig fantastische Mannschaft da auf den Rasen zu bringen, selbst ich war sehr skeptisch und kritisch, weil es fast ausschließlich junge Spieler gewesen sind, die Jogi Löw zusammengeformt hat. Ich hab da kaum Häuptlinge gesehen und jetzt strotzt die Mannschaft voller Häuptlinge.

Heise: Mit Ghana ist die letzte afrikanische Mannschaft raus aus der WM. Meinen Sie, das Fußballfieber ist da jetzt beendet?

Lemke: Ich bin sehr neugierig. Ich werde ja heute Abend wieder nach Südafrika fliegen, ich war dort zu Beginn der Weltmeisterschaft eine Woche und jetzt erneut wieder für eine Woche gehe ich runter. Ich hoffe das von Herzen nicht, dass die Begeisterung erlischt. Ich glaube das auch nicht, sondern natürlich war ich übrigens auch zu Tode betrübt, als der Elfmeter nicht reinging, und das war ja sportlich wirklich eine Katastrophe für die Ghanaer, weil sie waren ja eigentlich schon qualifiziert, wenn man in der 120. Minute so ein Tor schießt, das dann eben verhindert wird durch das Handspiel. Aber das geht mir nicht allein so, sondern viele, viele andere, die mit den Afrikanern gefiebert haben, waren genau so traurig und enttäuscht. Aber ich glaube, die Begeisterung wird weitergehen, ich glaube, dass die Afrikaner ihre Gastgeberrolle jetzt mehr und mehr annehmen, und das ist wunderbar, dass das so ist, weil alle die Unkenrufe und die negativen Dinge, die ich gelesen und gehört habe vor der WM - das sei zu gefährlich und da dürfte man mit seinen Familien nicht hinfahren, die seien noch nicht soweit und das käme alles früh -, die sind alle, wurden alle eines Besseren belehrt. Es ist eine wunderbare Weltmeisterschaft, die Afrikaner sind großartige Gastgeber und ich habe keinen Zweifel daran, dass es so weitergeht.

Heise: Also Imagegewinn, höre ich da raus, ist so ungefähr der größte Gewinn, den Südafrika, aber auch Afrika vielleicht als Ganzes aus dieser WM zieht. Aber das sagt sich immer so leicht, finde ich. Wenn man sich mal die Zahlen anguckt, dann hat Südafrika zwar zehn tolle, neue Stadien, ziemlich viel neu gebaute Infrastruktur, die allerdings für Training, Unterbringung, Logistik, Telekommunikation und so weiter auch sehr da auf die Weltmeisterschaft natürlich ausgerichtet ist, bekommen. – Aber es hat auch wahnsinnig viel Geld gekostet, die Oppositionsführerin in Kapstadt, die sagt schon einen Höllenkater voraus für die Zeit nach der WM. Was glauben Sie, ist das tatsächlich so, dass der größte Teil der Zeche von Südafrika getragen werden wird, während die FIFA mit Milliardengewinnen zurückfährt?

Lemke: Nein, das glaube ich ganz sicher nicht und die Zahlen sprechen auch dagegen. Die FIFA engagiert sich in ganz, ganz großem Maße an den Kosten. Natürlich ist der Ansatz richtig, wenn Sie sagen, es sind fünf neue Stadien gebaut worden, die sind Weltklasse, die anderen sind umgebaut worden, aufgerüstet worden. Aber denken Sie nur an die Infrastruktur, die Maßnahmen, die Flughäfen, die Verkehrsinfrastruktur und andere Dinge, das bleibt ja. Das wird nicht einmal bespielt, und das war es dann, das sind viele Dinge. Aber Sie haben eben sehr richtig vom Imagegewinn gesprochen. Das ist unendlich wichtig, weil vor dieser Fußballweltmeisterschaft - ich habe gerade einen ehemaligen Kollegen zitiert, der gesagt hat, ich fahr da nicht hin, das ist mir zu gefährlich -, das kehrt sich jetzt um, weil die vielen, vielen positiven Meldungen, die jetzt aus Afrika kommen, und mit einem Mal schwenken die um, zum Beispiel wie ich gestern im Fernsehen ja auch, wie Sie vielleicht gesehen haben, dass die Südafrikaner sagen, jetzt ist Deutschland unsere Lieblingsmannschaft ...

Heise: ... deutsche Hüte aufsetzt ...

Lemke: ... ja, und die haben deutsche Hüte auf und Helme auf, und das ist doch durchaus positiv und das ist ein sehr, sehr gutes Signal, dass wir nicht nur immer mit schlechten Dingen über Afrika überschüttet werden wie Korruption, Aids, Armut, Elend und andere Dinge, sondern dass man einmal sagt, Mensch, Südafrika ist ein fantastisches Land und ich werde demnächst im September dort Vorlesungen halten. Ich habe gesagt zu meiner Frau, du musst mitkommen, es ist fantastisch in Kapstadt. Das habe ich nur gelernt durch die Fußballweltmeisterschaft und ich garantiere Ihnen, das geht Millionen so, die den Kontinent mit anderen Augen sehen werden. Jetzt spreche ich vom Kontinent und nicht nur von Südafrika. Das gibt die Hoffung für die Menschen auf eine bessere Zukunft, das wird Investoren anlocken, das wird Touristen anlocken.

Heise: Das ist aber alles etwas, was auch so ein bisschen in die Hoffnung eben also: Das wird, das wird, das wird, man wird sich da noch ein bisschen gedulden müssen, das auch tatsächlich zu beobachten. Hat eigentlich die UN die Möglichkeit, ein bisschen auch ein kritisches Auge auf die Unternehmungen der FIFA in Afrika zu haben? Denn Sie haben die FIFA doch auch sehr hoch gelobt eben.

Lemke: Ja. Ich meine deshalb, unter anderem deshalb bin ich heute wieder auf dem Weg nach Südafrika, um genau zu sehen, wie verhält sich die FIFA, was macht sie jetzt zum Beispiel bei dem großen Jugendturnier, an dem ich ab morgen teilnehmen werde, was ist mit den Football-for-Hope-Centern, also 20 Stück werden davon gebaut für Kinder in armen Gebieten mit einem Erziehungsbereich, nicht nur mit einem Fußballbereich. Das werde ich sehr kritisch mir angucken. Aber ich sage Ihnen, ich stehe hundertprozentig zu der Entscheidung der FIFA diese Weltmeisterschaft nach Afrika gegeben zu haben, das ist ein sehr hoffnungsvolles Signal, ein sehr positives Signal, das hat Afrika dringend gebraucht, gerade was die Medienberichterstattung angeht. Und auch für das Selbstwertgefühl der Afrikaner ist es fantastisch, wenn die jetzt in der nächsten Woche am Montag sehen können, guckt mal, das, was uns viele, viele Millionen Menschen nicht zugetraut haben auf der ganzen Welt, das haben wir geschafft. Wir haben diese Fußballweltmeisterschaft fantastisch hinter uns gebracht – toi, toi, toi ist es so nächste Woche, es kann ja immer noch etwas passieren. Aber so, wie es im Augenblick läuft, sind sie doch fantastische Gastgeber. Es ist laut, es ist bunt und es ist fröhlich, es ist gewaltfrei, es gibt dort keine Schnapsleichen wie bei uns, es gibt keine Prügeleien zwischen Hooligans, oder haben Sie irgendwelche derartigen Bilder aus Südafrika gesehen? In Deutschland gab es diese Bilder, die sind aber Gott sei Dank nicht so im Mittelpunkt gewesen. Und das sind positive Signale und ich sehe das nicht immer nur alles negativ, sondern ich versuche, mich auch an den positiven Dingen zu erfreuen.

Heise: Willi Lemke, UN-Sonderbeauftragter für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung, zu hören im Deutschlandradio Kultur. Die FIFA hat ja vor Kurzem ein 70-Millionen-Programm für Afrika vorgestellt und jetzt eben aufgelegt: Kunstrasenplätze, FIFA-Software-Registrierung der Spieler, Anleitung im Aufbau von professionellen Ligen und so weiter. Sie haben jetzt eben gerade auch den Teil erwähnt, wo also einfach Hoffnung in Gebiete, in Townships gebracht werden soll. Also das heißt, diese Forderung wird jetzt nicht nur afrikanische Talente effektiver abgreifen und dazu benutzt werden?

Lemke: Nein. Also einerseits ist das sicherlich ein Ansatz der FIFA und auch der, vieler, vieler Jugendlicher, die davon träumen, eines Tages mal ein Fußballstar zu werden. Aber das ist überhaupt nicht der Ansatz der Vereinten Nationen. Ich bin beauftragt quasi als Sport für alle, als Beauftragter den Sport für alle nach vorne zu bringen. Und wenn ich jetzt davon gesprochen habe, dass man da Kunstrasenplätze anlegt in den Townships und in den armen Gebieten Afrikas, dann dient das nicht der Talentsuche oder Talentförderung, sondern das ist ein Mittel für Entwicklung und Frieden. Wie stelle ich mir das denn vor, wusste ich vor ein paar Jahren auch noch nicht. In den Projekten holen sie die Jugendlichen von der Straße und sagen: Ey kommt heute Nachmittag mal zum Bolzen, Jungs, Mädels, Jung und Alt! Und dann verknüpfen sie diese Sportstunde mit erzieherischen Programmen. Also ich habe zum Beispiel erlebt in einem Fußballspiel, das unentschieden ausging, gab es keine Verlängerung und kein Elfmeterschießen, sondern die Mannschaften setzten sich hin und der Schiedsrichter hatte Fragen zur Aidsprävention vorbereitet. Das fand ich total spannend. Dann kriegten die Mannschaften Punkte, wenn sie die Fragen richtig beantwortet hatten und sie haben dann eben das wiedergegeben, was sie zuvor in den Programmen gelernt haben. So verknüpfen ganz viele Sportprojekte in Afrika die sportlichen Dinge mit den erzieherischen Fragen.

Heise: Das ist auch eine Geschichte, die Sie in Ihrem Buch "Ein Bolzplatz für Bouaké" sehr eindrucksvoll schildern, wie eben diese Aidsaufklärung und Fußball zusammen Hand in Hand gehen. Ich würde gerne noch mal ganz kurz auf die Funktion von Vorbildern zu sprechen kommen: Welche sind da eigentlich wichtiger, Spieler wie Eto'o oder Drogba zum Beispiel oder eher Jugendliche um die Ecke, die den Trainerschein beispielsweise machen?

Lemke: Ja, das ist eine wunderbare Frage deswegen, weil ich mittlerweile dazu neige - was ich früher nicht getan habe, als ich Werder-Manager war, da habe ich gedacht, Torsten Frings ja, und die anderen Stars in unserer Mannschaft, das seien die absoluten Vorbilder -, das sehe ich in Afrika nicht so. Weil es träumen wirklich Millionen von Jungs und Mädels davon, dass sie einmal ein Drogba oder Eto'o werden. Aber für mich sind die Vorbilder in ihren Nachbarschaften viel, viel wichtiger und deshalb fördere ich die auch über Projekte bei den Vereinten Nationen und ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen mit einer 22-Jährigen aus Kapstadt, die ich morgen aufsuchen werde, da hat der deutsche Botschafter ihr ein Deutsch-Stipendium organisiert, das sie so von Herzen haben wollte, das sie sich aber nicht erlauben konnte. Das ist ein Mädchen, das wiederum für Mädchen in ihrem Township Sportprojekte ehrenamtlich durchführt, das sie mir zeigen will morgen in Kapstadt, und ich bin so begeistert, dass ich sage: Solche Menschen, die aus allerärmsten Verhältnissen kommen und unglaubliche soziale Kompetenzen entwickeln – ich weiß gar nicht, wie die das schaffen in diesem Elend, in dem sie zum Teil groß geworden sind, so soziale Kompetenzen entwickeln –, dass sie wirkliche Rollmodels, Vorbilder für ihre Kameraden sind da in ihrem Township, dass wir sagen: Komm, diese jungen Menschen, die möchte ich fördern durch ganz gezielte Programme auch mit Hilfe der Bundesregierung, mit Hilfe der Vereinten Nationen, zu sagen, komm, diesen jungen Menschen müssen wir eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben, ganz konkret sie in Netzwerke bringen, ihnen Informationen geben, die sie sonst niemals bekommen: Wie kann ich mich um ein Stipendium bemühen, wie kann ich mich fortbilden, wie kann ich meine berufliche Ausbildung weiter vorantreiben? Das sind ganz wesentliche Dinge. Ausbildung ist nicht nur in Deutschland und Bildung ist nicht nur in Deutschland ein Topthema, sondern gerade erst recht in den Entwicklungsländern.

Heise: Sport oder Fußball kann die Welt verändern. So sieht es Willi Lemke und die Früchte sieht er jetzt auch in Südafrika. Vielen Dank, Herr Lemke, für die Vereinten Nationen sind Sie für den Sport unterwegs ab morgen wieder in Südafrika. Ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!

Lemke: Vielen Dank, Frau Heise!
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