UN sorgt sich um syrische Flüchtlinge

Libanon braucht Unterstützung durch Europäische Union

Essensausgabe an syrische Flüchtlinge im Libanon am vergangenen Samstag (25. Oktober 2014)
Essensausgabe an syrische Flüchtlinge im Libanon: 1,2 Millionen von ihnen leben dort unter zum Teil katastrophalen Bedingungen. © afp / Maya Hautefeuille
Volker Türk im Gespräch mit Nana Brink · 24.03.2015
Der Libanon breche schier zusammen unter dem Flüchtlingsstrom aus Syrien. Das strukturschwache Land brauche dringend die Hilfe und Solidarität der EU, sagt Volker Türk, Beigeordneter UN-Flüchtlingskommissar für Schutzfragen. Denn bislang hätten nur vier EU-Länder Flüchtlinge aufgenommen.
Nana Brink: Die Hälfte der syrischen Bevölkerung, das sind elf Millionen, sind auf der Flucht, das muss man sich mal vorstellen, entweder im eigenen Land oder in den Nachbarstaaten. Die wenigsten schaffen es ja nach Europa. Die meisten fliehen in den Libanon. In dem Land mit nur vier Millionen Einwohnern leben UN-Schätzungen zufolge neben den 1,1 Millionen registrierten syrischen Flüchtlingen noch bis zu 500.000, die die Grenze illegal passiert haben. Der Druck also, nach Europa zu fliehen, wächst stetig. Die Situation syrischer Flüchtlinge wird eine wichtige Rolle spielen bei der Konferenz der Ministerpräsidenten am Donnerstag. Da geht es um die steigende Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Denn eines ist klar: Es werden mehr in der Zukunft nach Europa kommen, denn ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien ist nicht in Sicht. Der Österreicher Volker Türk ist Beigeordneter Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge mit Zuständigkeit für ihre Schutzfragen, das ist sein offizieller Titel. Guten Morgen, Herr Türk!
Volker Türk: Guten Morgen!
Brink: Sie beschäftigen sich mit der Situation der syrischen Flüchtlinge. Blicken wir in den Libanon. Wie wird das Land damit fertig?
Türk: Sie können sich vorstellen, bei einer Bevölkerung von 4,5 Millionen und mittlerweile bei einer Flüchtlingsbevölkerung von syrischen Flüchtlingen, die, wie Sie ja gesagt haben, 1,2 Millionen registrierte Flüchtlinge in Libanon hat, sind es natürlich ganz besondere Herausforderungen für das Land, vor allem, was die Infrastruktur betrifft, was auch die libanesische Bevölkerung betrifft. Sie können sich vorstellen auch, wenn man sich diese Zahlen ansieht, es ist im Grunde genommen ein Viertel der Bevölkerung, wenn nicht ein bisschen mehr sogar jetzt als ein Viertel sind Flüchtlinge. Das stellt natürlich das Land vor ganz besondere Herausforderungen, und man muss auch sagen, wie Sie ja auch gesehen haben im letzten Jahr vor allem, es gibt dann auch immer wieder Sicherheitsprobleme vor allem im Norden des Landes. Das heißt, man muss sich ganz besonders um die humanitären Herausforderungen dieses Landes Sorge machen. Ich muss dazu auch sagen, es ist nicht nur Libanon, es ist auch die Türkei. Wir haben mittlerweile 1,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Es ist an sich die Türkei, die im Moment die höchste absolute Zahl von syrischen Flüchtlingen hat und gleichzeitig auch ist es das Aufnahmeland auf der Welt, das die höchste Zahl von Flüchtlingen übernommen hat.
Die lokale Bevölkerung stärken
Brink: Es ist ja auch in Jordanien, im Irak sind auch viele syrische Flüchtlinge. Wie können Sie denn als Flüchtlingshilfswerk vor Ort helfen?
Türk: Wir arbeiten natürlich mit den Regierungen, aber auch vor allem mit den Gemeinschaften sehr stark zusammen. Also wir versuchen natürlich mit unseren Programmen vor allem im Libanon ganz besonders das Land zu unterstützen. Was es wird – und es ist die humanitäre Hilfe, das heißt, man registriert, man dokumentiert, wir schauen, dass wir Programme haben. Wir versuchen auch, mit der lokalen Bevölkerung beispielsweise Gemeinschaftszentren aufzubauen, wo sich auch syrische Flüchtlinge mit der libanesischen Bevölkerung treffen können, gemeinsame Programme haben können, wo sich auch Frauengruppen gebildet haben, die wir natürlich unterstützen.
Wir versuchen auch, im Rahmen von Shelter – also im Wohnungsbereich da Unterstützung zu haben. Es gibt keine Camps im Libanon, das heißt, viele der Flüchtlinge, die meisten Flüchtlinge leben dann in zum Teil Privatunterkunft. Wir haben auch ein Programm zur Unterstützung von ganz besonders hilfsbedürftigen Menschen, aber es ist klar, dass natürlich eine Infrastruktur – Sie können sich vorstellen, die Gesundheitsversorger, der Zugang zu Schulen, die gesamte – auch ganz banale Dinge wie Müllabfuhr sind natürlich belastet, wenn Sie auf einmal 1,2 Millionen mehr Menschen haben im Land. Und wir hoffen natürlich sehr, dass über die humanitäre Hilfe hinaus es auch Unterstützung für die Infrastruktur von Aufnahmestaaten gibt.
Syrische Flüchtlinge warten in einem Camp nahe der Syrischen Grenze in Libanon auf ihre Registrierung. 
Flüchtlinge warten in einem Camp nahe der Syrischen Grenze in Libanon auf ihre Registrierung. © picture alliance / EPA / STR
Brink: Bekommen Sie denn genug Geld?
Türk: Ich meine, wir haben ein riesiges Programm. Die Kuweit-Konferenz III, die jetzt in ein paar Wochen stattfinden wird, hat – wir haben gebeten insgesamt, für die gesamte Syrien-Situation, also nicht nur für Libanon, acht Milliarden US-Dollar sind da vorgesehen als Budget für dieses Jahr. Wir haben ungefähr 60 bis 70 Prozent – es kommt auf das Land drauf an – Möglichkeiten gefunden letztes Jahr. Wir sind natürlich schon besorgt auch für dieses Jahr, dass wir die nötigen Hilfsmittel bekommen. Es ist aber ganz klar, dass vor allem, was die Infrastruktur betrifft in diesen Ländern, dass es da ganz besondere Unterstützungsmaßnahmen geben muss. Ich meine, man muss auch, ja ...
Ein Signal der Solidarität
Brink: Das muss es mit Sicherheit. Wenn wir den Blick auch weiten und sehen, dass auch immer mehr Flüchtlinge versuchen, aufgrund dieses Drucks auch der Situation, die Sie uns ja jetzt eindrücklich geschildert haben, nach Europa zu kommen – 24 von 28 europäischen Staaten stellen ja gar keine Plätze für syrische Flüchtlinge bereit – Deutschland hat 20.000 zugesagt, das ist immerhin mehr als jedes andere Land in Europa. Aber wenn man dann den Libanon sieht mit 1,1 Millionen, fragt man sich, ist das ausreichend?
Türk: Es ist ein sehr wichtiges Signal der Solidarität, dass Staaten außerhalb der Nachbarregion Plätze zur Verfügung stellen. Und Deutschland, und wir sind da ganz besonders dankbar, für Deutschland, für die Regierung, aber auch für die Bevölkerung, dass Deutschland in diesem Zusammenhang eine große Vorreiterrolle gespielt hat. Es sind insgesamt sogar mehr, rund 33.000 bereitgestellte Plätze für das humanitäre Aufnahmeprogramm des Bundes und der Bundesländer. Und wir hoffen, dass diese Signalwirkung, die auch Deutschland in der Europäischen Union aussetzt, dass die auch Folgewirkungen hat. Wir haben das gesehen in ein paar anderen Ländern, aber es ist klar, dass sie hoffen, dass vor allem auch die Länder, die zurzeit keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen, dass die zumindest diese Plätze mehr zur Verfügung stellen.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Ich meine, man muss ja auch bedenken, dass innerhalb von Europa die spontanen Asylbewerber aus Syrien, das ist vor allem Deutschland und Schweden, die die meisten syrischen Flüchtlinge im Asylverfahren haben. Es ist klar, dass die anderen Staaten da ganz klar ein Zeichen der Solidarität setzen müssen, auch gegenüber vor allem diesen Nachbarländern, die sich natürlich sehr belastet fühlen und wo man auch vonseiten der internationalen Staatengemeinschaft klare Zeichen setzen muss. Natürlich, wenn man sich jetzt die Gesamtzahlen anschaut, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Allerdings, es geht hier um Flüchtlinge, die ganz besonders Hilfe benötigen, die auch zum Teil medizinische Versorgung benötigen, die besondere Probleme haben. Es ist klar, dass natürlich, wenn die in ein anderes Land kommen außerhalb der Nachbarregionen, dass das schon ein klares Zeichen von Unterstützung ist für diese Menschen und auch für die Nachbarländer.
Brink: Volker Türk, der Beigeordnete Hochkommisar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Danke, Herr Türk, für das Gespräch!
Türk: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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