UN-Klimagipfel

Düstere Prognosen für Paris

Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes der Vattenfall AG in Jänschwalde (Brandenburg). (Aufnahme von 2015)
Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen eines Braunkohlekraftwerks:Nach Meinung des Klima-Experten Lutz Wicke darf sich Kohle-Energie künftig nicht mehr lohnen. © picture alliance / dpa/ Patrick Pleul
Lutz Wicke im Gespräch mit Dieter Kassel · 07.07.2015
Das Urteil des Klima-Experten Lutz Wicke ist vernichtend: Das "Paris-Protokoll" des nächsten UN-Klimagipfels ist noch nicht geschrieben. Doch Wicke hält es schon jetzt für ebenso wirkungslos wie seinerzeit das Kyoto-Protokoll. Auch der Gipfel in Paris werde nicht mehr sein als ein unverbindlicher "Klima-Klingelbeutel".
Lutz Wicke, Direktor des Instituts für UmweltManagement (IfUM) EAP–ESP, hat schon viele Klima-Gipfel erlebt. Auch vom kommenden im November in Paris erwartet er keine allzu große Wirkung. Anlässlich eines Vorbereitungstreffens auf den Gipfel in der französischen Hauptstadt sagte Wicke im Deutschlandradio Kultur:
"Das Klima-Sekretariat läuft rum und sammelt ein in den Klima-Klingelbeutel: Angebote, was die Staaten möglicherweise machen wolle. Völlig unverbindlich. ... Auf dieser Basis sollen dann Maßnahmen eingesammelt werden, die noch nicht eingehalten werden müssen."
Zusätzlich müsse man bedenken, dass nicht nur Geld durch die Industriestaaten in den Klima-Klingelbeutel hineingelange, sondern auch Geld entnommen werden durch Schwellenländer wie China oder Indien.
Ein Protokoll so wirkungslos wie das nächste
Vor diesem Hintergrund werde das zu erwartende Paris-Protokoll ebenso wirkungslos bleiben wie seinerzeit das Kyoto-Protokoll, betonte Wicke. Umweltverbände hätten ihn damals für seine düstere Einschätzung nach Kyoto "fast geschlachtet". Fest stehe jedoch: Das System der Selbstverpflichtung für die Reduzierung von CO2-Emissionen bringe wenig bis nichts.
Benötigt werde ein vollkommen anderes System: "Wir werden entweder weltweit den Klimagas-Ausstoß besteuern oder bepreisen müssen. Die Verwendung von Kohle, Öl und Gas muss einen Preis haben." Das jetzige System, bei dem es sich aus Kostengründen lohne, auf die umweltschädliche Braunkohle zu setzen, müsse dringend geändert werden.


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute beginnt in Paris eine Wissenschaftskonferenz unter dem Titel "Unsere gemeinsame Zukunft im Zeichen des Klimawandels". Und auch diese Konferenz dient – wie vor gut vier Wochen eine eher politisch administrative Veranstaltung in Bonn – der Vorbereitung des Weltklimagipfels im Dezember, der auch in Paris stattfindet. Dort soll dann ein Nachfolger des Kyoto-Protokolls verabschiedet werden, eine Vereinbarung, die konkrete Ziele und Maßnahmen formuliert, um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken. Wenn dies im Dezember in Paris wirklich gelänge, dann wäre das im letzten Moment der große Durchbruch zur Rettung des Weltklimas, glauben manche. Aber ist das wirklich so? Lutz Wicke, Direktor am Institut für Umweltmanagement der privaten Wirtschaftshochschule ESCP Europe in Berlin fordert schon jetzt eine Art Beyond-Paris-Plan, also konkrete Maßnahmen über diese Konferenz hinaus. Und darüber wollen wir mit ihm sprechen, schönen guten Morgen, Herr Wicke!
Lutz Wicke: Wunderschönen guten Morgen!
Kassel: Ist es denn quasi aus Ihrer Sicht gar nicht so wichtig, ob wir in Paris ein neues Klimaschutzprotokoll kriegen?
Wicke: Doch, das ist schon sehr wichtig. Denn wenn wir kein neues Klimaschutzabkommen bekommen, haben wir keinerlei rechtliche Grundlage mehr, auf der man dann aufbauen kann und mit der überhaupt noch etwas passieren kann. Also, insofern benötigt man unbedingt dieses Paris-Protokoll oder ein Abkommen, das rechtlich verbindlich ist. Das ist schon von großer Bedeutung. Denn anders als beim Kyoto-Protokoll sollen nun nicht nur die Industriestaaten, sondern auch die anderen Staaten mit in die Pflicht genommen werden, etwas für den Klimaschutz zu tun.
Kassel: Hat denn – ein kurzer Rückblick an dieser Stelle, Herr Wicke! –, hat denn das Kyoto-Protokoll, um das so lange gestritten wurde, dem Klimaschutz am Ende überhaupt gedient?
Wicke: Also, um ehrlich zu sagen: Es war eine rechtliche Grundlage, aber eigentlich ist leider das eingetreten, was ich schon 2003 gesagt habe: Es wird nicht wirksam sein. Es hat dieses Kyoto-Protokoll nach meinem System der Bewertung eines Abkommens acht von 50 Wirkungspunkten bekommen und genauso unwirksam war es leider auch. Ich habe leider recht gehabt. Damals, als ich das gesagt habe, haben mich die Umweltverbände fast geschlachtet, dass ich so eine schreckliche Prognose geben konnte. Und ich fürchte, dieses Paris-Protokoll wird nicht sehr viel besser bewertet werden können.
"Jeder gibt so wenig, wie er kann"
Kassel: Obwohl ja voraussichtlich sehr viel mehr Länder, möglicherweise alle, wenn wir Glück haben, beteiligt sein werden?
Wicke: Ja, aber Sie müssen wissen, nach welchem System das geht: Das geht nach dem Indizes-System, was man kurz als Klimaklingelbeutelsystem bezeichnen kann. Die Länder beziehungsweise das UNFCCC, also das Klimasekretariat läuft herum und sammelt ein in den Klimaklingelbeutel Angebote, was die Staaten möglicherweise machen wollen, völlig unverbindlich. Und auf diese Art und Weise, was der Kollege Schellnhuber als "jeder gibt so wenig, wie er kann" bezeichnet, auf dieser Basis sollen dann Maßnahmen eingesammelt werden, die noch nicht einmal eingehalten werden müssen. Und man muss ja noch zusätzlich bedenken, dass in den Klimaklingelbeutel nicht nur etwas reingetan werden kann, was die Europäer tun, was in geringerem Umfang auch die Amerikaner tun werden; viele Staaten, insbesondere die Schwellenländer, insbesondere China und Indien nehmen aus dem Klingelbeutel noch Emissionen raus. Das heißt, China hat sich verpflichtet oder will sich verpflichten, bis zum Jahr 2030 seine Emissionen nicht mehr zu steigern, sie emittieren jetzt jährlich ungefähr zehn Milliarden Tonnen und werden bis 2003 sich dann vermutlich hier jährlich fünf Milliarden Tonnen zusätzlich noch emittieren. Und das allein ist schon mehr als das, was Europa und USA mindern wollen und können.
Kassel: Wie sieht nun Ihr Beyond-Paris-Plan, also Ihr Plan für das, was über die Beschlüsse von dem Klimagipfel in Paris Ende des Jahres hinausgehen muss und bald hinausgehen muss, aus?
Wicke: Also, eins ist sicher, dieses System der Selbstverpflichtung im Kyoto-Protokoll von den Industriestaaten hat nichts oder viel zu wenig gebracht. Das System der Beiträge, der freiwilligen Beiträge nach dem Klingelbeutelsystem wird auch ganz, ganz wenig bringen, obwohl es natürlich auch noch andere wichtige Aspekte hat, das Paris-Protokoll, was ich auch noch betonen möchte. Wir werden sehr wahrscheinlich, wenn wir überhaupt noch etwas machen wollen, ein völlig anderes Steuerungssystem haben müssen, wir werden entweder weltweit den Klimagasausstoß besteuern müssen oder bepreisen müssen, die Verwendung von Kohle, Gas und Erdöl muss einen Preis bekommen. Das kann man durch das sogenannte Carbon-Pricing, also durch die Besteuerung von Kohlenstoff erreichen oder durch ein weltweites System des Emissionshandels. Wir haben das ja in Europa, dass wir in Europa die Emissionen aller Industrieanlagen und der Kraftwerke begrenzen, europaweit, und dass jedes Kraftwerk entsprechende Zertifikate benötigt. Und so ähnlich müsste man das auf den weltweiten Klimagasausstoß ebenfalls durchführen und dann sicherstellen, dass nicht mehr emittiert wird, als wie man das insgesamt begrenzt hat.
Die Atmosphäre als kostenlose Klimamülldeponie
Kassel: Aber wie wollen Sie das schaffen? Wenn wir allein schon mal von Deutschland ausgehen, dem Musterland der Energiewende, Sie wissen es, da gibt es die absurde Situation, dass diverse Regelungen dazu führen, dass Gaskraftwerke nicht mehr rentabel sind, weil die Kohle zu stark gefördert wird, trotz all dieser Abgaben. Wenn das schon in Deutschland nicht klappt, wie wollen Sie denn dann dafür sorgen, dass es in Ländern wie China, Indien, Brasilien, wo auch immer klappt?
Wicke: Also, die Grundidee, die auch andere haben, die die Europäische Union gehabt hat und die auch die entsprechenden deutschen Wissenschaftsgremien gehabt haben, ist: Wer Kohle verkauft oder importiert, muss für den Kohleimport entsprechend seiner späteren Kohlendioxidemissionen einen Preis bezahlen, der sich am Markt ergibt. Wenn das der Fall ist, wenn man das weltweit durchführt, ist dies durchaus entsprechend wirksam, weil dann die entsprechenden Emissionen was kosten. Bisher ist es doch so, dass die Atmosphäre als kostenlose Klimamülldeponie verbraucht wird. Genau wie beim Abfall ist der Fall: Dann, wenn das etwas kostet, Abfall zu deponieren, dann wird Abfall verwertet oder reduziert.
Und genau auf diese Art und Weise müsste dann auch weltweit eine Emission durchgeführt werden. In Deutschland, jetzt auf Ihr Beispiel zu kommen, ist es schon so, dadurch, dass wir eben nur einen niedrigen Preis haben für die Emissionen, wird dann auch natürlich das billigste Energiesystem benutzt. Und die Braunkohle wird eingesetzt und Gaskraftwerke haben keine Chance. Das wäre in einem weltweiten Emissionshandelssystem oder auch in einem europäischen Emissionshandelssystem, bei dem entsprechende Emissionen ausreichend begrenzt würden, völlig anders, dann würden in der Tat die klimafreundlichsten Systeme und das Gas – die Gasverwendung, -verbrennung ist noch bei Weitem die klimafreundlichste Nutzung fossiler Energiearten –, dann wäre das also durchaus anders geregelt und würde sich anders ergeben.
Kassel: Lutz Wicke, Direktor des Instituts für Umweltmanagement in Berlin, über seine Erwartungen an den Weltklimagipfel in Paris und vor allem auch an die Zeit unmittelbar danach. Herr Wicke, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Wicke: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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