UN-Flüchtlingsgipfel in New York

Staaten beraten über Migration – ein bisschen

Flüchtlinge im Lager Dadaab in Kenia
Flüchtlinge im Lager Dadaab in Kenia © dpa / picture alliance / Dai Kurokawa
William Lacy Swing im Gespräch mit Dieter Kassel  · 19.09.2016
In New York findet heute der erste große UN-Gipfel zum Thema Flucht und Migration statt. Mit konkreten Ergebnissen rechnet niemand. Der Generaldirektor der IOM, der International Organization for Migration, William Lacy Swing, ist dennoch zuversichtlich.
Beim UN-Flüchtings- und Migrationsgipfel wollen sich heute die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen über den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten einigen. Nach nur einem Tag werden sie sich auf eine Erklärung einigen, die eher aus unspezifischen Willenserklärungen besteht denn aus konkreten Maßnahmen und Verpflichtungen. Immerhin, meint der Generaldirektor der IOM, der International Organization for Migration, William Lacy Swing.
"Es ist überhaupt das erste Mal, dass über Migranten und Flüchtlinge auf einen so hohen Niveau auch von Staatschefs auch geredet wird", sagt Swing im Deutschlandradio Kultur. Dass ein Gipfel von 193 Staaten in so kurzer Zeit zu Stande gekommen sei, sei erstaunlich - "und das bei ein so kontroversen Thema". Die Abschlusserklärung sei zwar sehr allgemein gehalten, doch es gehe darum eine Plattform zu schaffen, auf der man die Probleme thematisiere. Gleichzeitig werden es 2018 eine weitere Konferenz für Migration geben.
Swing: "Wir haben eine Verantwortung für all die Migranten, die auch durchrutschen, über die nicht geredet wird, die jetzt nicht im Mittelpunkt der Flüchtlingsdebatte stehen." Als Beispiel nannte der IOM-Generaldirektor Opfer von Drogen, Minderjährige oder schwangere Frauen. "All das sind Fragen, die uns auf diesem Gipfel und auf dieser späteren Konferenz bewegen werden."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Beim UN-Flüchtlings- und Migrationsgipfel, dem Summit for Refugees and Migrants, wollen sich heute die 193 Mitgliedsstaaten der UN über den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten einigen. Mit konkreten Ergebnissen, die zu verbindlichen Regeln führen, rechnet allerdings erst mal niemand. Ich hab deshalb vor dieser Sendung den Generaldirektor der IOM, der International Organization for Migration, William Lacy Swing gefragt, was er sich trotzdem von diesem Gipfel verspricht.
William Lacy Swing: Es ist überhaupt das erste Mal, dass über Migranten und Flüchtlinge auf einem so hohen Niveau auch von Staatschefs geredet wird. Meine Organisation, die IOM, die International Organization for Migration, wird eine Übereinkunft mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon unterzeichnen, ich werde sie unterzeichnen, dass wir als eine UN-Organisation eingestuft werden. Und dann wird dieser Gipfel auch dazu führen, dass während eines zweijährigen Prozesses im Jahre 2018 dann eine neue Konferenz über Migration stattfinden wird. Meiner Meinung nach wird es jetzt nicht um eine neue Definition von Migranten oder Flüchtlingen dort gehen, aber wir haben eine Verantwortung.
Wir haben eine Verantwortung für all die Migranten, die auch durchrutschen, über die nicht geredet wird, die jetzt nicht im Mittelpunkt der Flüchtlingsdebatte stehen, die zum Beispiel Opfer von Drogen geworden sind, die Minderjährigen, die Sie jetzt auch in Deutschland und in Schweden haben, die nicht begleitet sind, oder aber ältere Menschen, schwangere Frauen, die auf der Flucht sind, das Thema der Familienzusammenführung beispielsweise in Skandinavien.
All diese Menschen werden zur Zeit einfach nicht genug berücksichtigt in der gesamten Diskussion, und um Ihnen ein Beispiel zu geben: 2011 in Libyen, als Gaddafi gestürzt wurde, gab es 250.000 Migranten, die in Libyen gearbeitet haben, Gastarbeiter als Migranten, die wir dann in 54 Länder irgendwie zurückführen mussten und die total unter den Radar der internationalen Aufmerksamkeit gefallen sind. Also all das sind Fragen, die uns auf diesem Gipfel und dann auf dieser späteren Konferenz bewegen werden.

Keine Verbindlichkeit - aber immerhin überhaupt ein Gipfel

Kassel: Mister Swing, lassen Sie uns über das, was es bedeutet, dass Ihre Organisation ab diesem Treffen nun offiziell eine UN-Organisation ist, gleich noch reden, das interessiert mich natürlich, aber bleiben wir kurz bei diesem Gipfel. Es wird ja eine Abschlusserklärung geben, die New York Declaration for Refugees and Migrants, deren Text ist natürlich schon entworfen worden, und es gibt daran große Kritik: Internationale Organisationen wie zum Beispiel Amnesty International haben diese Deklaration kritisiert, weil es eben eine reine, sehr allgemein gehaltene Absichtserklärung ist – sie enthält keine Regelungen, nichts ist verbindlich. Teilen Sie diese Kritik überhaupt nicht?
Swing: Also erstens möchte ich darauf erwidern, ich finde es schon einmal erstaunlich, dass in so kurzer Zeit dieser Gipfel überhaupt ermöglicht worden ist durch den Einsatz von Irland und Jordanien, und dass ein Konsensus erreicht worden ist, dass 193 UN-Staaten sich zu diesem Gipfel in so kurzer Zeit erst einmal getroffen haben – und das bei einem so kontroversen Thema wie Migranten, Flüchtlinge. Ich würde Ihnen recht geben, diese Abschlusserklärung ist allgemein gehalten, aber man muss sich ja vielleicht erst einmal anschauen, was da auch erreicht wird. Zur Zeit haben wir acht bis neun Krisenherde weltweit, dann gibt es die Frage des Klimawechsels, also wir versuchen ja nun auch, die Gründe für die Migration endlich zu benennen.
Dann gibt es eben auch ganz verschiedene Arten von Flüchtlingen. Es gibt Flüchtlinge, es gibt Migranten, und für jeden einzelnen Flüchtling und Migranten müssen differenzierte Antworten gefunden werden. Ein ganz großes Problem sind die sogenannten Displaced Persons, das heißt, die gezwungen worden sind, ihre Heimat zu verlassen, die man praktisch zwangsumgesiedelt hat oder die einfach fliehen müssen, die einen Großteil dieser etwa 75 Millionen Flüchtlinge ausmachen, die es zur Zeit gibt. Ich denke, da ist es ganz wichtig, dass wir da eine Art Plattform schaffen, um all diese Probleme wieder zu thematisieren.
Kassel: Mister Swing, ich will die Erfolge, die allein schon darin liegen, dass es dieses Gipfeltreffen überhaupt gibt – Sie haben das ja beschrieben – nicht kleinreden, aber ich lebe in Europa, wir erleben in Europa seit über einem Jahr, dass die 28 Länder der Europäischen Union sich nicht einigen können, und ich glaube, Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, da ist auch heute kein Kompromiss in Sicht. Und wenn ich jetzt sehe, wie uneinig sich 28 Staaten sind, die doch viel gemeinsam haben, wie realistisch ist es dann, dass sich 193 Staaten, die teilweise nicht sehr viel miteinander gemein haben, tatsächlich auf gemeinsame Lösungen einigen können?

Wären alle so mutig wie Merkel, wäre das Problem kleiner

Swing: Hätten andere Staatschefs eine so mutige Entscheidung getroffen wie Ihre Bundeskanzlerin Frau Merkel, dann wäre vielleicht vor einigen Jahren eine Flüchtlingszahl von in etwa 1,5 Millionen irgendwie noch machbar gewesen, das hätte man noch lösen können, das macht 0,5 Prozent der Einwohner Europas aus, aber man hat eben zu lange gewartet. Wir helfen ganz konkret, wenn es um Heimkehrer geht, um freiwillige Heimkehrer geht, also das sind ja bis zu 50.000, die auch wirklich freiwillig bereit sind, wieder zurückzukehren in ihre Heimatländer. Und wir machen Infokampagnen in Afrika, in denen wir auf die Gefahren hinweisen, was es bedeutet für Flüchtlinge, sich Menschenschmugglern anzuvertrauen.
Kassel: Es gibt Ihre Organisation seit 65 Jahren oder es wird sie im Dezember offiziell seit 65 Jahren geben, da wird groß gefeiert, sie ist stets gewachsen, Sie haben jetzt Büros an 450 Orten überall auf der Welt. Und nun werden Sie erstmalig offiziell eine UN-Organisation sein. Wird sich denn dadurch Ihre Arbeit grundsätzlich verändern?
Swing: Nun, ehrlich gesagt, wir sind ja sowieso schon fast ein Teil der UN. Wenn wir uns anschauen, dass wir eigentlich dieselbe Logistik benutzen, dass wir in Sicherheitsfragen zusammenarbeiten, kooperieren und dass wir eigentlich seit 65 Jahren eng zusammen gearbeitet haben, dann war das eine logische Konsequenz, dass wir jetzt offiziell auch der UN als eine Organisation angehören. Weil wenn wir wirklich für Migranten und Flüchtlinge dauerhaft etwas Positives bewirken wollen, dann können wir das nicht außerhalb des Systems machen, sondern dann müssen wir Teil der UN sein.
Kassel: William Lacy Swing, der Generalsekretär der Organization for Migration, über den UN-Flüchtlings- und Migrationsgipfel, der heute in New York stattfindet und den er, wie wir gehört haben, nicht ganz so kritisch sieht wie viele andere. Übersetzt wurde er übrigens von Jörg Taszman.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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