Umstrittener Staatsrechtler von Weltrang

Von Stefan Osterhaus · 06.07.2013
Für die Nazis entwarf er Gesetzesvorlagen, er war Antisemit und Persona non grata in der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch gehören die Schriften Carl Schmitts bis heute zu den meist diskutierten des 20. Jahrhunderts. Sein Denken war wesentlich auch vom Katholizismus geprägt.
Carl Schmitt: "Der Start ist dieses kleine Nest Plettenberg. Die soziale Situation, ein kaufmännischer Angestellter in sehr bescheidenen Verhältnissen, der von der Mosel kam, das heißt katholisch, streng katholisch …"

Katholisch, kleinbürgerlich, bescheiden: So beschreibt Carl Schmitt in einem Radiointerview von 1971 das Milieu, in das er am 11. Juli 1888 ins damals streng protestantische Plettenberg hineingeboren wurde.

Carl Schmitt: mit C und Doppel-T - ein Staatsrechtler von Weltrang. Einer der am meisten diskutierten politischen Denker des 20. Jahrhunderts. Doch ihn mit dem Etikett "umstritten" zu versehen, wäre eine blanke Untertreibung: Sein Engagement für die Nationalsozialisten, die ihn zum Staatsrat ernannten, seine Mitarbeit an prägenden Gesetzesvorlagen der NS-Zeit und sein Eintritt in die NSDAP ließen ihn in der Bundesrepublik zur Persona non grata werden. Auch aus seinem Antisemitismus machte er kein Geheimnis. Und so zog sich Schmitt - verstoßen von der Nachkriegselite - in die Heimat zurück und wirkte im Verborgenen.

Sein Denken war vom Katholizismus geprägt. Doch die Tagebücher, die der Dominikanerpater Wolfgang Spindler aus München gemeinsam mit Schmitts engstem Freund Ernst Hüsmert herausgibt, lassen keinen Musterkatholiken erkennen. Seine erste Ehe wurde annulliert, ein Gericht hob die Ehe auf - denn Schmitt war mit einer Hochstaplerin verheiratet. Als er die zweite Ehe schloss, bedeutete dies die Exkommunikation. Ernst Hüsmert glaubt, dass der Freund eher ein Kulturkatholik gewesen sei.

"Ich bin häufiger dabei gewesen, dass er sich vor dem Abendessen bekreuzigt hat, das tat er wie selbstverständlich. Da saß er einfach in der katholischen Familientradition, und die liebte er auch."

Ein Kulturkatholik also, einer, der zum Beten offenbar nur schwer Zugang fand – und wenn er es am Ende doch tat, dann in einer seltsam distanzierten Art, wie dieses Zitat aus seinen Memoiren zeigt. Es ist ein Stoßgebet kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als ihn die Alliierten vorübergehend in Zeugenhaft genommen hatten. Da trug er seine Bitten an Gott ganz förmlich per Sie vor:

"O Herr, befreien Sie mich, sprengen Sie meine Ketten, führen Sie mich zurück zu meinem Vater, in meine Heimat, in mein Haus und zu meinem Erbe."

So kam es dann ja auch.

Einen ausgeprägten Hang für die Kunst der Kirche und deren Symbole, den hat Schmitt immer gehabt. Gemeinsam mit Ernst Hüsmert fuhr Schmitt oft zur St. Lambertus-Kirche nach Affeln - einem Dorf auf einer Hochebene im Sauerland. Das Örtchen beherbergt in der Kirche einen Schatz: einen spätgotischen Altar aus den Werkstätten der Antwerpener Lukasgilde, der auch Peter Rubens angehörte.

Wer das Auge durch diese Welt der Martyrien und Wunder wandern lässt, der erblickt darin auch die Versuchung des Heiligen Antonius - ein diabolisches Puppenspiel, nicht größer als ein Schuhkarton. In einer Grotte martern geflügelte Dämonen den frommen Eremiten; sie zerren und balgen, beißen und kratzen. Zeitlebens war Schmitt von der Versuchung des Mönches fasziniert:

Hüsmert: "Für ihn war dieser Affelner Altar was ganz Außergewöhnliches. Er hat die Leute hier hergeprügelt, wenn sie ein Auto hatten, und freute sich."

Ernst Hüsmert und Schmitt trafen sich häufig. Obwohl eine Generation zwischen ihnen lag, verstanden sie sich prächtig. 1948, als der Jurist aus der Zeugenhaft in Nürnberg entlassen worden war, lernten sich die beiden Männer kennen.

Hüsmert lebt in Herscheid, eine Viertelstunde von Schmitts Geburtshaus entfernt. Im Korridor seines Bungalows hängt ein Gemälde in vielen Rottönen. Drei Kreise treten aus dem Hintergrund hervor, einer scheint die Oberfläche zu durchbrechen. Die beiden anderen scheinen ihm zu folgen. Als Schmitt das Gemälde, das ein Freund Hüsmerts gemalt hatte, zum ersten Mal sah, wollte er es unbedingt haben. Hüsmert gab es her, als Dauerleihgabe - denn Schmitt hatte etwas darin entdeckt:

Hüsmert: "Das hatte mein Freund Schleige gemacht, aber ich glaube, nicht mit der Tendenz, die Schmitt ihm unterlegt hat. Dass eben die Eins erscheint, und die aus dem Untergrund die Zwei hervorruft, und das Ganze gibt dann eine Dreieinigkeit, wie sie im Konzil von Nicäa begründet wurde. Die Eins ruft die Zwei und erst die Vollkommenheit kommt durch die Drei."

Der Glaube, die Form, die Politik und die Kunst: Auch dazu hat Schmitt sich geäußert - in seiner Schrift "Römischer Katholizismus und politische Form." Die Kirche hatte dem kunstsinnigen Schmitt einiges zu bieten, wie der Dominikanerpater Wolfgang Spindler erklärt:

"Es ist der Blick eines Juristen auf die katholische Kirche. Das heißt, er war fasziniert von der weltgeschichtlichen Machtform, von ihrer Fähigkeit, juridisch zu denken und zu entscheiden. Und auch von ihrer kunstreichen Tradition. Die Kirche hat ja immer Künstler gefördert - und er selber hatte ja auch eine künstlerische Ader, war mit Künstlern des Expressionismus befreundet. Und ich glaube, das war es, was ihn so faszinierte und da entdeckt er auch gewisse Parallelen zur Jurisprudenz und ihrer Entwicklung."

Zwei Schriften Schmitts aus der Vorkriegszeit haben eine große Berühmtheit erlangt: der "Begriff des Politischen" und die "Politische Theologie". Sie zeigen Schmitt als brillanten Stilisten. Seine "Politische Theologie" eröffnet Schmitt mit seinem berühmtesten Zitat:

"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet."

Der Souverän: Zusammen mit der Unterscheidung von Freund und Feind war die Definition und Legitimation staatlicher Macht das Lieblingsthema Schmitts. Die These Schmitts hat einen einfachen Ausgangspunkt: Er geht davon aus, dass alle Begriffe, die das moderne Staatsrecht kennt, theologische Begriffe sind, Begriffe, die im Laufe der Jahrhunderte einen Säkularisierungsprozess durchlaufen haben. Der omnipräsente Gesetzgeber findet seine Entsprechung in Gott, das einzige Wesen, das nach theologischem Verständnis omnipräsent sein kann. Doch mit allzu vielen Beispielen hält sich Schmitt nicht auf. Es geht eher um die Behauptung als um darum, die These zu belegen.

Einen Geistesverwandten diesen politisch-theologischen Ansatz fand Schmitt im Spanier Juan Donoso Cortés, einem spanischen Diplomaten und Politiker, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkte.

"Jede große politische Frage schließt stets auch eine große religiöse Frage in sich."

So steht es bei Cortés. Wie Cortés tat auch Schmitt Legitimationswege im Parlament als reine Nebensache ab – Dinge, mit denen ein starker Staat sich nicht aufhalten sollte. Zur Not müsse der Souverän Recht schaffen können, ohne es tatsächlich zu haben. Die Entscheidung des Souveräns, so Schmitt, käme notfalls aus dem Nichts. Wie dies ganz praktisch aussehen kann, zeigte sich im Jahr 1934, im Jahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Die neuen Machthaber hatten rund 200 Personen ermorden lassen, die sie als gefährlich einstuften. Unter ihnen befand sich der Stabschef der SA, Ernst Röhm und auch der ehemalige Reichskanzler Kurt von Schleicher, den Schmitt juristisch beraten hatte – der sogenannte Röhm-Putsch. Schmitt legitimierte die Morde in einen Aufsatz in der "Deutschen Juristen-Zeitung" unter dem Titel: "Der Führer schützt das Recht":

"Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr Kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft."

Antidemokratische, die Diktatur legitimierende Schriften wie "Der Führer schützt das Recht" waren nach dem Krieg nicht vergessen und verhinderten eine zweite Karriere Schmitts. Auch offener Antisemitismus machte ihn nach 1945 zum Außenseiter. Da half ihm auch nicht, dass der Flirt mit den NS-Machthabern nur von kurzer Dauer gewesen war. Schon 1936 spielte Schmitt in der der NS-Elite keine Rolle mehr, doch der Makel des Mittuns, der Vorwurf, die Weimarer Republik auch in ihren staatsrechtlichen Grundlagen unterhöhlt zu haben, blieb haften.
Als Schmitt 1948 aus der Nürnberger Haft freikam, war an eine Fortsetzung der einstmals so erfolgreiche Juristenlaufbahn nicht mehr zu denken. Ein Mann wie Schmitt, so ließ sich Bundespräsident Theodor Heuss zitieren, habe am Pult einer deutschen Universität nichts mehr verloren. Und so ging Schmitt zurück nach Plettenberg, dorthin, von wo er gekommen war. Plettenberg verklärte er als Zufluchtsort, als Refugium:

Hüsmert: "Letzten Endes schätze er dieses Kaff Plettenberg einfach als sein Exil. Er wusste: Hier hat meine Familie einen guten Klang, hier tut mir keiner was. Und er war doch keine sehr, sehr mutige Person. Er war immer ängstlich, dass also irgendwelche Dinge auf ihn zukämen, die er nicht parieren konnte."

Das Exil, es wurde zu einem zentralen Begriff für Schmitt. Obwohl es eigentlich eine furchtbare Anmaßung war. Doch Schmitt, der in der Heimat weiter wirkte und oft Besuch von Intellektuellen aus dem linken wie rechten Lager erhielt, verklärte seine Rolle als Verstoßener konsequent: So kam es, dass Schmitt seine Bleibe San Casciano nannte - das Exil des italienischen Staatstheoretikers Niccolo Macchiavelli. In der Heimat, im Sauerland, verstarb Carl Schmitt am Ostersonntag des Jahres 1985 im Alter von 96 Jahren. Schmitts politische Theologie aber vermag noch heute zu faszinieren – nicht zuletzt, weil sie verdeutlicht, welches Risiko in der religiösen Überfrachtung des Politischen liegt.