Umstrittene Sprachanalyse bei Flüchtlingen

Hocharabisch oder palästinensisches Arabisch?

Asylantrag für die Bundesrepublik Deutschland mit einem Stempel mit der Aufschrift "Bewilligt"
Asylantrag für die Bundesrepublik Deutschland mit einem Stempel mit der Aufschrift "Bewilligt" © Imago / Christian Ohde
Von Lydia Heller · 12.02.2015
Wer um politisches Asyl bittet, muss auch tatsächlich im Herkunftsland von Gewalt bedroht sein. Wie aber weist ein Flüchtender nach, dass er einer verfolgten Gruppe oder Ethnie angehört? In Deutschland und vielen anderen Ländern prüft man die Herkunft der Flüchtlinge mit einer umstrittenen Sprachanalyse.
"Ich komme aus Palästina. Aus Dschenin."
Mohammed hat Dschenin vor mehr als zehn Jahren verlassen. Als das Flüchtlingscamp dort 2002 bombardiert wurde, floh der junge Mann nach London.
"Sie wollten mich zurück schicken. In der Abschiebehaft dann sagte mein Fall-Manager: Mohammed, ich möchte Deinen Akzent testen. Ich habe keine Ahnung, warum."
Seit Ende der 1990er-Jahre greifen Einwanderungsbehörden in ihren Asylverfahren auch auf Sprachanalysen zurück. Neben Großbritannien etwa auch die in Australien, Schweden, den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz. Kann ein Asylsuchender keinen Nachweis seiner Staatsangehörigkeit oder Nationalität liefern, durch Geburtsurkunde oder Pass, soll seine Sprache und die Art, wie er spricht, Hinweise auf seine Herkunft geben.
"Zum Beispiel immer dann, wenn die Betroffenen sich von einer bestimmten Nationalität etwas versprechen können."
Sagt Ursula Gräfin Praschma, Abteilungsleiterin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In Deutschland sind Sprachanalysen seit 1998 im Asylverfahrensgesetz als legales Mittel zur Identitätsermittlung verankert – in etwa 760 Fällen pro Jahr werden sie angewendet.
"Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen, und zwar Syrien. Wir haben ja zurzeit eine sehr hohe Schutzquote. Und das ist interessant für Personen, die Nicht-Syrer sind, aber arabisch sprechen. So liegen uns Einzelfälle vor, dass Kurden angegeben haben, aus Syrien zu sein. Um in den Genuss der Flüchtlingseigenschaft zu kommen."
Bestehen Zweifel an den Angaben eines Asylsuchenden, wird ein gedolmetschtes Gespräch zwischen ihm und einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde aufgezeichnet – und einem Linguisten zur Expertise übersandt.
"Es wird darüber geredet, wie das Leben dort abläuft. Also: Beschreiben Sie doch mal eine Mahlzeit, die's bei Ihnen üblicherweise gibt. Dann kann der Sprachwissenschaftler an der Wortwahl schon vieles erkennen. Wenn es sich zum Beispiel um das Thema 'Frikadelle' handelt, dann kann ich ja dazu auch "Bulette" sagen. Und wenn ich jetzt aber 'Bulette' sage, dann weiß jeder in Deutschland, aha, der kommt wahrscheinlich aus der Region Berlin."
Einige Sprachen lassen sich relativ gut einem geografischen Gebiet zuordnen, manchmal einem Staat oder einer ethnischen Gruppe. Wer etwa "Bilen" spricht, ist sehr wahrscheinlich einer von rund 70 Tausend Menschen, die in der Gegend um die Stadt Keren in Eritrea leben. Arabisch dagegen wird – in unzähligen Dialekten und Varianten – vom Maghreb über Nord- und Ostafrika und die Arabische Halbinsel bis nach Westasien gesprochen.
Lundberg: "Unsere Experten studieren zunächst die Fachliteratur, die es zu Dialekten, Aussprache-Varianten und phonetischen Besonderheiten bestimmter Sprachen gibt."
Analyse durch Linguisten und Muttersprachler
Lars-Johan Lundberg ist Forschungsdirektor der schwedischen Firma Verified – einem der größten Unternehmen für Phonetische Forensik in Europa. 20 Linguisten und bis zu 160 Muttersprachler untersuchen dort pro Jahr rund 2500 Sprech-Proben.
"Dann machen wir eine Liste der Unterscheidungsmerkmale und trainieren unsere Analysten, darauf zu hören."
Lundberg: "Zusammen mit einem Linguisten untersucht der Analyst die Probe dann daraufhin – ob sie mehr Merkmale enthält, die auf Dialekt A hindeuten oder ob es mehr Hinweise auf Dialekt B gibt. Letztlich kann der Linguist mit einer gewissen Sicherheit sagen: ‚Diese Person ist sehr wahrscheinlich innerhalb einer Sprachfamilie aufgewachsen, die diesen Dialekt spricht'."
Linguisten könnten zudem fast immer erkennen, ob jemand eine falsche Muttersprache angibt, so Lundberg. Fast immer bliebe ein Akzent, der Hinweise auf die eigentliche Herkunft gäbe. Nicht alle Sprachwissenschaftler jedoch teilen diese Meinung.
Schmid: "Es wird immer davon ausgegangen: wenn man einen Dialekt spricht, dann spricht man den sein ganzes Leben und dann ist das stabil. Aber das ist nicht so."
Professor Monika Schmid ist Ko-Vorsitzende der Language and Asylum Research Group an der Universität Essex – die die Praxis der Sprachanalysen seit ihrer Einführung kritisch beobachtet. Die Linguistin hat in einer Studie die Sprache von deutschen Muttersprachlern – die über längere Zeit in einem englischsprachigen Umfeld gelebt haben – verglichen mit englischen Muttersprachlern, die lange in Deutschland lebten. Ergebnis: Wer deutscher und wer englischer Muttersprachler war – das war unmöglich zu unterscheiden.
"Bei einer langen Migrationsgeschichte, vor allem, wenn jemand über längere Zeit in einem Auffanglager wohnt, wo ganz viele verschiedene Sprachvarietäten gesprochen werden – dann vermengt sich das natürlich ganz schnell."
Schon etwa drei Jahre, nachdem ein Erwachsener ein sprachliches Umfeld verlassen hat, so Monika Schmid, ist anhand seiner Sprache nicht mehr eindeutig nachzuweisen, dass er dort gelebt hat. Bei Kindern reichen bereits ein paar Monate – und bei Menschen, die in einem mehrsprachigen Elternhaus aufgewachsen sind, liefere eine Sprachanalyse überhaupt keine brauchbare Aussage. Und: auch die Interview-Situation selbst beeinflusse die Sprechweise.
"Wenn jemand einen starken ländlichen Dialekt spricht und kommt dann in die Stadt und wird mit Behörden konfrontiert oder sowas, dann versucht man sich der Sprache anzupassen, die das Gegenüber spricht. Und auch der Sprachvarietät anzupassen, die das höhere Prestige hat. Das ist sehr sehr gut belegt und da gibt's sehr viel Forschung dazu."
Etwa zwei Drittel der Sprachanalysen, so Lars-Johan Lundberg, liefern recht klare Ergebnisse, meist zugunsten der Flüchtlinge. Der Statistikbehörde Eurostat zufolge gibt es in Ländern, die Sprachanalysen nutzen, weniger Abschiebungen. In etwa einem Drittel der Fälle jedoch bleibt die Herkunft auch nach einer Sprachanalyse ungeklärt. Und – für viele Asylsuchende damit oft auch die Frage, ob sie überleben werden.
"Der Mann hat Fus-cha gesprochen, hoch-arabisch. Ich spreche palästinensisches Arabisch. Am Ende sagte er: Ich glaube Dir nicht, dass Du aus Palästina bist, ich glaube, Du bist aus Syrien. Wir müssen Dich ausweisen. Nur – er wusste gar nicht, wo er mich hinschicken sollte."
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