Umschwung findet im Kleinen statt

Von Christian Gampert · 28.01.2012
Der Philosoph Gernot Böhme erteilte in seiner Eröffnungsrede zum Kongress den revolutionären Ideen eine Absage. Große Aktionen wie Occupy bewikten nichts, außer Medientheater. Veränderung schaffe man eher im Kleinen, Regionalen.
Wenn der Andrang zu diesem Symposion ein Kriterium ist, dann scheint es ein großes Bedürfnis nach Veränderung zu geben. Allerdings ist es vor allem bei der älteren Generation vorhanden: Der öko-alternative Mittelstand ist immer noch Freiburgs dominanteste Schicht, und so waren die Statements aus dem Publikum meist von politischer Korrektheit geprägt.

Die jüngere, die Studenten-Generation hielt sich mit Wortmeldungen zunächst zurück, veranstaltete Planspiele zur nächsten Bundestagswahl und war auch für die Veränderungen im Kleinen, für die Graswurzel-Revolution, durchaus aufgeschlossen. Auf solche kleinen "Veränderungen von unten" sah auch der Philosoph Gernot Böhme die Reformfähigkeit der Bundesrepublik beschränkt. In seinem Einleitungsreferat erteilte der Alt-68er allen revolutionären Ideen eine Absage - mangels Praktikabilität. Das kapitalistische System reproduziere sich - gerade in seinen Krisen - immer wieder selbst, die politische Herrschaft der Parteien sei gut befestigt, und die technologische Entwicklung schaffe immer neue Sachzwänge. Die Attac- und Occupy-Wall-Street-Bewegung bewirke letztlich gar nichts - außer Medientheater. Realistisch seien aber alternative Modelle und Verhaltensweisen im Kleinen, im Regionalen.

"Erstens würde ich sagen, diese Arbeit im Kleinen, das heißt in der Gemeinde, im Betrieb, in der Universität, die verändert regional eben doch etwas, und man kann die Hoffnung haben, dass, wenn eine Sache wirklich gut gelingt, modellhaft gut gelingt, dass sie dann eine ansteckende Wirkung hat und dass andere Gruppen das aufgreifen - und langfristig eine Veränderung auch für das Große herauskommt."

Böhmes Referat war insofern bemerkenswert, als es die Übermacht der Globalisierung an vielen Beispielen beschrieb und mit der Diagnose weltweiter Ausweglosigkeit die linke Klientel natürlich provozierte. Wirtschaft sei heute im Prinzip Geldwirtschaft, sagte Böhme, und wie die Macht der Banken zu brechen sei, das wisse keiner.

Böhme betreibt nach seiner Emeritierung in Darmstadt ein privates Institut, das praktische Philosophie als Hilfe bei der Lebensbewältigung auffasst. Im Grunde folgt er damit dem Beispiel Michel Foucaults, der als Strukturanalytiker am Ende seines Lebens bei der griechischen Selbstsorge landete. Beispiele produktiver Veränderung von unten sind für Böhme die Hospiz-Bewegung oder die Regio-Bewegung, bei der regionale Initiativen eine eigene Währung einführen, den "Regio".

"Man darf nicht vergessen, dass heute, gerade wegen der allseitigen Information, jeder Mensch gerade in dem, was ihn täglich als psychisch-moralische Anforderung anweht, überlastet ist - emotional überlastet ist von all den Schrecklichkeiten, die überall in der Welt passieren. Und man kann das nur aushalten, indem man sagt: gut, okay, ich mache ... jedenfalls dort, wo ich bin, tue ich was."

Der Berliner Politologe Paul Nolte hielt dann einen sehr unterhaltsamen, aber intellektuell doch enttäuschenden Vortrag, der politische Veränderungstheorien an vielen Beispielen illustrierte - und sie bisweilen als bloße mediale Inszenierung enttarnte. Nolte stellte allerdings Lenin und den Philosophen Odo Marquard, Konrad Adenauer und Gandhi im Sinne einer Aufzählung relativ platt nebeneinander und sagte im Grunde nur, dass sowohl die Anti-KKW-Bewegung als auch die Terroristen des 11.September etwas verändern wollten. Ein analytische Betrachtung dieser Bewegungen unterblieb.

Präsentieren wir wenigstens ein Beispiel gelungener Veränderung: Die frühere Lehrerin Ursula Sladek kaufte - nach Tschernobyl - mit Gleichgesinnten das Stromnetz des Schwarzwaldorts Schönau und betreibt heute die "Elektrizitätswerke Schönau", die auf erneuerbare Energien umgestellt haben.

"Das war ne lange Geschichte. Das hat sieben Jahre lang gedauert, zwei Bürgerentscheide, viele, viele Kämpfe, zum Schluss noch ein Prozess mit dem alten Energieversorger, aber wir haben alles überstanden, und heute sind wir einer der großen Ökostromversorger in Deutschland und betreiben immer mehr Stromnetze und inzwischen auch Gasnetze. Und was uns wichtig ist: dass die Bürger immer daran beteiligt sind."

Für Erstaunen sorgte der Philosoph Gernot Böhme, als er darauf hinwies, dass die meisten revolutionären Veränderungen gewaltsamer Natur seien. Niemand wisse, wohin der sogenannte arabische Frühling führe - möglicherweise wieder in den Islamismus. Und niemand spreche mehr von den Toten vom Tahir-Platz in Kairo. Böhme fragte, ob der Preis für so kleine Veränderungen nicht manchmal zu hoch sei - und erntete betretenes Schweigen.