Umgang mit Terror in Europa

Können Terroristen ausgebürgert werden?

Französische Ermittler im Pariser Vorort Saint-Denis nach dem Anti-Terroreinsatz vom 18.11.2015.
Nach den Anschlägen vom November 2015 will man in Frankreich die Ausbürgerung von Terroristen erleichtern © picture alliance / dpa / Christophe Petit Tesson
Christian Pestalozza im Gespräch mit Ute Welty · 06.02.2016
In Frankreich diskutiert die Nationalversammlung derzeit eine Verfassungsänderung, um Terroristen die französische Staatsbürgerschaft entziehen zu können. In Deutschland wäre eine solche Maßnahme kaum umsetzbar, meint der Staatsrechtler Christian Pestalozza.
Die französische Nationalversammlung debattiert derzeit eine hoch umstrittene Anti-Terror-Maßnahme: Die Verfassung soll so abgeändert werden, dass es künftig möglich sein wird, Terroristen die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Der Staatsrechtler Christian Pestalozza sieht darin vor allem einen symbolischen Akt und äußert Zweifel, dass sich Terroristen dadurch abschrecken lassen: "Wild Entschlossene hindert es natürlich an gar nichts."
Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft nur begrenzt möglich
In Deutschland wäre Derartiges nach Ansicht des Berliner Juristen kaum umsetzbar, da das Grundgesetz einen Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit nur innerhalb enger Grenzen zulässt. Etwa wenn jemand, der neben der deutschen noch eine weitere Staatsbürgerschaft besitzt, für den anderen Staat Militärdienst leistet - "weil sonst ein Loyalitätskonflikt entsteht".
Die deutsche Verfassung schreibe allerdings ganz klar vor, dass niemand durch den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft staatenlos werden dürfe, betont Pestalozza.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Für manchen französischen Abgeordneten dürfte das ein unruhiges Wochenende werden, gilt es doch, eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen. Die Nationalversammlung diskutiert derzeit darüber, ob es möglich sein soll, Terroristen die französische Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Bisher war das nur möglich, wenn jemand irgendwann in seinem Leben Franzose wurde und einen zweiten Pass hatte. Was man mit dieser Idee verfolgt, wem sie nutzt und ob das Modell auch für Deutschland taugt, bespreche ich jetzt mit Christian Pestalozza, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen!
Christian Pestalozza: Guten Morgen!
"Staatenlose haben nirgends Heimatrecht"
Welty: Lassen Sie uns erst mal grundsätzlich reden: Welche Folgen hat es, wenn einem Menschen die Staatsbürgerschaft aberkannt wird und wenn er dann im Zweifel staatenlos wird?
Pestalozza: Die Staatenlosen haben das Problem, dass sie nirgends sozusagen ein Heimatrecht haben. Sie haben keinen Anspruch gegen irgendein Land, in dessen Territorium zu gelangen, und sie stehen auch, wenn sie sich irgendwo aufhalten, unter dem Schutz keines Landes, weil sie nicht Angehöriger irgendeines Landes sind.
Die Staatsangehörigkeit – wenn sie sie haben – oder Staatsbürgerschaft bedeutet, dass sie immer in ihr Heimatland zurück können, dass sie sozusagen aus dem Heimatland nicht vertrieben werden können, und es bedeutet, dass wenn sie außerhalb ihres Heimatlandes sind, dass sie dann unter dem Schutz, unter dem diplomatischen Schutz ihres Landes stehen. Beide Rechte hat der Staatenlose nicht.
Welty: Warum hat man bislang überhaupt zwischen gebürtigen und ich sag mal gewordenen Franzosen unterschieden, ist der eine Franzose besser als der andere?
Pestalozza: Na, das sicher nicht, und man könnte auch sagen, eigentlich sollte der später eingebürgerte Staatsangehörige einen festeren Status haben, weil er musste ja auch Vorleistung erbringen, also zum Beispiel Verfassungstreue, keine Straftaten begangen, gewisse Verbindung zu dem Heimatland, während wenn Sie die Staatsangehörigkeit durch Geburt erwerben, Sie ja nichts dazu beigetragen haben. Aber trotzdem ist wohl die Anschauung die, die Staatsangehörigkeit, die Sie durch die Geburt erwerben, das ist sozusagen ein geborenes, mit Ihnen geborenes Recht. Das andere ist ein erworbenes Recht, und was erworben ist, kann auch wieder aberkannt werden. Diese Idee steckt vielleicht dahinter.
Die UN will Staatenlosigkeit verhindern
Welty: Frankreich will eine mögliche Aberkennung der Staatsbürgerschaft auf alle Franzosen ausdehnen, gleichzeitig soll aber eine UN-Resolution unterzeichnet werden, ratifiziert werden, die Staatenlosigkeit verhindert. Warum gibt es eine solche UN-Resolution?
Pestalozza: Also das ist ohnehin die Idee des internationalen Rechtes, des Völkerrechtes, zwei Dinge zu vermeiden, nämlich einmal die Staatenlosigkeit und zum anderen auch die mehrfache Staatsangehörigkeit. Beides führt zu Konflikten. Wenn Sie mehrere Staatsangehörigkeiten haben, führt es zu Loyalitätskonflikten gegenüber Ihren beiden oder mehreren Heimatstaaten, wenn Sie staatenlos sind, sind Sie praktisch weithin schutzlos gestellt. Das will das Völkerrecht vermeiden, und das ist in den einzelnen Pakten auch sozusagen festgelegt.
Aber wenn derartige Vereinbarungen, völkerrechtliche Vereinbarungen im betreffenden Land nicht im Range des Verfassungsrechtes oder über Verfassungsrechtes gelten, sondern nur wie ein einfaches Gesetz, dann können Sie es natürlich durch eine Verfassungsänderung auch beiseiteschieben.
Welty: Wird auch umgekehrt ein Schuh draus, oder anders gefragt: Welche Möglichkeiten der Strafverfolgung gibt es bei Staatenlosen?
Pestalozza: An sich können Sie ... Wenn jemand eine Straftat begangen hat, hängt das nicht davon ab, die Möglichkeit, ihn zu verfolgen, ob er Staatsangehöriger ist oder nicht. Es gibt eine Ausnahme: Wenn zum Beispiel ein Deutscher im Ausland eine Straftat begeht, dann kann er unter bestimmten Voraussetzungen, bei bestimmten Delikten auch von der deutschen Staatsgewalt strafrechtlich verfolgt werden. Da gilt sozusagen nicht das Prinzip, dass das Strafrecht des betreffenden Ortes, an dem die Tat begangen worden ist, entscheidet, sondern man nimmt als Deutscher sozusagen bei bestimmten Delikten das deutsche Strafrecht mit ins Ausland. Dieses Prinzip würde ja für Staatenlose nicht gelten, weil die ja eben keinem Staat angehören, sodass er auch keine heimische Strafrechtsordnung hat, die ihm folgen könnte.
Französische Pläne "mehr ein symbolischer Akt"
Welty: Für effektiv halten Sie eine solche Maßnahme, wie sie jetzt in Frankreich diskutiert wird? Wie sehr lässt sich ein gesetzloser Terrorist davon abschrecken, im Zweifel staatenlos zu sein?
Pestalozza: Na ja, also insbesondere dann, wenn man planen sollte, ihm die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, auch dann, wenn er keine andere Staatsangehörigkeit hat, dann gerät er schon in eine Notsituation, weil er wie gesagt keinerlei Schutzansprüche gegenüber irgendeinem Staat hat, weil er eben keinen Heimatstaat hat. Also das könnte schon einen gewissen Eindruck machen, aber Wild Entschlossene hindert es natürlich an gar nichts.
Und deswegen denke ich, diese Überlegungen sind auch mehr ein symbolischer Akt. Sie wollen das, was ja teilweise auf einfacher gesetzlicher Ebene in Frankreich bereits gilt und für verfassungsgemäß befunden worden ist, das wollen sie jetzt in den Rang der Verfassung heben, um das sichtbar, um es deutlicher zu machen und um es schwerer wieder abänderbar zu machen. Aber ob es sich als effektiv erweist, ob es irgendjemanden abschreckt, daran kann man sicher zweifeln.
In Deutschland darf niemand in die Staatenlosigkeit geschickt werden
Welty: Was raten Sie also Deutschland, denn diese Diskussion wird ja auch hierzulande geführt werden, die Politik scheint ja im Moment um jedes Mittel zu ringen, um Handlungsfähigkeit zu demonstrieren?
Pestalozza: Ja, wir sollten das natürlich beobachten und genau verfolgen und uns überlegen, ob irgendwelche Aktionen auch bei uns angesagt sind. Bei uns sind die Dinge ja ein bisschen nachhaltiger in der Verfassung selbst geregelt, indem dort steht, dass die Staatsangehörigkeit, wie immer sie erworben ist – da wird kein Unterschied gemacht –, nicht entzogen werden darf und dass gegen den Willen des Staatsangehörigen die Staatsangehörigkeit auch nicht ohne Weiteres verlorengehen kann, sondern da muss im Gesetz dann stehen der betreffende Grund, und der Grund muss sachgerecht sein, also wie das im deutschen Recht etwa vorgesehen ist und in vielen anderen Rechtsordnungen auch.
Wenn jemand zwei Staatsbürgerschaften hat und dann Militärdienst in dem anderen Land leistet, dann sieht das Gesetz vor, dass er dann – jedenfalls grundsätzlich – die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, weil sonst ein Loyalitätskonflikt entsteht. Solche Dinge sind dann schon möglich, aber das deutsche Recht sieht vor und die deutsche Verfassung sieht vor, dass, was immer die Verlustgründe sind, sie dadurch nicht staatenlos werden dürfen.
Welty: Der Entzug der Staatsbürgerschaft bei Terroristen, das wird in Frankreich diskutiert und hier in Deutschlandradio Kultur zusammen mit dem Staats- und Verwaltungsrechtler Christian Pestalozza. Danke dafür!
Pestalozza: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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