Ultraschall Berlin 2017

Von der Unterseite des Gesangs

Der Komponist Sergej Newski
Der Komponist Sergej Newski © Harald Hoffmann/Ultraschall
21.01.2017
Drei Teile hat unser langer Abend vom Festival Ultraschall Berlin 2017. Ausschnitte aus dem Konzert des Kuss Quartetts mit der Sopranistin Mojca Erdmann vom Vortag und eine Live-Übertragung mit den Neuen Vocalsolisten, außerdem das ensemble recherche und die norwegische Musikerin Lena Willemark.
Mehr als jedes Instrument ist die Stimme Träger individuellen, unverwechselbaren Ausdrucks, und das nicht nur im rein musikalischen Kontext. Seine Stimme zu erheben oder auch jemandem eine Stimme zu geben, bedeutet, sich als autonomes Subjekt zu äußern. Das Festival Ultraschall Berlin, veranstaltet von Deutschlandradio Kultur und kulturradio vom rbb, stellt in diesem Jahr die Stimme in den Mittelpunkt. Durch das Programm zieht sich - in denkbar unterschiedlicher Weise - die Stimme als roter Faden. Sie knüpft als schön geführte Stimme an die große Tradition des Liedgesangs an, sie wagt sich weit vor in die experimentelle Stimmbehandlung, die die Übereinkunft des Belcanto zur Disposition stellt.
Das Konzert der Neuen Vocalsolisten ist eine Tour d’horizon durch die experimentelle vokale Kammermusik, für die die Neuen Vocalsolisten wie kein zweites Ensemble stehen - und eine Reise in die Grenzbereiche von Psyche und Stimme. Carola Bauckholt holte schon mehrfach in Werken für die Neuen Vocalsolisten die "Unterseite des Gesangs" nach oben. In "Stroh" sind das vor allem "das vocal fry, der Strohbass, Multiphonics, Luftklänge und gehauchte Akkorde". Alle Klänge erwachsen allein aus den stimmlichen Möglichkeiten der SängerInnen, vom Belcanto bis zu Anklängen an den Alltag. Von der Rettungslosigkeit der Liebe handeln die Werke des kanadischen Komponisten Benjamin Sabey und des Österreichers Georg Friedrich Haas. Letzterer übersetzt in seinen "Drei Liebesgedichten" die Verse des expressionistischen Dichters August Stramm in eine Hochspannungs-Musik, die die Unbedingtheit der Gefühle in atemberaubenden Klängen und Klangverschiebungen unmittelbar erfahrbar macht. Ins Szenische reicht "Pazifik Exil" von Sergej Newski, eine Konzertszene in fünf Bildern nach dem gleichnamigen Roman von Michael Lentz: Imaginäre Monologe und Dialoge von sechs Individualisten, schwankend zwischen Angst und schwindender Hoffnung, Allmachtsphantasien und der Erfahrung ihrer Ohnmacht. Der Techno-Musiker Paul Frick umgibt die Vokalpartien mit einem elektronischen Klang-Mantel.
Ultraschall Berlin - Festival für neue Musik
Heimathafen Neukölln
Aufzeichnung vom 20. Januar 2017
Harrison Birtwistle
"9 Settings of Lorine Niedecker" für Sopran und Violoncello (1998/2000)
Daj Fujikura
"Silence seeking solace" für Sopran und Streichquartett (2013)

Mojca Erdmann, Sopran
Kuss Quartett:
Jana Kuss, Violine
Oliver Wille, Violine
William Coleman, Viola
Mikayel Hakhnazaryan, Violoncello

ca. 20.00 Uhr
Live aus dem Radialsystem V, Berlin
Carola Bauckholt
"Stroh" für Sopran, Mezzosopran, Bariton und Bass (2012)
Benjamin Sabey
"Voyage", Madrigal für sechs Stimmen (2016)
Uraufführung
Georg Friedrich Haas
"Drei Liebesgedichte" für sechs Stimmen (2005)
ca. 20.55 Konzertpause, darin: Mitglieder der Neuen Vocalsolisten im Gespräch mit Ruth Jarre; ein Porträt von Sergej Newski
Sergej Newski
"Pazifik Exil", Fünf konzertante Szenen für sechs Stimmen und Live-Elektronik (2016)
mit elektronischen Zwischenspielen von Paul Frick

Neue Vocalsolisten:
Johanna Zimmer, Sopran
Susanne Leitz-Lorey, Sopran
Truike van der Poel, Mezzosopran
Daniel Gloger, Countertenor
Martin Nagy, Tenor
Guillermo Anzorena, Bariton
Andreas Fischer, Bass

ca. 22.00 Uhr
Radialsystem V, Berlin
Aufzeichnung vom Nachmittag des 21. Januar 2017
Sebastian Claren
"Schlachten 2", Motette für drei Frauenstimmen, Bassklarinette, Schlagzeug und Streichtrio (2013/2015)
Karin Rehnqvist
"Jag lyfter mina händer" für Gesang und Klarinette (1998)
"Nine nights" für Gesang und Ensemble (2016)
Uraufführung

Lena Willemark, Gesang und Violine
ensemble recherche
Neue Vocalsolisten